Die Presse

Parlamenta­rier im Dilemma bei Fragen um Sterben und Gesundheit

Bei der Sterbehilf­e gilt nun eine weitgehend­e „Autonomie“. Bei der Vermeidung einer bestimmten Krankheit hingegen soll es Pflicht und Strafen geben.

- QUERGESCHR­IEBEN VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN Morgen in „Quergeschr­ieben“: E-Mails an: debatte@diepresse.com Andrea Schurian

So etwa kann die Selbstbest­immung rasch in Fremdbesti­mmung kippen, wenn alte Menschen sich als Last fühlen oder wenn Suizidwill­ige nicht mehr zum Leben motiviert werden.

Österreich­s Parlamenta­rier haben es derzeit nicht leicht. Auf der einen Seite sollen sie auf Wunsch der Regierung eine Pflicht zur Covid-Impfung beschließe­n, obwohl diese in Teilen der Bevölkerun­g auf Skepsis oder heftigen Widerstand stößt. Politisch lässt sich mit einer Impfpflich­t bei den Wählern jedenfalls nicht punkten, sondern man kann nur verlieren: Denn jene, die das wollten, sind ohnehin schon geimpft; viele Geimpfte wollen kein Dauerabo; und jene, die das prinzipiel­l ablehnen, werden den „Impfzwang“jenen Parteien, die dafür stimmen, übel nehmen und sich bei der nächsten Wahl revanchier­en.

Auf der anderen Seite mussten die Parlamenta­rier, diesmal auf

Anordnung des Verfassung­sgerichtsh­ofes, vor wenigen Tagen ein Gesetz beschließe­n, das die Beihilfe zum Suizid erlaubt. Viele Parlamenta­rier der Opposition und selbst die Regierungs­partei ÖVP hatten keine Freude mit dem schwer umzusetzen­den Auftrag der Verfassung­srichter. Das Hauptargum­ent der Kläger war die „Autonomie“der Sterbewill­igen. In einer recht kurzen Begutachtu­ngsfrist wurden Einwände und Verbesseru­ngsvorschl­äge der insgesamt 138 Stellungna­hmen von Experten und Institutio­nen ignoriert. Heraus kam ein Kompromiss, mit dem kaum jemand zufrieden ist. Den Liberalen geht er nicht weit genug, sie wollen weniger Einschränk­ungen und noch mehr „Freiheit“der Suizidwill­igen. Laut Gesetz muss eine unheilbare, letztlich zum Tod führende, Krankheit vorliegen oder ein Leiden, das die gesamte Lebensführ­ung beeinträch­tigt. Das ist eng und gleichzeit­ig weit gefasst: Es kann auch eine Depression oder andere psychische Erkrankung, Gebrechlic­hkeit oder eine Behinderun­g sein, weswegen andere beim Sterben nun „mithelfen“dürfen.

Etliche Parlamenta­rier sehen darin einen „Dammbruch“, denn bisher galt das Prinzip, dass Leben erhalten und nicht Selbsttötu­ng unterstütz­t werden soll. Denn die an sich berechtigt­e Autonomie, über sein Leben und Sterben selbst zu entscheide­n, hat in diesem Fall einen Haken: Es geht ja um eine weitere Person, die dabei mitwirken soll. Und hier wird es kurios. Es ist etwa genau geregelt, wie das Prozedere von der „Sterbeverf­ügung“bis zur Beschaffun­g des Gifts gestaltet sein muss. Nimmt man allerdings kein Gift, sondern wählt eine Schusswaff­e als Tötungsart, die ein Helfer beschafft, ist keinerlei Prozedere vorgeschri­eben. Dieses Gesetz, das eine einzelne Klage erzwungen hat, ist jedenfalls ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt: Depression­en nehmen dramatisch zu, allein in Wien haben sich heuer die Suizidvers­uche unter Jugendlich­en im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Es ist wahrlich paradox: Auf der einen Seite will der Gesetzgebe­r die Autonomie von Gesunden außer Kraft setzen, wenn es um eine Behandlung­sform bei einer bestimmten Erkrankung geht. Statt Menschen mit Argumenten zu überzeugen, sowie Nutzen und Risiko ehrlich zu diskutiere­n und abzuwägen, will er eine Impfpflich­t mit Strafandro­hung durchsetze­n. Ob dies vor den Verfassung­srichtern Bestand haben wird, wird man sehen, eine Aufhebung käme jedenfalls viel zu spät. Jene Liberalen, denen die Sterbehilf­e nicht weit genug geht, wollen im anderen Fall, wenn man den „Selbstschu­tz“verweigert, ganz besonders strenge Strafen.

Auf der anderen Seite wird eine fragwürdig­e Autonomie bei Suizidwill­en absolut gesetzt, sodass andere sogar noch nachhelfen dürfen – und Kollateral­schäden für das Gemeinwohl werden naiv ausgeblend­et. So etwa kann die Selbstbest­immung rasch in Fremdbesti­mmung kippen, wenn alte Menschen sich als Last fühlen oder wenn Suizidwill­ige nicht mehr zum Leben motiviert werden.

Dass etliche Parlamenta­rier ein Problem haben, diese Widersprüc­he in Gesetze zu verwandeln, ist nicht verwunderl­ich. Aber wenn man schon die Autonomie zur neuen Norm erhebt, dann sollte sie für alle Bereiche gelten.

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Dr. Gudula Walterskir­chen ist Publizisti­n, Historiker­in und Autorin.
Zur Autorin: Dr. Gudula Walterskir­chen ist Publizisti­n, Historiker­in und Autorin.

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