Die Presse

Pegasus-Skandal erreicht Brüssel

Das Europaparl­ament wird den Einsatz der Spitzelsof­tware gegen Opposition­elle in Polen und Ungarn untersuche­n.

- V on unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Kaum hatte Roman Giertych die kanadische­n Datenforen­siker an der Universitä­t Toronto am 9. Dezember vorigen Jahres per E-Mail darum gebeten, sein Mobiltelef­on auf etwaige Spionageso­ftware zu untersuche­n, sah er diesen Verdacht bereits bestätigt. „Schon am 10. Dezember kündigte die Staatsanwa­ltschaft wie aus dem Nichts eine neue Anklage gegen mich an“, sagt der prominente polnische Anwalt und frühere stellvertr­etende Ministerpr­äsident am Donnerstag im Gespräch mit der „Presse“. Gut ein Jahr lang hatte er von den Behörden nichts gehört. Doch seine E-Mail an das CitizenLab in Toronto hatte sie alarmiert – denn sie hatten es heimlich gelesen. Das Sonderbüro zur Bekämpfung

von Korruption im öffentlich­en Sektor und in der Wirtschaft (Centralne Biuro Antykorupc­yjne, kurz: CBA) hatte sich nämlich schon vor Längerem das Passwort von Giertychs E-Mailkonto besorgt, von dem aus er um die Untersuchu­ng seines Telefons gebeten hatte. Und wie? „Als ich verhaftet wurde, nahm man mir mein Telefon weg“, erinnert Giertych an jenen 15. Oktober 2020, an dem das CBA ihn unter dem Vorwand arretieren hatte lassen, er habe sich widerrecht­lich an einer börsenotie­rten Immobilien­gesellscha­ft bereichert. Ein Gericht erklärte diesen Vorwurf schon zwei Tage später ebenso wie die darauf gründende Festnahme für widerrecht­lich, Giertych kam frei.

Klage in Rom gegen NSO

Doch um die Rückgabe seines iPhones musste er bemerkensw­ert hart gegen die Behörde kämpfen. Genau in diesen Tagen hat sie allen Indizien nach die Spionageso­ftware Pegasus des israelisch­en Unternehme­ns NSO auf seinem Telefon installier­t, die sie mehr als ein Jahr lang ermächtigt­e, sämtliche Daten und Kommunikat­ionen darauf, beruflich wie privat, auszuspion­ieren. Dem will Giertych nun justiziell auf den Grund gehen: „Nächste Woche werde ich in Rom

Anzeige erheben, denn mein Handy wurde auch infiziert, während ich in Italien war.“Giertych, der regierende­n, nationalau­toritären Partei PiS ein besonders großer Dorn im Auge, arrangiert­e damals nämlich ein Treffen zwischen dem ehemaligen Ministerpr­äsidenten und Präsidente­n des Europäisch­en Rates, Donald Tusk, und Papst Franziskus. Vor der Parlaments­wahl 2019 hatte er politische­n Zündstoff in Händen.

Als Anwalt des österreich­ischen Immobilien­unternehme­rs Gerald Birgfellne­r, der mehrere Treffen mit Kaczyn´ski heimlich aufgenomme­n hatte, in denen dieser ihm einen rechtlich mehr als grenzwerti­gen Deal angeboten hatte (Kaczyn´ ski wollte seinen Einfluss auf eine parteinahe Baufirma geltend machen, um von Birgfellne­r einen Büroturm in Warschau planen zu lassen, wozu es dann nicht kam). Birgfellne­r zeigte Kaczyn´ski an – und machte sich zum Staatsfein­d.

Der illegale Einsatz dieser Spionageso­ftware ist in mehreren Ländern nachgewies­en – auch in Ungarn, dessen Regierung in der Feindselig­keit gegenüber der Opposition,

der unabhängig­en Justiz und der Zivilgesel­lschaft jener Polens um nichts nachsteht.

„Wie ein Kanarie in der Mine“

Dem Europaparl­ament reicht es nun. Am Mittwoch einigte sich die Konferenz der Fraktionsv­orsitzende­n darauf, den Pegasus-Skandal nächste Woche im Plenum in Straßburg zu debattiere­n. Und nachdem die liberale Renew-Fraktion gefordert hatte, einen Sonderauss­chuss zur Untersuchu­ng der Vorgänge in Ungarn und Polen ins Leben zu rufen, schloss sich dem nun auch die Europäisch­e Volksparte­i an. Auch die Grünen und die Sozialdemo­kraten wollen Aufklärung; offen ist nur, in welchem Umfang, und ob dafür ein neuer Ausschuss gegründet wird.

Für Giertych ist Pegasus nur ein Symptom tiefer sitzender Probleme: „Das ist wie der Kanarienvo­gel im Bergwerk, der vor Methan warnt. Es zeigt, dass etwas in unseren Demokratie­n sehr falsch läuft, wenn eine Software, die eigentlich für den Kampf gegen Terrorismu­s bestimmt ist, gegen Opposition­elle eingesetzt wird.“

 ?? [ Reuters / Marton Monus ] ?? Auch in Ungarn wächst der Widerstand gegen den Einsatz der Spionageso­ftware Pegasus durch die Regierung, um ihre Kritiker und Gegner zu bespitzeln.
[ Reuters / Marton Monus ] Auch in Ungarn wächst der Widerstand gegen den Einsatz der Spionageso­ftware Pegasus durch die Regierung, um ihre Kritiker und Gegner zu bespitzeln.
 ?? [ Imago ] ?? Der bespitzelt­e Anwalt Roman Giertych.
[ Imago ] Der bespitzelt­e Anwalt Roman Giertych.

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