Die Presse

So hält Buchbinder Wiener Schmäh auf Distanz

Musikalisc­he Lokalpatri­oten feierten im Goldenen Saal den halbrunden Geburtstag des Pianisten, der sich selbst zum Jubiläum Musik von Brahms, Schubert und Beethoven schenkte.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Unser Rudolf Buchbinder – kaum war das Konzert angekündig­t, war es auch schon ausverkauf­t. Was in düsteren Zeiten wie diesen hieß: nur eintausend Zuhörer im Goldenen Saal. Es galt ja auch, einen markanten, unrunden Geburtstag der Ikone der Wiener Pianistik gebührend nachzufeie­rn – das ist einfach ein gesellscha­ftlicher Höhepunkt.

Allemal frivol der Einstieg mit Brahms’ „Vier Klavierstü­cken“, op. 119. Intimere, persönlich­ere Abschiedss­tücke gibt es kaum. Da spürt ein reifer Mann, wie dünn die Luft bereits geworden ist, und dennoch ist dabei nichts Weinerlich­es oder übertriebe­n Elegisches. Da handelt es sich um einzigarti­ge, fast schüchtern­e Edelsteine übers Farewell-Sagen. Bei Buchbinder tröpfelt das gemächlich dahin ohne zu berühren. Alles zerfließt wie rinnende Wasserfarb­en und gerät dennoch nicht verdächtig in die Nähe von Chopins „Regentropf­en“-Prélude. Zum Glück ist für das Pianoforte das Pedal längst erfunden, mit dessen inflationä­rem Gebrauch der späte Brahms nun in klebrige Nebelschwa­den getaucht werden kann.

Und weiter ging’s mit privaten Tönen in Unverbindl­ichkeit: Schuberts Impromptus, D 935. Ebenso Charakters­tücke aus der Endzeit: mal sentimenta­l (ohne in Kitschregi­onen abzustürze­n), mal trotzig oder skurril den frechen Jargon suchend, von Schubert in unfassbare­r Art und Weise in andere Regionen (bessere Welten?) überhöht.

Maßlose Herausford­erungen

Die Herausford­erungen an den Interprete­n scheinen maßlos. Buchbinder versucht’s mit Distanz, die Annäherung gelingt zwar klanglich nobel, der wienerisch­e Schmäh bleibt aber vorerst noch draußen, das Doppelbödi­ge fehlt ebenso wie das gefährdete Existenzie­lle oder Schuberts Todesnähe. Einfach darüber zu plaudern scheint Rezept und Devise geworden zu sein.

Sollte dieser charakteri­stische BrahmsSchu­bert-Mix Teil einer Programmid­ee gewesen sein, sie wurde nicht weiter verfolgt. Dabei hätte sich retrospekt­iv wie vorausblic­kend vieles angeboten (von Sweelinck bis Ives, Janáček, Webern oder Gershwin).

Buchbinder suchte lieber das gemachte Bett und zog seine Zirkusaren­a der Virtuositä­t vor, steht doch seine Beethoven-Sicht schon zu Lebzeiten unter Denkmalsch­utz. Kaum noch geschmiert­e Passagen, die „Appassiona­ta“durfte nach allen Regeln der Kunst explodiere­n und in die Knochen fahren. Form, Struktur, Inhalt passten nachdrückl­ich, keine Fragen blieben offen.

Alle im Publikum schienen versöhnt und dankbar, nachdem Buchbinder sich endlich frei und warm gespielt hatte. Picobello die Zugaben: das Finale aus Beethovens „Sturm“-Sonate in fast magischer Durchsicht­igkeit der Sechszehnt­el-Motorik und in kostbarer nuancenrei­cher Aufmachung. Schließlic­h noch ein Schubert-Impromptu-Annäherung­sversuch: perfekt im Jargon der Wiener Vorstadt: das muss auch noch in Liechtenth­al so gehört worden sein.

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