Spider-Man: Kein Respekt für das Multiversum!
Im Kino. Im dritten Film mit Tom Holland als Spider-Man wird die Superhelden-Weltordnung selbstironisch und lustvoll aufgebrochen. Diese Leichtigkeit würde vielen Comicfilmen gut tun.
o ein Multiversum ist ein genialer erzählerischer Kniff . Wie sonst könnten Superhelden-Manager wie die vom Marvel-Konzern ihre Comicfiguren in immer wieder neuen Konstellationen miteinander kämpfen lassen und trotzdem den Anschein eines schlüssigen Weltengefüges erwecken, das Filme, Serien und Bücher überspannt? In parallelen Dimensionen ist eben alles möglich! Da kann ein Held munter immer wieder mit neuem Gesicht und neuer Persönlichkeit auftauchen und trotzdem irgendwie dazugehören, da können die widersprüchlichsten Erzählungen nebeneinander existieren. Die einstige Erfindung geschickter Comicautoren, die sich im Chaos ihrer eigenen Geschichten zu verheddern drohten und diese kurzerhand auf mehrere Paralleluniversen aufteilten, bietet den Verwaltern des heutigen Superhelden-Popkultur-Zirkus ein ideales Erklärmodell. Und lässt sie zumindest scheinbar die Deutungshoheit über den unübersichtlichen, zerfransten Kanon bewahren.
Wie zerfranst dieser ist, zei gt etwa die jüngere Verfilmungsgeschichte von SpiderMan. Von ihm gibt es besonders viele Inkarnationen. Noch bevor Marvel seine eigene Kinosparte aufzog, hatte das Filmstudio Sony die Spider-Man-Rechte gekauft und ausgiebig genutzt: Tobey Maguire spielte den Spinnenmann in den Nullerjahren, Andrew Garfield zwischen 2012 und 2014. 2018 startete Sony auch eine Animationsfilmreihe, und seit 2017 schwingt sich der junge Tom Holland als adoleszenter Schelm durch ein New York, das − dank eines Deals zwischen Sony und Marvel − in jenem „Marvel Cinematic Universe“steht, das etwa auch Iron Man und Jessica Jones bevölkern und in das demnächst auch der gar nicht kinderfreundliche Deadpool (aus dem Rechtekatalog von Fox, der ja nun wieder zur MarvelMutter Disney gehört) ziehen soll.
Typisch Teenager
Doch für die Grenzen dieses Universums zeigt der jüngste Spider-Man − typisch Teenager! − herzlich wenig Respekt. In seinem neuen Kino-Abenteuer „Spider-Man: No Way Home“, wie die Vorgänger-Filme von Jon Watts inszeniert, wird die eigene Weltordnung lustvoll und mit viel selbstironischem Augenzwinkern aufgebrochen. Da kann Benedict Cumberbatch als herrlich schlecht gelaunter Super-Magier Dr. Strange noch so streng auf die Wahrung der kosmischen Balance pochen.
Der Film setzt dort ein, wo der letzte aufgehört hat: Die ganze Welt weiß jetzt, dass unter dem Spider-Man-Anzug der Abschlussklassler Peter Parker steckt. Und sie ist ihm nicht gerade wohlgesonnen, was für Peter, seine Freundin MJ (cool: Zendaya) und seinen besten Freund Ned (Jacob Batalon) den Traum vom Studium an einer EliteUni platzen lässt. Ein Zauber von Dr. Strange soll’s richten, aber der geht schief und lässt das Universum undicht werden, sodass plötzlich − und nein, das ist noch kein Spoiler − die Bösewichte aus früheren SpiderMan-Verfilmungen in diese herübersickern.
Das heitere Weltengemenge illustriert, wie sich in den letzten Jahren Figurenzeichnung und Ironie-Level von Actionkrachern verändert haben: Über einen Namen wie Doctor Otto Octavius vulgo Doc Ock (gespielt von Original-Darsteller Alfred Molina) können die jugendlichen Protagonisten von heute nur lachen. Sie scheinen sich auch nie allzu schwer zu tun im Kampf gegen die illustre Widersacher-Runde.
Das ist Fan-Service − aber gewitzt
Ihr unbeschwerter Habitus prägt den Film. Dieser driftet zwar stellenweise auch in die marveltypische Weltretter-Gravitas ab und lässt Spider-Man an Gefühlen wie Trauer und Rachlust laborieren. Davor dominiert aber jugendliche Leichtigkeit − in der Handlung (diese idealistischen Rabauken wollen die Bösewichte doch tatsächlich nicht vernichten, sondern von ihrer Bösartigkeit heilen!) und in den Begegnungen mit alten Bekannten. Mit diesen betreibt „Spider-Man: No Way Home“freilich unverblümt Fan-Service, erfüllt also, wie Franchise-Produktionen es oft tun, lang gehegte Begehren der Fans − das aber durchaus auf gewitzte Art.
Gewitzt sind auch die Actionszenen. Da schwingt sich Spider-Man mit seiner fluchend sich festklammernden Freundin durch Hochhausschluchten. Und fröhlich wirbelnd durch die kaleidoskopisch flirrenden Illusionen, die Dr. Strange mit Zauberhand erschafft. So verhext, wie sie scheinen − immerhin sausen da U-Bahne n durch die Lüfte und verknotet sich die Architektur wie in „Inception“−, sind diese Sphären aber offenbar doch nicht. „Alles nur Geometrie!“, freut sich Spider-Man, als er Stranges Methoden durchschaut zu haben meint. Und in berechneten Winkeln Spinnweben abschießt. Man muss die Regeln einer Welt verstehen, um sie brechen zu können. Und das macht Marvel − in seinem ganzen multiversellen Größenwahn − wirklich nicht schlecht.