Durchschnittlich 3,5 Kilo Chemie auf einem Hektar Acker
Wie viel Gift ist auf dem Acker? Wie viel in Lebensmitteln? Dies beantwortet der „Pestizidatlas“, der am Mittwoch präsentiert wird.
Wien. Pflanzenschutz oder Gift im Lebensmittel? In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Debatte über den Einsatz von Chemie auf dem Acker. Fakten dazu liefert der „Pestizidatlas“, der am Mittwoch veröffentlicht wird, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Seiten, die Österreich betreffen, hat die Umweltorganisation Global 2000 beigesteuert.
Zwei Fragen drängen sich bei dem Thema gleich zu Beginn auf: Wie viel an Chemie ist in Lebensmitteln enthalten und sind die Konzentrationen gefährlich? Pauschal lässt sich das seriöserweise nicht beantworten, es ist aber davon auszugehen, dass im Normalfall der Verzehr von Obst und Gemüse aus konventioneller Landwirtschaft (nur dort dürfen Pestizide eingesetzt werden) unbedenklich ist. Es gibt Stichprobenkontrollen durch Behörde (Ages) und Lebensmittelhandel.
Und wie viel Chemie landet auf dem Acker? In Österreich sind dies knapp 13.400 Tonnen (im Jahr 2020) an fertiger Zubereitung, die versprüht wird und 5600 Tonnen an Wirkstoffen enthält. Dieses Konzentrat ist es, das die Versprechen der Hersteller erfüllen soll – also „Schädlingen“den Garaus machen.
Rechnerisch sind dies pro Hektar Acker 3,5 Kilogramm Wirkstoff. Seit 2009 ist dieser relative Wert um mehr als 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist die Aussage, dass der österreichische Gesamtverbrauch an Pestiziden absolut (leicht) gesunken ist, auch richtig. Die Lösung: Das Ausmaß der landwirtschaftlich genutzten Fläche geht zurück. Tatsache ist auch, dass seit 1990 der Einsatz von Pestiziden um etwa vier Fünftel zugenommen hat.
2020 waren 1509 Pestizide zugelassen, 2015 weniger: 1220; der Umsatz mit Agrochemikalien ist von 173,1 Mio. Euro (2010) auf 257,9 Mio. Euro (2019) gestiegen.
Dagmar Gordon, Leiterin des Bereichs „Biodiversität, Landwirtschaft, Ernährung und Chemie“bei Global 2000, bemängelt, dass die Erhebung von Daten mangelhaft ist. Es gilt zwar die Vorgabe, dass jede Bäuerin und jeder Bauer penibel zu dokumentieren hat, was an Pestiziden wann und wo ausgebracht wird, aber seitens der Behörden wird dies nicht ausgewertet. Als funktionierende Beispiele nennt Gordon Frankreich oder Kalifornien. Dort wird der Chemieeinsatz veröffentlicht.
Die EU will bis 2035 die Menge der Pestizide halbieren. In der EU werden knapp 480.000 Tonnen Pestizide ausgebracht. Besonders stark werden Pestizide im Obstbau eingesetzt. Deutsche Daten zeigen, dass Äpfel am stärksten mit Chemie behandelt werden, gefolgt von Wein, Hopfen und Kartoffeln.
„In Frankreich ist bei Weinbauern Parkinson als Berufskrankheit anerkannt worden“, meint Gordon. Und: „Wichtig ist, dass die Bauern gut informiert und unterstützt werden. Wir stellen fest, dass viele den Pestizideinsatz reduzieren wollen. Das bedarf auch einer Beratung; und einer finanziellen Unterstützung, um Produktionsausfälle für die Zeit der Umstellung zu überbrücken.“
Pestizide stehen stark in der Kritik: Einerseits können sie bei Menschen Gesundheitsschäden auslösen. Das Zusammenwirken mehrerer unterschiedlicher Wirkstoffe (in Österreich sind zuletzt 248 in Verwendung gewesen) ist so gut wie gar nicht untersucht; bei einigen wird auch eine Erbgut verändernde Wirkung vermutet. Außerdem gerät die Chemie in den Boden und dann weiter in Flüsse. Verheerend ist die Wirkung auch auf die Artenvielfalt – von der chemischen Keule werden vor allem Insekten und Vögel getroffen. Pestizide machen krank – Studien zeigen, dass weltweit 385 Millionen Menschen an den Folgen von Pestiziden leiden. Die Zahl der Toten ist unbekannt.