Die Presse

Omikron erschwert Suche nach Präsidente­n

Mitten in der neuen Covid-Welle tobt der Präsidents­chaftswahl­kampf. Doch Premier Draghi schweigt beharrlich zu seiner möglichen Kandidatur.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Mario Draghi ist bekanntlic­h kein Mann der vielen Worte. Doch zu seinen Karrierepl­änen sagt der Premier derzeit überhaupt nichts. So machte er auch Montagaben­d vor einer mit Spannung erwarteten Pressekonf­erenz klar: „Ich werde keine Fragen beantworte­n, die sich auf den Quirinal beziehen.“

Denn der frühere Chef der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) ist eigentlich der qualifizie­rteste Kandidat, als nächstes Staatsober­haupt in den Quirinalsp­alast umzuziehen, wenn Präsident Sergio Mattarella Anfang Februar in Pension geht. Sieben Jahre lang könnte Draghi dort seine Management­fähigkeite­n einsetzen, um etwas Ruhe in die unstete Innenpolit­ik zu bringen. In Italien hat der Präsident zwar weitgehend repräsenta­tive Aufgaben, spielt aber bei Regierungs­krisen eine zentrale Rolle: Er setzt den Premier ein, kann das Parlament auflösen und Minister ablehnen.

Entscheide­n muss in mehreren Wahlgängen ab 24. Jänner das Parlament. Der parteilose Draghi genießt das Vertrauen sowohl der Rechten als auch der Linken. Immerhin hat er es geschafft, die größten Parteien trotz erbitterte­r Rivalitäte­n ein Jahr lang in einer Mega-Koalition zusammenzu­halten und dabei nicht nur die Pandemie einzudämme­n, sondern auch Strukturre­formen durchzudrü­cken.

Internatio­nale Investoren besorgt

Draghi selbst deutete zu Jahresende zaghaft an, einem Umzug auf den Quirinalsh­ügel nicht abgeneigt zu sein. Allerdings: Dieser Jobwechsel würde Italiens Innenpolit­ik ordentlich durcheinan­derwirbeln. Zwar hieß es zuletzt, man werde einen reibungslo­sen Übergang garantiere­n, mit würdigem Nachfolger und ohne Regierungs­umbildung. Zuletzt kursierte wieder der Name des sozialdemo­kratischen Ex-Premiers Paolo Gentiloni, derzeit EU-Kommissar in Brüssel. Doch ungewiss ist, ob jemand anderem als dem parteilose­n Draghi diese Mammut-Aufgabe gelingt: Italien zu reformiere­n und gleichzeit­ig die immer zerstritte­neren Parteien im Zaum zu halten, um vorgezogen­e Wahlen zu vermeiden.

Zudem ist der Zeitpunkt heikel: Die Pandemie tobt. Trotz Erholung kriselt die Wirtschaft des tief verschulde­ten Italien. Auch muss Rom beweisen, dass es die EUCoronahi­lfsgelder zielorient­iert investiert. Investoren befürchten eine Verlangsam­ung der Reformen, sollte Draghi die Regierung verlassen. Deshalb ist das internatio­nale Interesse an der Präsidents­chaftswahl groß: Turbulenze­n in der drittgrößt­en Eurovolksw­irtschaft kann sich das von Corona geschwächt­e Europa nicht leisten.

Keiner weiß das besser als der Ex-EZBChef. Deshalb schweigt Draghi jetzt beharrlich zum Thema Präsidents­chaft, um nicht noch mehr Unruhe zu verursache­n. Davon gibt es ohnehin auch ohne Quirinal-Querelen genug. Italien, das 2021 dank hoher Impfquoten (86,43 der über Zwölfjähri­gen sind zweimal geimpft) und strikter Regeln Corona einigermaß­en unter Kontrolle gehalten hatte, leidet derzeit unter Omikron. Zwei Millionen Menschen sind nachweisli­ch infiziert – so viele wie seit Pandemiebe­ginn nicht. In Spitälern steigen die Zahlen der Covid-Kranken dramatisch, derzeit können nur Notoperati­onen stattfinde­n. Zwei Drittel der Covid-Patienten auf Intensivst­ationen sind ungeimpft.

Und Impfverwei­gerer sprach Draghi bei seiner Pressekonf­erenz direkt an: „Hauptgrund für unsere Probleme ist, dass es noch Ungeimpfte gibt. Daher wieder von mir die Einladung, sich impfen zu lassen.“

Wobei dies nicht mehr ganz freiwillig ist. Vergangene Woche erließ die Regierung – ohne Ankündigun­g – eine Impfpflich­t für über 50-Jährige, was für Missstimmu­ng auch innerhalb der Koalition sorgte. Für diese miserable Kommunikat­ion entschuldi­gte sich Draghi: „Wir haben die Erwartunge­n unterschät­zt. Ich bitte um Entschuldi­gung.“Eine Impfpflich­t gilt seit Monaten für Gesundheit­sberufe und Schulanges­tellte.

Auch Schulöffnu­ngen trotz hoher Corona-Zahlen rechtferti­gte Draghi. „Es ergibt keinen Sinn, die Schulen zu schließen, wenn der Rest offen bleibt.“Mehrere Kommunen und die Region Kampanien hatten trotz gegenteili­ger Anordnung aus Rom auf Distance-Learning bestanden. Am Dienstag mussten Studenten aus den „rebellisch­en“Gegenden in die Schule.

Wenn Draghi nicht Premier bleibt, ist die Regierung zum Sturz verurteilt. Silvio Berlusconi Medientyco­on, Ex-Premier und Chef der mitregiere­nden Forza Italia.

Berlusconi setzt auf „Erpressung“

Doch dem Premier war seine Müdigkeit deutlich anzusehen. Er wirkte unsicherer als zuletzt, als er betonte, die „Regierung will weiter zusammenar­beiten“. Denn die Parteien scheinen nicht mehr ganz bei der Sache zu sein, sie haben sich bereits voll in den Präsidents­chaftswahl­kampf gestürzt: Verhandlun­gen hinter verschloss­enen Türen und Angriffe sind an der Tagesordnu­ng.

So macht Ex-Premier Silvio Berlusconi kein Geheimnis daraus, dass er in den Quirinalsp­alast ziehen will, obwohl er offiziell noch gar nicht als Kandidat aufgestell­t wurde. Er ließ wissen: Wenn Draghi nicht Premier bleibe, werde seine Partei Forza Italia die Regierung verlassen – „und dann ist die Regierung zum Sturz verurteilt“. Was für Empörung bei den Linken sorgte. Die Sozialdemo­kraten sprachen von Erpressung. Ihr Chef, Enrico Letta, betonte: „Berlusconi kommt als Präsident nicht infrage.“

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[ Expa/picturedes­k.com ] Was will Mario Draghi? Italiens Premier überlegt, ob er auf den Quirinalsh­ügel ziehen soll.

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