Überwachungsaffäre schockiert Israel
„Pegasus“-Skandal. Laut neuen Enthüllungen setzte Israels Polizei die Spähsoftware der Firma NSO massiv gegen Unternehmer, Abgeordnete und NGOs ein. Der Premier verspricht Aufklärung.
Israels Skandal um die berüchtigte Spähsoftware „Pegasus“zieht immer weitere Kreise. Die Polizei soll die Software der israelischen Firma NSO genutzt haben, um die Direktoren mehrerer Ministerien auszuspähen – außerdem Unternehmer, Abgeordnete, Bürgermeister, Organisatoren von Protesten und sogar Avner Netanjahu, den Sohn des früheren Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Dabei verletzte die Polizei wohl nicht nur die Privatsphäre der Betroffenen, sondern auch rechtliche und demokratische Prinzipien.
Vor drei Wochen hatte die israelische Wirtschaftszeitung „Calcalist“aufgedeckt, dass die Polizei die Spähsoftware „Pegasus“jahrelang gegen Kriminelle, Verdächtige und auch unbescholtene Personen eingesetzt haben soll – offenbar ohne die erforderliche Genehmigung durch ein Gericht. Die Polizeiführung bestreitet das, doch „Calcalist“bringt derweil immer weitere Einzelheiten ans Licht – und jede enthält neue Brisanz. Diese Woche veröffentlichte die Zeitung die Namen einiger ausgespähter Personen.
Linke und Rechte im Visier
Viele israelische Bürger dürfte die Liste schockieren. Zu den Überwachten zählen Direktoren wichtiger Ministerien wie Finanzen und Justiz, Politiker auf nationaler und lokaler Ebene, aber auch Organisatoren von Protesten verschiedenster Art: linke Anti-Netanjahu-Aktivisten, ultrarechte Anführer von Siedlerprotesten, Organisatoren von LGBT-Märschen und Aktivisten, die sich für die Rechte äthiopischstämmiger Israelis einsetzen.
„Sollten die Berichte über ,Pegasus‘ wahr sein, ist das sehr ernst“, sagte Israels Ministerpräsident, Naftali Bennett. Die Vorwürfe müssten geprüft werden, und die neue Generalstaatsanwältin, Gali Baharav-Miara, werde sich der Sache annehmen. „Wir werden die Öffentlichkeit in dieser Angelegenheit nicht ohne Antworten zurücklassen.“
Einige fordern eine Untersuchungskommission, darunter Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Institute, eines liberalen Thinktanks. „Sollten sich diese Berichte bewahrheiten, werfen die der Polizei zugeschriebenen Aktivitäten einen Schatten auf die israelische Demokratie und den Rechtsstaat“, ließ er verlauten.
„Pegasus“ist bekannt dafür, in Smartphones eindringen zu können, ohne dass die Betroffenen etwas davon merken. Anschließend kann die Software nicht nur sämtliche Nachrichten und Anrufe mitlesen und mithören, sondern das Handy für den Auftraggeber auch in eine Kamera oder ein Aufnahmegerät verwandeln. NSO betont stets, die Software diene einzig der
Aufklärung und Verhinderung von Verbrechen und Terroranschlägen. Doch in den vergangenen Jahren wurde „Pegasus“in verschiedenen Ländern auf den Telefonen von Journalisten, Aktivisten oder Dissidenten gefunden. Die US-Regierung setzte NSO Ende vergangenen Jahres deshalb auf eine Liste von Firmen, denen es verboten ist, amerikanische Technologie zu kaufen. Die Aktivitäten von NSO stünden „im Widerspruch zu den nationalen Sicherheits- und außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten“, teilte das USHandelsministerium mit.
„Ein finsterer Tag für Israel“
In Israel, dem Heimatland der Firma, erhielten die Skandale rund um „Pegasus“lang nur begrenzte Aufmerksamkeit. Der frühere Premier Netanjahu soll die Aussicht, man könne NSO-Software kaufen, Berichten der „New York Times“zufolge sogar als diplomatisches Lockmittel eingesetzt haben, um Israels Beziehung zu verschiedenen Golfstaaten zu erwärmen. Er dürfte nicht erfreut gewesen sein zu erfahren, dass offenbar auch das Handy seines Sohnes Avner infiziert worden ist.
Zugleich könnte er aus der Affäre noch einen Vorteil ziehen. Denn auch etliche der Zeugen im Korruptionsprozess gegen ihn sollen illegal ausgespäht worden sein, was die Rechtmäßigkeit der Beweisfindung in Zweifel zieht. Eine Sitzung vor Gericht wurde deshalb kürzlich bereits abgesagt.
Netanjahu selbst hat eine „unabhängige Aufklärung“des Skandals gefordert und die Vorgänge scharf kritisiert: „Das ist ein finsterer Tag für Israel.“