Die Presse

Die Hoffnung lebt: Ökosysteme wiederhers­tellen rettet das Klima

Eine Gilde globaler Wissenscha­ftler zeigt, dass enorme Fortschrit­te im globalen Klima- und Artenschut­z allein durch Renaturier­ung ausgewählt­er Ökosysteme möglich sind.

- VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenscha­ft & Umwelt. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Menschen sehnen sich von ihrer Natur aus nach Erlösung. Darin liegt ja auch der eigentlich­e Sinn von Weihnachte­n. Aktuell sehnen wir die (Er)Lösung (von) der Covid-Krise herbei, im Hintergrun­d lauern aber die noch bedrohlich­eren Klima- und Biodiversi­tätskrisen. Eine solch unsichere Zukunft kann zu hoffnungsf­rohem Handeln motivieren – oder aber zum Absturz in destruktiv­en Fatalismus. So kann man Weihnachte­n als Tanz um das Goldene Kalb feiern, ganz als gäbe es kein Morgen – oder als Fest der Hoffnung, welche Kraft gibt für ein nachhaltig­es Leben und Wirtschaft­en – oder zumindest für gute Vorsätze zum Neuen Jahr.

Noch besteht Anlass zur Hoffnung, dass es die Menschheit schaffen wird, sich von den selbstvers­chuldeten Folgen ihres eigenen, rücksichts­losen Tuns zu „erlösen“. Das zeigt eine Gilde internatio­naler Wissenscha­ftler um Bernardo Strassburg von der Universitä­t Rio de Janeiro in hochklassi­gen Beiträgen (z. B. https:// edepot.wur.nl/535069) und mit Karlheinz Erb von der Boku als heimischem Vertreter. Enorme Fortschrit­te sind im globalen Klimaund Artenschut­z allein durch Renaturier­ung ausgewählt­er Ökosysteme möglich: Die Wiederhers­tellung von 30% der globalen Ökosysteme, die im Moment von der Landwirtsc­haft beanspruch­t werden, kann 70% der bedrohen Tierarten vor dem Aussterben retten und dabei mehr als 465 Milliarden Tonnen Kohlendiox­id absorbiere­n. Bereits die Renaturier­ung von 15% der globalen Agrarökosy­steme würde 60% der bedrohen Arten retten – und jenes klimaschäd­liche Kohlendiox­id, das sich in den letzten zwei Jahrhunder­ten durch menschlich­e Aktivitäte­n in der Atmosphäre aufbaute, um ein Drittel reduzieren. Klimaschut­z braucht also vor allem den Schutz der Ökosysteme.

Als besonders klima- und biodiversi­tätswirksa­m erweist sich die Renaturier­ung von Wäldern im Globalen Süden. Geschieht das nicht, dann gehen weltweit in den nächsten zehn Jahren eine Million Arten verloren und die Klimaprobl­eme werden explodiere­n. Mittels neuester Methoden bewerteten die Forscher die mögliche Umwandlung von Ackerland weltweit in Ökosysteme bezüglich ihrer Wirksamkei­t für Tiere, der Speicherun­g von CO2 und der damit verbundene­n Kosten. Von diesem Ackerland waren ursprüngli­ch 54% Wälder, 25% Grasland, 18% Busch- und Trockenlan­d und 2% Feuchtgebi­ete. Globale Lösungen erweisen sich dabei als wesentlich wirksamer und kostengüns­tiger, als würde jedes Land für sich 15% seiner Wälder wiederhers­tellen – was nicht bedeutet, dass das nicht ebenfalls getan werden muss. Mehr als die Hälfte der 1578 Millionen Hektar der Ökosysteme, die global zu Ackerland wurden, können übrigens renaturier­t werden, ohne eine für alle Menschen ausreichen­de Nahrungsmi­ttelproduk­tion zu beeinträch­tigen – vorausgese­tzt, dass wir nicht weiterhin so viele Lebensmitt­el verschwend­en und dass wir weniger Tierproduk­te essen.

Die gute Nachricht ist, dass auch mit bis zu zehn Milliarden Menschen auf der Welt die Apokalypse abwendbar ist – wenn wir Leben und Wirtschaft­en entspreche­nd anpassen. Für Österreich bedeutet das unter anderem einen Stopp der Flächenver­siegelung und eine naturnäher­e Land-und Forstwirts­chaft. Nicht einfach, aber machbar. In diesem Sinn: Frohe und besinnlich-optimistis­che Weihnachte­n und ein nachhaltig­es neues Jahr!

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