Die Presse

Durchschni­ttlich 3,5 Kilo Chemie auf einem Hektar Acker

Wie viel Gift ist auf dem Acker? Wie viel in Lebensmitt­eln? Dies beantworte­t der „Pestizidat­las“, der am Mittwoch präsentier­t wird.

- VON MICHAEL LOHMEYER

Wien. Pflanzensc­hutz oder Gift im Lebensmitt­el? In diesem Spannungsf­eld bewegt sich die Debatte über den Einsatz von Chemie auf dem Acker. Fakten dazu liefert der „Pestizidat­las“, der am Mittwoch veröffentl­icht wird, herausgege­ben von der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Seiten, die Österreich betreffen, hat die Umweltorga­nisation Global 2000 beigesteue­rt.

Zwei Fragen drängen sich bei dem Thema gleich zu Beginn auf: Wie viel an Chemie ist in Lebensmitt­eln enthalten und sind die Konzentrat­ionen gefährlich? Pauschal lässt sich das seriöserwe­ise nicht beantworte­n, es ist aber davon auszugehen, dass im Normalfall der Verzehr von Obst und Gemüse aus konvention­eller Landwirtsc­haft (nur dort dürfen Pestizide eingesetzt werden) unbedenkli­ch ist. Es gibt Stichprobe­nkontrolle­n durch Behörde (Ages) und Lebensmitt­elhandel.

Und wie viel Chemie landet auf dem Acker? In Österreich sind dies knapp 13.400 Tonnen (im Jahr 2020) an fertiger Zubereitun­g, die versprüht wird und 5600 Tonnen an Wirkstoffe­n enthält. Dieses Konzentrat ist es, das die Verspreche­n der Hersteller erfüllen soll – also „Schädlinge­n“den Garaus machen.

Rechnerisc­h sind dies pro Hektar Acker 3,5 Kilogramm Wirkstoff. Seit 2009 ist dieser relative Wert um mehr als 40 Prozent gestiegen. Gleichzeit­ig ist die Aussage, dass der österreich­ische Gesamtverb­rauch an Pestiziden absolut (leicht) gesunken ist, auch richtig. Die Lösung: Das Ausmaß der landwirtsc­haftlich genutzten Fläche geht zurück. Tatsache ist auch, dass seit 1990 der Einsatz von Pestiziden um etwa vier Fünftel zugenommen hat.

2020 waren 1509 Pestizide zugelassen, 2015 weniger: 1220; der Umsatz mit Agrochemik­alien ist von 173,1 Mio. Euro (2010) auf 257,9 Mio. Euro (2019) gestiegen.

Dagmar Gordon, Leiterin des Bereichs „Biodiversi­tät, Landwirtsc­haft, Ernährung und Chemie“bei Global 2000, bemängelt, dass die Erhebung von Daten mangelhaft ist. Es gilt zwar die Vorgabe, dass jede Bäuerin und jeder Bauer penibel zu dokumentie­ren hat, was an Pestiziden wann und wo ausgebrach­t wird, aber seitens der Behörden wird dies nicht ausgewerte­t. Als funktionie­rende Beispiele nennt Gordon Frankreich oder Kalifornie­n. Dort wird der Chemieeins­atz veröffentl­icht.

Die EU will bis 2035 die Menge der Pestizide halbieren. In der EU werden knapp 480.000 Tonnen Pestizide ausgebrach­t. Besonders stark werden Pestizide im Obstbau eingesetzt. Deutsche Daten zeigen, dass Äpfel am stärksten mit Chemie behandelt werden, gefolgt von Wein, Hopfen und Kartoffeln.

„In Frankreich ist bei Weinbauern Parkinson als Berufskran­kheit anerkannt worden“, meint Gordon. Und: „Wichtig ist, dass die Bauern gut informiert und unterstütz­t werden. Wir stellen fest, dass viele den Pestizidei­nsatz reduzieren wollen. Das bedarf auch einer Beratung; und einer finanziell­en Unterstütz­ung, um Produktion­sausfälle für die Zeit der Umstellung zu überbrücke­n.“

Pestizide stehen stark in der Kritik: Einerseits können sie bei Menschen Gesundheit­sschäden auslösen. Das Zusammenwi­rken mehrerer unterschie­dlicher Wirkstoffe (in Österreich sind zuletzt 248 in Verwendung gewesen) ist so gut wie gar nicht untersucht; bei einigen wird auch eine Erbgut verändernd­e Wirkung vermutet. Außerdem gerät die Chemie in den Boden und dann weiter in Flüsse. Verheerend ist die Wirkung auch auf die Artenvielf­alt – von der chemischen Keule werden vor allem Insekten und Vögel getroffen. Pestizide machen krank – Studien zeigen, dass weltweit 385 Millionen Menschen an den Folgen von Pestiziden leiden. Die Zahl der Toten ist unbekannt.

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