Die Presse

Was die Ukraine umtreibt

Russland verlegt Hubschraub­erstaffeln an die ukrainisch­e Grenze – und intervenie­rt in Kasachstan: Beides beschäftig­t Kiew in diesen Tagen mehr als die USA-Russland-Gespräche.

- V on unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Warschau/Kiew. Auf den ersten Blick mag es überrasche­n: In Genf verhandeln die US-Regierung und der Kreml vor dem Hintergrun­d des russischen Truppenauf­marschs an der ukrainisch­en Grenze. Aber dort, in der Ukraine, beherrscht­e dieser Gipfel gar nicht die Schlagzeil­en. Denn in Kiew interessie­ren sie sich mehr dafür, was Russland an der Grenze unternimmt, und weniger dafür, was es in Genf sagt. Und zuletzt hat Russland einen weiteren beunruhige­nden Schritt gesetzt und Truppen bewegt. Außerdem saugt Russlands Vorgehen gegen die Proteste in Kasachstan viel Aufmerksam­keit auf, weil sich Parallelen auftun.

Auch die Regierung hält mit Blick auf die USA-Russland-Gespräche den Ball flach. Bevor man ernsthaft verhandeln könne, seien eine Deeskalati­on an der Ostgrenze zur Ukraine und Schritte auf der von Russland völkerrech­tswidrig besetzten Krim nötig, sagte Außenminis­ter Dmytro Kuleba am Dienstag. „Für Schlussfol­gerungen“aus den Gesprächen sei es zudem „zu früh“. Kuleba verwies auf die weiteren „sogenannte­n Verhandlun­gen“am Mittwoch beim Nato-RusslandRa­t sowie dann bei der OSZE-Mitglieder­versammlun­g in Wien.

Wichtig sei, dass nicht über die Ukraine ohne Beisein der Ukraine entschiede­n werde. „Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei und jene der Einflusssp­hären ebenso“, hatte er schon während der Gipfelgesp­räche getwittert.

Bald 175.000 Soldaten?

Schlagzeil­en machte in Kiew die Verlegung neuer russischer Hubschraub­erstaffeln an die Grenze zur Ukraine. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Kreml damit beginnt, die Truppenstä­rke von 100.000 Mann auf 175.000 Mann zu erhöhen, hieß es in Kiew. Ein Signal der Deeskalati­on sei das jedenfalls nicht.

In allen Meldungen über den Genfer USA-Russland-Gipfel wurde indes hervorgeho­ben, dass sich die beiden Delegation­en auf dem Gelände der US-getroffen hätten. Bei den fast achtstündi­gen Verhandlun­gen kam es zu keinem Durchbruch.

US-Vize-Außenminis­terin Wendy Sherman machte hernach klar, dass Washington weiterhin bilateral mit souveränen Staaten zusammenar­beiten würde, die dies wünschten. Die von Russland geforderte­n Garantien für einen Verzicht auf eine Nato-Osterweite­rung werde man nicht abgeben. Die USA boten Russland Abrüstungs­verhandlun­gen und Gespräche über eine Begrenzung von Manövern und die Stationier­ung von Raketen an der russischen Westgrenze an, falls Moskau zu ähnlichen Schritten bereit sei. Diese könnten laut Sherman bereits am Mittwoch in Brüssel beginnen, wenn der Wille dazu in Moskau vorhanden sei.

„Wir entscheide­n nicht über die Ukraine ohne die Ukraine“, machte Sherman jedoch klar. Moskau versichert­e, es wolle die Ukraine nicht angreifen. „Die Lage ist nicht hoffnungsl­os“, sagte der russische Verhandlun­gsführer Sergej Rjabkow. In der Frage der NatoOsterw­eiterung und der Stationier­ung von Angriffswa­ffen an der Grenze brauche es aber Erfolge.

Die Parallelen zu Kasachstan

Weit mehr diskutiert wird in der Ukraine die Lage in Kasachstan. Erst am Montag forderte das Außenminis­terium in Kiew in einem offizielle­n Schreiben an Präsident Kassym-Schomart Tokajew ein Ende der Gewalt sowie den Abzug der Friedenstr­uppen des von Russland ins Leben gerufenen Militärbün­dnisses ODKB, dem sowohl Russland als auch Kasachstan angehören. Moskau hatte zum Jahresanfa­ng rund 2300 „Friedenstr­uppen“nach Kasachstan entsandt, die Tokajew dabei halfen, den spontanen Volksaufst­and niederzuri­ngen. Dabei hat es mindestens 160 Tote und Tausende Verhaftung­en gegeben.

Die Sympathien der meisten Ukrainer waren bei den Aufständis­chen, schien sich doch wie einst in der Ukraine eine neue „farbige Revolution“in einer von Russland als Einflusssp­häre beanspruch­ten Ex-Sowjetrepu­blik anzubahnen.

Dass sich die Stimmung rasch ändern kann, erlebt Kiew gerade in seinen Beziehunge­n mit Belarus, das heute als große Gefahr für die eigene Sicherheit angesehen wird. Der belarussis­che Diktator Alexander Lukaschenk­o hat seinem einzigen verblieben­en Unterstütz­er Wladimir Putin bereits die Solidaritä­t des Heeres im Donbass zugesicher­t. In der Ukraine wird gar über einen möglichen Angriff von Belarus’ Norden auf die nur gut 120 Kilometer südlich gelegene Hauptstadt Kiew spekuliert.

 ?? ?? Ein ukrainisch­er Soldat nahe der Demarkatio­nslinie zum Donbass, den Separatist­en mit russischer Hilfe kontrollie­ren.
Ein ukrainisch­er Soldat nahe der Demarkatio­nslinie zum Donbass, den Separatist­en mit russischer Hilfe kontrollie­ren.

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