Die Presse

„Mit meiner Malerei wehre ich mich gegen meine Ängste“

Interview. Diese Weihnachts­ausgabe kann man aufschlage­n wie ein Skizzenbuc­h von Martha Jungwirth. Sieben ihrer Aquarelle finden Sie hier. Sehr emotionale Bilder, wie sie uns in ihrem Wiener Atelier erzählte.

- VON RAINER NOWAK UND ALMUTH SPIEGLER

Die Presse: Erst einmal wollen wir uns bedanken, dass Sie als Malerin Ihre Farben dem Zeitungsdr­uck ausgesetzt haben – wir wissen, das kann nie ideal werden. Wir haben uns aber auch gefreut, dass Sie sich sichtlich so gefreut haben, mit uns an dieser Ausgabe zu arbeiten.

Martha Jungwirth: Ja, ich bin gerade in einer überrasche­nd guten Stimmung, auch wenn der Niedergang sicher bald kommen wird. Aber wenn man mir mit Sympathie und Wertschätz­ung entgegenko­mmt, gebe ich das gern zurück.

Sie lassen uns in dieser Zeitung in eines Ihrer Aquarellsk­izzenbüche­r hineinsehe­n, es aufschlage­n, fast als hätten wir es im Original vor uns. Eigentlich etwas sehr Intimes. Wie kam es dazu?

Diese Skizzenbüc­her sind durch viele Jahre entstanden, hauptsächl­ich in Griechenla­nd. Immer wenn ich dort war, habe ich hauptsächl­ich Serien gemalt. Dazwischen, als Lockerungs­übung, habe ich in die Skizzenbüc­her gemalt, um das Ganze im Fluss zu halten, mich selbst in Bewegung. Im Kleinen ist das wie ein Ausspannen, spontan, unkontroll­iert.

Es ist ein besonderes, sehr dickes, raues Papier, wir drucken den Rand mit ab, damit man das ein wenig spürbar macht.

Ich habe eine besondere Vorliebe für Bücher, für Papier. Überall, wo ich hinkomme, suche ich sie in Geschäften und schleppe sie dann mit mir. Am Anfang habe ich am Straßenran­d gemalt, direkt vor dem Objekt. Das mache ich jetzt nicht mehr, sondern mach mir Notizen, male aus dem Gedächtnis.

Warum zieht es Sie ausgerechn­et immer nach Griechenla­nd?

Freunde von mir haben mir ein Haus auf Paros zur Verfügung gestellt, wo ich allein arbeiten kann. Die griechisch­e Mythologie ist es vor allem, die mich beschäftig­t. Das lese ich dort neu oder anders und eintauchen in eine antike Welt, das macht mir große Freude.

Was genau daran? Dort herrscht meist Krieg, es strotzt vor |MeToo-Geschichte­n, und Götter werden verherrlic­ht.

Ist ja wunderbar! (Lacht.) Es hat sich gar nichts geändert. Mich begeistert vor allem die Sprache, diese ganz eigene Strenge. Vor Kurzem habe ich in diesem Zusammenha­ng ein neues Buch entdeckt, „Memorial“von

Alice Oswald. Sie tritt darin als Rhapsodin auf, wie Homer, beschreibt aber nicht die großen Heroen, sondern das Fußvolk, das Leid, das den einfachen Menschen passiert ist. Das hat mich sehr beeindruck­t, es ist auch eine wunderbare Lyrik. Gerade für die letzten Arbeiten habe ich mich davon inspiriere­n lassen.

In Ihren jüngsten Arbeiten, die im Herbst in Paris in der Galerie Ropac ausgestell­t waren, erkennt man allerdings konkret Tiere, geschunden­e, ausgemerge­lte.

Man weiß ja, was im Krieg mit den Tieren passiert ist, den Pferden damals vor allem. Dazu kamen die Berichte über die schrecklic­hen Brände in Australien, bei der so viele Tiere ums Leben kamen. Die damalige und die jetzige Katastroph­e haben sich für mich verbunden. Die Katastroph­e ist immer da, mal mehr, mal weniger.

Eines Ihrer Pferde haben Sie 2019 in der Wiener Staatsoper als temporärer Eiserner Vorhang gezeigt.

Das war ein Trojanisch­es Pferd. Ein Symbol für alles, wo Unheil herkommt. Die russische Dichterin Marina Zwetajewa etwa bezeichnet­e den Zug, der Lenin nach Russland gebracht hat, als Trojanisch­es Pferd. Es sind diese ganzen Bilder in meinem Gedächtnis, die mich anregen.

Heute wären die Flugzeuge, die bei der Verbreitun­g der Pandemie eine Rolle gespielt haben, Trojanisch­e Pferde.

Es ist einfach ein Topos, der immer da ist.

Im Vergleich zu Ihren konkretere­n jüngeren Arbeiten sind Ihre Skizzenbüc­her sehr poetisch-abstrakt.

Die Methode meines Malens nähert sich manchmal mehr, manchmal weniger an das Motiv an. Es muss durch mich durchgehen, bevor ich es dann malerisch fixiere. Die Bilder in den Büchern sind sehr emotional, sie tauchen einfach auf, der Zufall ist für mich ein ganz wichtiges weiterführ­endes Element.

Sie sind aber auch eine Resteverwe­rtung. Wenn ich etwa im Pinsel noch eine wunderbare Farbe habe, bei dem Bild, das ich gerade male, aber nicht weiterkomm­e. Dann muss die Farbe woanders hin. Das kann ich nicht auswaschen. Das täte mir leid! Ich liebe diese Farben!

Dass manche Künstler über alles und jedes ihre Meinung äußern, haben Sie vor vielen Jahren eine „geistige Umweltvers­chmutzung“genannt. Wie sehen Sie das heute?

Ich gebe keine wörtlichen oder schriftlic­hen Stellungna­hmen ab zur Welt. Meine Kunst ist meine Stellungna­hme, meine Äußerung. Aber natürlich empfinde ich diese Zeit jetzt als katastroph­al. Mit meiner Malerei kann ich mich gegen meine Ängste aber wehren, sie stecken da drinnen.

In den Pariser Kadaverbil­dern hat man das stark gespürt. Die Bilder hier in Ihrem Atelier jetzt, an denen Sie gerade arbeiten, wirken dagegen leicht, fast fröhlich.

Die Pariser Serie ist abgeschlos­sen. Jetzt versuche ich eben Neues. Nachdem dieser grausige Zustand, nachdem diese Pandemie jetzt weitergeht und man nicht reisen kann, habe ich mir den Katalog zur Goya-Ausstellun­g in Basel bestellt. Jetzt mache ich die Maya selbst. Hauptsache, mit der Malerei anfangen. Der Vorwand ist völlig egal für mich.

Reflexarti­g und reptilienh­aft möchten Sie malen, haben Sie in Ihrem Manifest „Der Affe in mir“1988 geschriebe­n.

Zu viel denken ist nicht gut beim Malen. Natürlich muss man etwas im Hirn haben, unendlich viele Bilder – das Einzige, wovon man lernen kann, sind andere Maler. Es gibt unglaublic­h große Vorbilder, Jahrhunder­tbilder wie der „Spargel“von Manet. Man muss ein Wissen haben, für mich. Aber wenn ich male, muss ich das wieder vergessen. Sonst wird man zum Imitator. Wenn man durchlässi­g ist, dann geht das. Und oft auch nicht. Das ist das Risiko, das muss man eingehen.

Ihre Farben sind ganz besondere, sie ziehen sich auch in den Weihnachts­titeln durch diese Zeitung. Woher kommt diese auffällige Beschränku­ng in Ihrer Palette?

Das weiß ich nicht. Vielleicht von der Aktmalerei in der Kunstgesch­ichte. Rottöne, Fleischtön­e, Violetttön­e sind nun einmal meine ganz großen Vorlieben. Manchmal muss ich mich schon zwingen, andere Farben zu verwenden.

Es gibt die Anekdote, dass Sie einmal einen Bluterguss von der Sammlerin Agnes Essl porträtier­t haben.

Warum nicht, ein Bluterguss ist ästhetisch doch etwas Schönes. Kunst, die mit Flecken, mit Fleckengef­ügen, mit Farben umgeht, die interessie­rt mich. In Paris habe ich mir gerade eine Ausstellun­g von Willem de Kooning und Chaim Soutine angesehen – herrlich, auch solche Malschwein­e.

Das meinen Sie jetzt positiv?

Natürlich! Alles, nur keine abstrakte Hölle sehen.

Die da wäre?

Das sind die, die nur Quadrate malen. Da tue ich diesen Leuten sicher unrecht, aber mich interessie­rt es halt nicht.

Sie haben in den vergangene­n Jahren eine beispiello­se, gern Künstlerin­nen zugeschrie­bene „späte Karriere“hingelegt. Warum werden jetzt weltweit in der Kunst so viele Frauen „entdeckt“?

Jetzt greifen Sie eben auf die Frauen zurück, irgendwann kommt jeder dran! (Lacht.) Viele vergönnen mir diesen Erfolg nicht, höre ich. Vor allem die höheren Preise, die wollen die Wiener Sammler nicht zahlen. Meine Bilder ins Auktionsha­us tragen, das tun sie aber schon. Aber ich habe mir den Erfolg verdient. Das ganze Gelabere interessie­rt mich sowieso nicht. Ich beschäftig­e mich mit mir selbst, das ist schwierig genug. Ich muss weitermale­n. Jeden Tag vor der leeren Leinwand stehen. Das ist mein Problem.

Würden Sie sich denn als Feministin bezeichnen?

Nein. Als Malerin.

ZUR PERSON

Martha Jungwirth wurde 1940 in Wien geboren, sie studierte an der Angewandte­n. In einer legendären Ausstellun­g 1968 in der Secession wurde sie u. a. mit Ringel und Kochersche­idt als „Wirklichke­iten“präsentier­t; diese Gruppe existierte jedoch nur auf dem Papier. Jungwirth blieb mit ihrer poetischab­strakten Malerei Einzelkämp­ferin. Nach ersten Erfolgen (Documenta 6, 1977) wurde es stiller. Bis 2014 die Kunsthalle Krems eine Personale zeigte, 2018 die Albertina. 2018 bekam sie den KokoschkaP­reis, 2021 den Großen Österreich­ischen Staatsprei­s.

 ?? ?? Hörtipp: Sie können das Gespräch von Almuth Spiegler und Rainer Nowak mit Martha Jungwirth auch hören. Die Weihnachts­ausgabe des Podcasts „Was wichtig wird“ist ab heute abrufbar unter: DiePresse.com/Podcast
Hörtipp: Sie können das Gespräch von Almuth Spiegler und Rainer Nowak mit Martha Jungwirth auch hören. Die Weihnachts­ausgabe des Podcasts „Was wichtig wird“ist ab heute abrufbar unter: DiePresse.com/Podcast
 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Martha Jungwirth arbeitet in einer großen Halle im dritten Wiener Gemeindebe­zirk, das Atelier gehörte einst Franz West.
[ Clemens Fabry ] Martha Jungwirth arbeitet in einer großen Halle im dritten Wiener Gemeindebe­zirk, das Atelier gehörte einst Franz West.

Newspapers in German

Newspapers from Austria