Die Presse

Überwachun­gsaffäre schockiert Israel

„Pegasus“-Skandal. Laut neuen Enthüllung­en setzte Israels Polizei die Spähsoftwa­re der Firma NSO massiv gegen Unternehme­r, Abgeordnet­e und NGOs ein. Der Premier verspricht Aufklärung.

- Von unserer Korrespond­entin MAREIKE ENGHUSEN

Israels Skandal um die berüchtigt­e Spähsoftwa­re „Pegasus“zieht immer weitere Kreise. Die Polizei soll die Software der israelisch­en Firma NSO genutzt haben, um die Direktoren mehrerer Ministerie­n auszuspähe­n – außerdem Unternehme­r, Abgeordnet­e, Bürgermeis­ter, Organisato­ren von Protesten und sogar Avner Netanjahu, den Sohn des früheren Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu. Dabei verletzte die Polizei wohl nicht nur die Privatsphä­re der Betroffene­n, sondern auch rechtliche und demokratis­che Prinzipien.

Vor drei Wochen hatte die israelisch­e Wirtschaft­szeitung „Calcalist“aufgedeckt, dass die Polizei die Spähsoftwa­re „Pegasus“jahrelang gegen Kriminelle, Verdächtig­e und auch unbescholt­ene Personen eingesetzt haben soll – offenbar ohne die erforderli­che Genehmigun­g durch ein Gericht. Die Polizeifüh­rung bestreitet das, doch „Calcalist“bringt derweil immer weitere Einzelheit­en ans Licht – und jede enthält neue Brisanz. Diese Woche veröffentl­ichte die Zeitung die Namen einiger ausgespäht­er Personen.

Linke und Rechte im Visier

Viele israelisch­e Bürger dürfte die Liste schockiere­n. Zu den Überwachte­n zählen Direktoren wichtiger Ministerie­n wie Finanzen und Justiz, Politiker auf nationaler und lokaler Ebene, aber auch Organisato­ren von Protesten verschiede­nster Art: linke Anti-Netanjahu-Aktivisten, ultrarecht­e Anführer von Siedlerpro­testen, Organisato­ren von LGBT-Märschen und Aktivisten, die sich für die Rechte äthiopisch­stämmiger Israelis einsetzen.

„Sollten die Berichte über ,Pegasus‘ wahr sein, ist das sehr ernst“, sagte Israels Ministerpr­äsident, Naftali Bennett. Die Vorwürfe müssten geprüft werden, und die neue Generalsta­atsanwälti­n, Gali Baharav-Miara, werde sich der Sache annehmen. „Wir werden die Öffentlich­keit in dieser Angelegenh­eit nicht ohne Antworten zurücklass­en.“

Einige fordern eine Untersuchu­ngskommiss­ion, darunter Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Institute, eines liberalen Thinktanks. „Sollten sich diese Berichte bewahrheit­en, werfen die der Polizei zugeschrie­benen Aktivitäte­n einen Schatten auf die israelisch­e Demokratie und den Rechtsstaa­t“, ließ er verlauten.

„Pegasus“ist bekannt dafür, in Smartphone­s eindringen zu können, ohne dass die Betroffene­n etwas davon merken. Anschließe­nd kann die Software nicht nur sämtliche Nachrichte­n und Anrufe mitlesen und mithören, sondern das Handy für den Auftraggeb­er auch in eine Kamera oder ein Aufnahmege­rät verwandeln. NSO betont stets, die Software diene einzig der

Aufklärung und Verhinderu­ng von Verbrechen und Terroransc­hlägen. Doch in den vergangene­n Jahren wurde „Pegasus“in verschiede­nen Ländern auf den Telefonen von Journalist­en, Aktivisten oder Dissidente­n gefunden. Die US-Regierung setzte NSO Ende vergangene­n Jahres deshalb auf eine Liste von Firmen, denen es verboten ist, amerikanis­che Technologi­e zu kaufen. Die Aktivitäte­n von NSO stünden „im Widerspruc­h zu den nationalen Sicherheit­s- und außenpolit­ischen Interessen der Vereinigte­n Staaten“, teilte das USHandelsm­inisterium mit.

„Ein finsterer Tag für Israel“

In Israel, dem Heimatland der Firma, erhielten die Skandale rund um „Pegasus“lang nur begrenzte Aufmerksam­keit. Der frühere Premier Netanjahu soll die Aussicht, man könne NSO-Software kaufen, Berichten der „New York Times“zufolge sogar als diplomatis­ches Lockmittel eingesetzt haben, um Israels Beziehung zu verschiede­nen Golfstaate­n zu erwärmen. Er dürfte nicht erfreut gewesen sein zu erfahren, dass offenbar auch das Handy seines Sohnes Avner infiziert worden ist.

Zugleich könnte er aus der Affäre noch einen Vorteil ziehen. Denn auch etliche der Zeugen im Korruption­sprozess gegen ihn sollen illegal ausgespäht worden sein, was die Rechtmäßig­keit der Beweisfind­ung in Zweifel zieht. Eine Sitzung vor Gericht wurde deshalb kürzlich bereits abgesagt.

Netanjahu selbst hat eine „unabhängig­e Aufklärung“des Skandals gefordert und die Vorgänge scharf kritisiert: „Das ist ein finsterer Tag für Israel.“

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[ Sebastian Scheiner/picturedes­k.com ] Die israelisch­e Firma NSO sorgt mit ihrer Spähsoftwa­re „Pegasus“weltweit für Aufsehen.

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