Pflicht bestellt und nicht abgeholt?
Impfen. Gerade die Landeshauptleute drängten darauf, dass sich alle gegen Corona immunisieren lassen müssen. Nun gibt es Rufe, die Idee wieder auszusetzen. Auch die Experten sind sich uneins.
Wien. Es ist ein Treppenwitz der jüngeren Pandemie-Geschichte. Als im November des Vorjahres die allgemeine Impfpflicht im Abtausch für einen Lockdown politisch fixiert wurde, geschah das vor allem auf Wunsch der ÖVP-Landeshauptleute. Und just einige von diesen beginnen nun, nachdem die Pflicht in Kraft ist, von ihr abzurücken. Wobei die Landeschefs mit ihren Zweifeln zwar spät dran, aber nicht allein sind. Ein Überblick über die Fronten der Debatten.
Die Landespolitiker
Am deutlichsten hat Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) im ORF seine Bedenken geäußert. Er fordert eine rasche Bewertung der Lage durch die allerdings noch gar nicht eingesetzte Kommission, die das Gesetz laufend evaluieren soll. Diese solle prüfen, ob es zum Schutz der medizinischen Versorgung nötig sei, das Gesetz mit Mitte März „scharf zu stellen“, d. h. zu kontrollieren. Nicht ganz so explizit, aber ähnlich klingen der Landeshauptmann von Oberösterreich, Thomas Stelzer (ÖVP), sein Vorarlberger Kollege Markus Wallner (ÖVP) und Niederösterreichs Landeschefin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): Wenn es die wissenschaftliche Einschätzung sei, „dass es die
Impfpflicht nicht mehr braucht, bin ich die Erste, die dafür eintritt, sie auszusetzen“, so Mikl-Leitner.
Pro und Contra verlaufen nicht entlang der Parteigrenzen. Auch Kärntens Peter Kaiser (SPÖ) pocht auf eine „Überprüfung der Verhältnismäßigkeit“. Günther Platter (ÖVP) – damals einer, der am lautesten nach Impfpflicht rief – bleibt auch jetzt dabei. Auch Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hält nicht viel davon, „alles zu hinterfragen, was wir gerade entschieden haben“. Gegen „Hü und Hott“ist auch der Steirer Hermann Schützenhöfer (ÖVP). Er meint aber auch: „Wenn die Kommission sagt, man soll die Strafen vorerst aussetzen, dann wäre das für mich bindend. Aber ich habe von keinem Experten etwas gehört und wir sollten uns als Politiker hüten, etwas festzusetzen, das zunächst die Expertise der Ärzte braucht.“Aus der Debatte raus hält sich Hans Peter Doskozil (SPÖ). Er wirft der Regierung Planlosigkeit vor, spricht sich weder für ein Festhalten am Fahrplan noch für eine Verschiebung aus. Das sei Aufgabe der Bundesregierung.
Die Experten
Wie gesagt: Die Kommission, die das Impfpflichtgesetz laufend evaluieren, aus Gecko-Experten bestehen und beim Bundeskanzleramt angesiedelt sein soll, existiert noch nicht. Bisher äußern sich
Fachleute unterschiedlich. Während die Epidemiologin Eva Schernhammer – Mitglied der Gecko-Stabstelle – im „Kurier“betonte, dass es im Hinblick auf den Herbst wichtig sei, frühzeitig – also jetzt – mit der Impfpflicht zu starten, findet ihr Kollege Gerald Gartlehner, dass man zuwarten kann. Er wandte das bereits vor der Abstimmung im Nationalrat ein. Sein Argument: Durch Omikron gebe es erstens eine höhere Immunitätsrate in der Bevölkerung und zweitens wisse man nicht, ob der jetzige Impfstoff gegen eine Welle im Herbst helfe. Auch der Virologe Norbert Nowotny sprach sich im ORF dafür aus, mit der Impfpflicht abzuwarten, bis alternative Impfstoffe (z. B. Valneva) zugelassen sind, da sich damit viele der bisherigen Skeptiker impfen lassen würden. Auch in der Bioethikkommission gibt es zur Frage der Impfpflicht übrigens keine Einigkeit.
Die Detailfragen
Zur Befreiung von der Impfpflicht gibt es zwei Versionen: Laut Gesundheitsministerium wurde den Ländern klar kommuniziert, dass es keine bundesweite Plattform für Impfbefreiungen geben werde. In den Ländern sieht man das anders. Man habe in den vergangenen Wochen versucht, offene Fragen mit dem Ministerium zu klären, sei aber nicht gehört worden. Nun müssten die Länder quasi in allerletzter Minute selbst Plattformen schaffen.
Kontrollieren soll die Impfpflicht ab 16. März die Polizei im Zuge sonstiger Amtshandlungen. Solang, bis via Elga bei jedem überprüft wird, ob er geimpft ist. Ob es zur Elga-Kontrolle je kommt, lässt die Regierung aber weiter offen.
Die Rechtsfragen
Die erste Beschwerde gegen die Impfpflicht langte Anfang dieser Woche beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein. Schien die Impfpflicht bei ihrer politischen Verkündung im November noch auf rechtlich sicheren Beinen zu stehen, so spielt die Omikron-Welle den Impfgegnern auch juristisch in die Hände. Denn eine Impfpflicht ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt.
Eine Überlastung der Spitäler zu verhindern ist z. B. ein solches Interesse. Je weniger aber diese droht und je mehr Leute schon immunisiert sind (sei es auch durch Ansteckung), umso schwächer werden die Argumente für die Impfpflicht. Klarheit wird es erst geben, wenn der VfGH entscheidet. Das dürfte erst sein, nachdem bereits Strafen verhängt wurden. Eine Gesetzesüberprüfung dauert beim VfGH im Schnitt vier bis sechs Monate. Ein Eilverfahren wie in Deutschland gibt es nicht, auch wenn ein neues Volksbegehren so ein Modell für Österreich fordert.