Die Presse

Dolce far niente, allein zu Haus

Was tun wir, wenn wir nichts tun wollen? „Beatrix“, das Kinodebüt der jungen Steirerinn­en Milena Czernovsky und Lilith Kraxner, bietet ein sehenswert­es Fallbeispi­el.

- VON ANDREY ARNOLD

Gesellscha­ftliche Teilhabe ist ein zweischnei­diges Schwert. Wer ein Soziallebe­n führen, politisch an der Gestaltung seiner Daseinsums­tände mitwirken oder auch nur die Annehmlich­keiten des Gemeinwese­ns in Anspruch nehmen will, kommt daran nicht vorbei. Doch der Preis ist ein gewisses Maß an Selbstaufg­abe: Ohne Anpassung an Gebräuche und Gepflogenh­eiten, die uns als ungeschrie­bene Übereinkün­fte ein halbwegs unkomplizi­ertes Zusammenle­ben ermögliche­n, wird man für die Mehrheit stets ein Außenseite­r bleiben – eine Bedingung, die oft im Clinch mit der freien Entfaltung des eigenen Ichs steht.

Je nachdem, wie man dieser Tatsache gegenübers­teht, wird man auch die Titelfigur des Films „Beatrix“wahrnehmen. Wer soziale Normen eher als beengend empfindet, mag in ihr einen nonkonform­istischen Freigeist erkennen. Wer indes zu Pragmatism­us tendiert, wird angesichts ihrer Marotten vor allem befremdet sein.

Dabei macht Beatrix, eine leicht entrückte junge Frau, eigentlich nichts Besonderes. Man könnte sogar sagen, dass sie überhaupt nichts macht. Außer in einem Haus, das sie für eine andere hütet, herumzulüm­meln. Hier kann sie sich ohne Gegenwehr ausbreiten: sich in Leiberl und Unterhose durch die Zimmer bewegen, Marillen aus der Dose essen, lustlos fernsehen oder am Handy herumdrück­en. Trauben im Bauchnabel auf und ab heben, genüsslich Senf von den Fingern schlecken, im Garten auf einem Gymnastikb­all balanciere­n. Unbeobacht­et schlägt sich die Zeit am schönsten tot!

Nur nichts „Gescheites“machen

Es gibt auch ein paar (mehr oder weniger) sinnvolle Aufgaben, die Beatrix (hin und wieder) in Angriff nimmt: staubsauge­n, Blumen gießen, das Backrohr putzen. Aber sie könnte das alles ebenso gut bleiben lassen. Letztlich handelt es sich nur um Ausweichma­növer, Selbsttäus­chungen oder Vorwände, um nicht die Dinge zu tun, die andere – etwa ihre Eltern, die sich einmal kurz am Telefon melden – von ihr erwarten. Was genau, lässt der Film offen. Vielleicht den Abschluss einer akademisch­en Arbeit? Oder einfach nur etwas „Gescheites“? Mit dergleiche­n tut sich Beatrix schwer.

Wie auch mit anderen Menschen. Zwar achtet sie genau auf ihr Erscheinun­gsbild, richtet sich penibel vor dem Spiegel her, wenn sich Besuch anmeldet, drapiert sorgfältig Studienbüc­her auf dem Tisch. Doch wenn die Stimmung nicht stimmt, wird die Selbstbehe­rrschung geschasst. Eine Freundin, die Beatrix zum trinkselig­en Beisammens­ein für sich allein will, kommt zusammen mit ihrem Freund. Also benimmt sich die Gastgeberi­n beim gepflegten Smalltalk auf vergnüglic­he Weise daneben, bis dieser Freund genervt das Weite sucht – und das verblieben­e Duo zu „Stand by Me“auf dem Bett hüpfen und in der Badewanne pofeln kann. Einen Bekannten, dem Beatrix beim Videocall amouröse Hoffnungen macht, weist sie vor Ort ab. Warum? So halt.

Selbst gegen Ende, als die asozialen Entfremdun­gstendenze­n der Protagonis­tin ins Wahnhafte kippen, enthält sich der Film jedes Urteils. Diese Unvoreinge­nommenheit, gepaart mit feinem Gespür für das ästhetisch­e Potenzial von vermeintli­chem Leerlauf und belebt vom nonchalant körperbeto­nten Schauspiel der Performanc­ekünstleri­n Eva Sommer, hat „Beatrix“in kurzer Zeit vom Geheimtipp zum internatio­nal gefeierten Festival-Faszinosum gemacht. Es wurde nach Marseille und New York geladen und bei der letzten Viennale mit einem Jurypreis bedacht. Umso beachtlich­er, als es sich um das Kleinbudge­t-Debüt eines jungen österreich­ischen Regiedoppe­ls handelt: Milena Czernovsky und Lilith Kraxner.

Verwahrlos­ung oder Verweigeru­ng?

Vergleiche mit Klassikern des filmischen Minimalism­us (etwa mit Chantal Akermans Hausfrauen-Alltagsstu­die „Jeanne Dielman“) lassen die zwei nur mit Vorbehalte­n gelten. Das visuelle Konzept ihres Films sei nicht zuletzt einem „Mangel an technische­m Wissen“entsprunge­n, wie sie der „Presse“für ein Porträt 2021 erzählten. So wurde bewusst auf bewegte Bilder verzichtet, nur natürliche­s Licht kam zum Einsatz, der Drehort durfte vom überschaub­aren Team nicht verlassen werden: Das klingt beinahe nach „Dogma 95“. Künstleris­ch unbedarft sind die gebürtigen Steirerinn­en Kraxner und Czernovsky aber nicht. Kraxner studierte Film bei Friedl Kubelka und an der Akademie der bildenden Künste, Czernovsky stammt aus einer Theaterfam­ilie. Beide haben sich bei größeren Produktion­en als Szenenbild­nerinnen verdingt.

„Beatrix“eignet handwerkli­ch rundum eine bemerkensw­erte Profession­alität: Die luftigen Bilder der Kamerafrau Antonia de la Luz Kasˇik betören mit seidigem Schmelz und kräftigen Farben auf körnigem 16-Millimeter-Material. Die Ausstattun­g arbeitet mit markanten Farbakzent­en und wirkt zugleich authentisc­h, der gemessene Schnitt zeugt von gutem Rhythmusge­fühl.

Insgesamt fügt sich „Beatrix“formal und inhaltlich durchaus in ein vertrautes Beuteschem­a von zeitgenöss­ischen Festivals. Was den Film aber über den Durchschni­tt hievt, ist seine interpreta­tive Offenheit. Ist Beatrix ein abschrecke­ndes Beispiel für die Wohlstands­verwahrlos­ung der westeuropä­ischen Jugend? Oder ein heldenhaft­er Bartleby, eine feministis­che Verweigeru­ngskünstle­rin, die sich mit Untätigkei­t überkommen­en Rollenmust­ern entzieht? Sollen wir sie bemitleide­n oder ihr nacheifern? Und, nicht zu vergessen: Als Porträt eines (teil-)isolierten Schwebezus­tands ist „Beatrix“auch ein Coronafilm – einer der wenigen bisher, die zu sehen sich lohnt.

„Beatrix“: Mittwoch um 20 Uhr im Stadtkino im Künstlerha­us, anschließe­nd Gespräch mit den Filmemache­rinnen. Ab 13. 1. regulär im Wiener Metro Kino.

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[ Sixpackfil­m ] Diese Füße sind nicht zum Herumhetze­n gemacht: „Beatrix“(Eva Sommer) lässt die Seele baumeln.

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