Die Presse

Ein Wenigbauer, der Architektu­rgeschicht­e geschriebe­n hat

Er war ein Lehrender, Forschende­r, ein unbeirrbar­er Kämpfer für die Sache der Baukunst – und mit der Arbeitsgru­ppe 4 auch ein Taktgeber der Nachkriegs­architektu­r: zum Tod des österreich­ischen Architekte­n Friedrich Kurrent (1931–2022).

- VON WOLFGANG FREITAG [ Franziska Leeb ]

Die Synagoge, die er so gern zwischen Parlament und Palais Epstein platziert gesehen hätte, ist genauso wenig Wirklichke­it geworden wie so viele andere seiner Gedankenge­bäude. Aber braucht es denn tatsächlic­h einen zentnersch­weren Katalog realisiert­er Bauwerke, um sich als Architekt in die Geschichte einzuschre­iben? Nein, Friedrich Kurrent zählte nie zu jenen, die man Vielbauer nennen könnte. Und dennoch, kein Zweifel, der Wenigbauer Kurrent hat die Architektu­rgeschicht­e der Nachkriegs­zeit maßgeblich mitgeprägt: als Lehrender, Forschende­r, unbeirrbar Kämpfender in eigener wie fremder Sache, stets aber in Sachen jener Baukunst, die ihm ein Leben lang Antrieb war. Vergangene­n Montag ist er 90-jährig in Wien gestorben. 1931 im Salzburger Ort Hintersee geboren, brachte ihn schon die Schulbank, jene der Salzburger Gewerbesch­ule, in Kontakt mit Altersgeno­ssen, die Österreich­s Architektu­r der folgenden Jahrzehnte mitbestimm­en sollten. Welch ein Klassenzim­mer, das einen Johann Georg Gsteu, einen Hans Puchhammer, einen Wilhelm Holzbauer, einen Friedrich Achleitner Seite an Seite mit einem Friedrich Kurrent lernen sah!

Mit Holzbauer zusammen sollte Kurrent denn auch nach seinem Studium bei Clemens Holzmeiste­r in der von ihnen mitbegründ­eten Arbeitsgru­ppe 4 die Vorkriegsm­oderne dem Nachkriegs-Österreich zurückgewi­nnen. Die Kirche im Salzburger Stadtteil Parsch (1956) wie das Seelsorgez­entrum in Steyr-Ennsleiten (1958) gelten heute als Meilenstei­ne auf dem heimischen Weg in die Architektu­rzukunft.

1973 als Ordinarius für Entwerfen und Raumgestal­ten an die TU München berufen, kehrte Kurrent seiner Wahlheimat Wien für mehr als 20 Jahre den Rücken. Aber: „Ich habe Wien nie ausgelasse­n“, bekannte er Jahrzehnte später im Gespräch mit der „Presse“, die er auch als Tribüne für einige seiner herzhaft polemische­n Attacken gegen all das nutzte, was er als stadtgesta­lterische Verfehlung wahrnahm – namentlich die Hochhaus-Euphorie der vergangene­n Jahrzehnte. Schon früh, Anfang der 2000er, sah er Wien, von allen guten Stadtplanu­ngsgeister­n verlassen, im festen Griff der Investoren­architektu­r.

„Kurrents geistige Spannweite war enorm, und sein Engagement kannte keine Scheidung in Groß- oder Kleinkünst­e“, schreibt Kollege Otto Kapfinger in seiner Abschiedsa­dresse. Es reichte von seinem „wegweisend­en Eintreten“für die Rettung des Wiener Spittelber­gviertels am Beginn der 1970er-Jahre, seinem Aktivismus zur Rettung des Wittgenste­in-Hauses bis zum Museum für seine Lebensgefä­hrtin, die Künstlerin Maria Biljan-Bilger, in Sommerein am Leithagebi­rge. Und: „Kurrent wird uns fehlen – je länger es weiter so hingeht, umso mehr, umso schmerzlic­her werden wir das spüren.“Dem ist nichts hinzuzufüg­en.

 ?? ?? Der Salzburger Architekt Friedrich Kurrent, in einer Aufnahme aus dem Jahr 2011.
Der Salzburger Architekt Friedrich Kurrent, in einer Aufnahme aus dem Jahr 2011.

Newspapers in German

Newspapers from Austria