Omikron erschwert Suche nach Präsidenten
Mitten in der neuen Covid-Welle tobt der Präsidentschaftswahlkampf. Doch Premier Draghi schweigt beharrlich zu seiner möglichen Kandidatur.
Mario Draghi ist bekanntlich kein Mann der vielen Worte. Doch zu seinen Karriereplänen sagt der Premier derzeit überhaupt nichts. So machte er auch Montagabend vor einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz klar: „Ich werde keine Fragen beantworten, die sich auf den Quirinal beziehen.“
Denn der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) ist eigentlich der qualifizierteste Kandidat, als nächstes Staatsoberhaupt in den Quirinalspalast umzuziehen, wenn Präsident Sergio Mattarella Anfang Februar in Pension geht. Sieben Jahre lang könnte Draghi dort seine Managementfähigkeiten einsetzen, um etwas Ruhe in die unstete Innenpolitik zu bringen. In Italien hat der Präsident zwar weitgehend repräsentative Aufgaben, spielt aber bei Regierungskrisen eine zentrale Rolle: Er setzt den Premier ein, kann das Parlament auflösen und Minister ablehnen.
Entscheiden muss in mehreren Wahlgängen ab 24. Jänner das Parlament. Der parteilose Draghi genießt das Vertrauen sowohl der Rechten als auch der Linken. Immerhin hat er es geschafft, die größten Parteien trotz erbitterter Rivalitäten ein Jahr lang in einer Mega-Koalition zusammenzuhalten und dabei nicht nur die Pandemie einzudämmen, sondern auch Strukturreformen durchzudrücken.
Internationale Investoren besorgt
Draghi selbst deutete zu Jahresende zaghaft an, einem Umzug auf den Quirinalshügel nicht abgeneigt zu sein. Allerdings: Dieser Jobwechsel würde Italiens Innenpolitik ordentlich durcheinanderwirbeln. Zwar hieß es zuletzt, man werde einen reibungslosen Übergang garantieren, mit würdigem Nachfolger und ohne Regierungsumbildung. Zuletzt kursierte wieder der Name des sozialdemokratischen Ex-Premiers Paolo Gentiloni, derzeit EU-Kommissar in Brüssel. Doch ungewiss ist, ob jemand anderem als dem parteilosen Draghi diese Mammut-Aufgabe gelingt: Italien zu reformieren und gleichzeitig die immer zerstritteneren Parteien im Zaum zu halten, um vorgezogene Wahlen zu vermeiden.
Zudem ist der Zeitpunkt heikel: Die Pandemie tobt. Trotz Erholung kriselt die Wirtschaft des tief verschuldeten Italien. Auch muss Rom beweisen, dass es die EUCoronahilfsgelder zielorientiert investiert. Investoren befürchten eine Verlangsamung der Reformen, sollte Draghi die Regierung verlassen. Deshalb ist das internationale Interesse an der Präsidentschaftswahl groß: Turbulenzen in der drittgrößten Eurovolkswirtschaft kann sich das von Corona geschwächte Europa nicht leisten.
Keiner weiß das besser als der Ex-EZBChef. Deshalb schweigt Draghi jetzt beharrlich zum Thema Präsidentschaft, um nicht noch mehr Unruhe zu verursachen. Davon gibt es ohnehin auch ohne Quirinal-Querelen genug. Italien, das 2021 dank hoher Impfquoten (86,43 der über Zwölfjährigen sind zweimal geimpft) und strikter Regeln Corona einigermaßen unter Kontrolle gehalten hatte, leidet derzeit unter Omikron. Zwei Millionen Menschen sind nachweislich infiziert – so viele wie seit Pandemiebeginn nicht. In Spitälern steigen die Zahlen der Covid-Kranken dramatisch, derzeit können nur Notoperationen stattfinden. Zwei Drittel der Covid-Patienten auf Intensivstationen sind ungeimpft.
Und Impfverweigerer sprach Draghi bei seiner Pressekonferenz direkt an: „Hauptgrund für unsere Probleme ist, dass es noch Ungeimpfte gibt. Daher wieder von mir die Einladung, sich impfen zu lassen.“
Wobei dies nicht mehr ganz freiwillig ist. Vergangene Woche erließ die Regierung – ohne Ankündigung – eine Impfpflicht für über 50-Jährige, was für Missstimmung auch innerhalb der Koalition sorgte. Für diese miserable Kommunikation entschuldigte sich Draghi: „Wir haben die Erwartungen unterschätzt. Ich bitte um Entschuldigung.“Eine Impfpflicht gilt seit Monaten für Gesundheitsberufe und Schulangestellte.
Auch Schulöffnungen trotz hoher Corona-Zahlen rechtfertigte Draghi. „Es ergibt keinen Sinn, die Schulen zu schließen, wenn der Rest offen bleibt.“Mehrere Kommunen und die Region Kampanien hatten trotz gegenteiliger Anordnung aus Rom auf Distance-Learning bestanden. Am Dienstag mussten Studenten aus den „rebellischen“Gegenden in die Schule.
Wenn Draghi nicht Premier bleibt, ist die Regierung zum Sturz verurteilt. Silvio Berlusconi Medientycoon, Ex-Premier und Chef der mitregierenden Forza Italia.
Berlusconi setzt auf „Erpressung“
Doch dem Premier war seine Müdigkeit deutlich anzusehen. Er wirkte unsicherer als zuletzt, als er betonte, die „Regierung will weiter zusammenarbeiten“. Denn die Parteien scheinen nicht mehr ganz bei der Sache zu sein, sie haben sich bereits voll in den Präsidentschaftswahlkampf gestürzt: Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und Angriffe sind an der Tagesordnung.
So macht Ex-Premier Silvio Berlusconi kein Geheimnis daraus, dass er in den Quirinalspalast ziehen will, obwohl er offiziell noch gar nicht als Kandidat aufgestellt wurde. Er ließ wissen: Wenn Draghi nicht Premier bleibe, werde seine Partei Forza Italia die Regierung verlassen – „und dann ist die Regierung zum Sturz verurteilt“. Was für Empörung bei den Linken sorgte. Die Sozialdemokraten sprachen von Erpressung. Ihr Chef, Enrico Letta, betonte: „Berlusconi kommt als Präsident nicht infrage.“