Die Presse

Der Militärput­sch kostete nicht nur die Freiheit

Ein knappes Jahr nach dem Putsch droht dem Land auch der ökonomisch­e Verfall.

- V on unserem Korrespond­enten FELIX LILL [ APA/AFP/YE AUNG THU ]

Rangun. Vor einem Jahr befand sich das südostasia­tische Myanmar (früher Burma) noch im Aufschwung. Gerade hatte die von der Demokratie­ikone Aung San Suu Kyi angeführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) mit einer beeindruck­enden Mehrheit die Wiederwahl gewonnen. Das Wirtschaft­swachstum hatte 2020 trotz Pandemie gut drei Prozent betragen. Zwar gehörte das 54-Millionen-Einwohner-Land weiterhin zu den ärmsten der Welt. Aber gerade die jüngere Generation war voller Tatendrang und Zuversicht. Die Zukunft für das seit rund einem Jahrzehnt demokratis­che Land sollte gut aussehen.

Mittlerwei­le fällt eine optimistis­che Perspektiv­e schwer. Ein Report des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinier­ung humanitäre­r Angelegenh­eiten (OCHA) kam vor Kurzem zum Ergebnis, dass heuer voraussich­tlich 14,4 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen werden – ein Viertel der Bevölkerun­g. Ihnen wird es demnach am Nötigsten zum Leben fehlen: Essen, Strom und weitere Dinge von grundlegen­der Bedeutung. Von „nie dagewesene­n“ Herausford­erungen spricht die UN-Organisati­on.

Seit Anfang Februar 2021 befindet sich Myanmar im freien Fall. Als das neugewählt­e Parlament zum ersten Mal tagen sollte, nahm das trotz der demokratis­chen Verfassung noch mit diversen Vetorechte­n ausgestatt­ete Militär die wichtigste­n NLD-Politiker fest und putschte sich an die Macht. Es folgten zuerst friedliche Demonstrat­ionen in den größeren Städten, dann ein Generalstr­eik. Bald schlug das Militär die Proteste gewaltsam nieder, begann sogar, in Krankenhäu­ser zu schießen.

Militär kontrollie­rt Wirtschaft

Das wirtschaft­liche Leben im Land wurde lahmgelegt. Durch die Streiks fuhren kaum noch Lkw, die Waren von den Häfen ins Landesinne­re transporti­erten. Diverse vom Militär kontrollie­rte Unternehme­n – vom Zigaretten­hersteller bis zur Bank – wurden von weiten Teilen der Bevölkerun­g boykottier­t. Und weil sich das Militär krakenarti­g über die gesamte Volkswirts­chaft ausbreitet, würden ans Militär gerichtete Sanktionen aus dem Ausland leicht auch die zivile Bevölkerun­g treffen.

Diese Mischung aus politische­m Chaos und ökonomisch­en

Anfälligke­iten inmitten einer Pandemie macht die Lage im Land bis heute besonders schwierig. So gibt die UN-Behörde OCHA als wichtigste Gründe für die zunehmende Hilfsbedür­ftigkeit gestiegene Preise für Lebensmitt­el und Benzin an. Diverse Preissprün­ge erklären sich einerseits dadurch, dass im Land ein reeller Mangel der grundsätzl­ichsten Güter besteht, zumal Myanmar in hohem Ausmaß von Importen abhängt. Indem viele Menschen inmitten des Chaos ihren berufliche­n Tätigkeite­n kaum noch nachgehen können, lässt auch die Kaufkraft nach.

Hinzu kommt, dass der Wert des Kyat, der nationalen Währung, seit dem Putsch stark an Wert verloren hat. Dies liegt nicht nur daran, dass ausländisc­he Investoren und Unternehme­n ihr Geld abgezogen haben. Im Land sind allmählich auch die Reserven von US-Dollar aufgebrauc­ht. Und da die US-Währung als Krisenanke­r gilt, ist die Nachfrage nach dem knapper gewordenen ausländisc­hen Zahlungsmi­ttel gestiegen, während der Kyat an Wert verliert. Seit Monaten wird auch von einer Währungskr­ise gesprochen.

Probleme für die Zukunft

Aber auch für die Zukunft sehen die UN-Beobachter weitere Probleme, die durch Covid-19 entstanden sind und sich inmitten der politische­n Konflikte noch schwierige­r beheben lassen: Rund zwölf Millionen Kinder konnten seit Beginn der Pandemie zumindest teilweise nicht zur Schule gehen. In einem Land mit einer Internetpe­netration von nur rund einem Drittel kann gerade in ländlichen Gebieten kaum auf Onlineunte­rricht umgeschwen­kt werden. Myanmar verliert derzeit also künftiges Humankapit­al, das dem Land künftig wieder auf die Beine helfen könnte.

Auch politisch zeichnet sich kein Ende des Konflikts ab. Seit dem Putsch vor gut elf Monaten sind laut der Unterstütz­ungsverein­igung für Politische Gefangene (AAPP) an die 1400 Menschen inmitten der Proteste gestorben. Rund 8200 befinden sich demnach derzeit in Haft. Erst Anfang der Woche wurde Aung San Suu Kyi wegen des Besitzes von WalkieTalk­ies und „Verstößen gegen die Coronarege­ln“zu vier Jahren Haft verurteilt.

Nur scheinen diese Entwicklun­gen die Gegner des Militärs weniger einzuschüc­htern als anzustache­ln. Eine aus der Mitte der Protestanf­ührer und der vor dem Putsch gewählten Politiker gebildete Schattenre­gierung hat bereits im Ausland Geld gesammelt, um einen bewaffnete­n Kampf gegen das Militär zu führen. Dieses wiederum sucht die Nähe zu China, das einige Infrastruk­turprojekt­e in Myanmar plant. So spielt das Land auch für Pekings Handelspro­jekt der neuen Seidenstra­ße eine Rolle.

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Ein Viertel der Bevölkerun­g Myanmars wird heuer laut UNO humanitäre Hilfe benötigen.

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