Dieses Stück ist zu schön
Akademietheater. „Die Schwerkraft der Verhältnisse“von Marianne Fritz, von Bastian Kraft minimalistisch inszeniert: Das ist zu viel Hochamt.
Ach, es ist wohl wunderfein gedacht. Und die Präzision ist wahrhaft erstaunlich. Da stehen die drei Schauspieler vor der weißen Leinwand, werfen Schatten, groß und klein, doch siehe: Was die Schatten machen, stimmt oft nicht überein mit dem, was auf der Bühne passiert, dort gibt es kein Krankenhausbett, dort spielen gar keine Kinder, und wenn einer der Akteure abtritt, kann es sein, dass sein Abbild noch trotzig verharrt. In einer einprägsamen Szene sitzen die Schatten am Schatten-Frühstückstisch, wir sehen Eierbecher, Kanne, Kaffeetassen – und Wilhelm und Wilhelmine. Die Stimmung ist angespannt: Sie will das Medaillon. Wilhelm hat es, vor über 15 Jahren, einer anderen um den Hals gelegt und diese andere dann geheiratet, das ärgert Wilhelmine noch immer. Die andere, das ist Berta, die seit Jahren im Irrenhaus eingesperrt ist, weshalb Wilhelmine ihren Wilhelm doch noch gekriegt hat, alles hat sie gekriegt, außer das Medaillon. Das soll er jetzt holen!
Unter diesem riesigen Schattentisch mit der riesigen Wilhelmine und dem riesigen Wilhelm steht der „echte“Wilhelm (Markus Meyer) und ist winzigwinzigklein.
Dieses Bild hat Kraft. Nicht alle Bilder haben das, und das ist schade. Denn „Die Schwerkraft der Verhältnisse“, der Debütroman von Marianne Fritz, für den die 2007 gestorbene Autorin den RobertWalser-Preis erhielt, ist ein kraftvolles Werk. Eines voller Wut. Auf den Krieg. Auf die Enge der Zeit danach. Auf die Duckmäuserei eines Wilhelm und die Gemeinheit einer Wilhelmine, die alles besser weiß und alles schlimmer macht. Da ist nichts zu wollen. Da ist nichts zu retten. Da gibt es für Berta, von Katharina Lorenz als vergeistigtes Hascherl dargestellt, nur die Flucht in ein resigniertes „Soso“.
Sie wird ihre Kinder töten.
Handwerkliche Tricks
Marianne Fritz ist eine Autorin, die von jeder Generation neu zu entdecken ist, was daran liegt, dass man sie zwischendurch leider vergisst. Das Kollektiv „fritzpunkt“versucht dem seit 2002 gegenzusteuern, hat sich aber auf die radikal avantgardistischen späteren Arbeiten konzentriert. Das Burgtheater bringt nun dieses zugänglichere Werk dramatisiert auf die Bühne. Und hebt es auf einen seltsamen Sockel. Wieso? Hatte Bastian Kraft zu viel Respekt vor der Autorin, vor dem Kult Marianne Fritz? Oder, im Gegenteil: Glaubte er, das Werk spreche nicht für sich, er müsse es noch einmal ästhetisch überhöhen?
Wie immer: Die Schattenspiele erscheinen im Wesentlichen als handwerklicher Trick, sie fügen dem Werk wenig hinzu, ja lenken zum Teil sogar ab, gerade weil es faszinierend ist zu beobachten, wie die Akteure vorn die Bewegungen der Schatten im Hintergrund kopieren. Und der monotone, getragene Singsang, zu dem Kraft seine Schauspieler zwingt, macht die Sache nicht besser. Stimmt, dieser Roman ist kein psychologischer Roman, aber deswegen ist er doch nicht ohne Emotion!
Im zweiten Teil wechselt das Bühnenbild, nun turnen die Akteure auf mehreren Ebenen herum, in einem Block, der eine Wohnung darstellen soll. Auch jetzt: wunderschön, diese verschiedenen Abtönungen von Weiß! Aber was hier passiert, sogar den Mord an den Kindern, beobachten wir nur mit Interesse. Und dann, alter Trick, dürfen wir auch noch die Feuermauer sehen. Hübsch. Aber nicht radikal genug. Wilhelmine (angemessen hinterfotzig: Stefanie Dvorak) hat Berta gerade das Medaillon abgeluchst. Den einzigen Gegenstand, den sie in der Anstalt besitzen darf. Ihre einzige Erinnerung an Zeiten, da es Hoffnung gab.
Das ist zu wenig.