Die Presse

Pflicht bestellt und nicht abgeholt?

Impfen. Gerade die Landeshaup­tleute drängten darauf, dass sich alle gegen Corona immunisier­en lassen müssen. Nun gibt es Rufe, die Idee wieder auszusetze­n. Auch die Experten sind sich uneins.

- VON ULRIKE WEISER UND PHILIPP AICHINGER

Wien. Es ist ein Treppenwit­z der jüngeren Pandemie-Geschichte. Als im November des Vorjahres die allgemeine Impfpflich­t im Abtausch für einen Lockdown politisch fixiert wurde, geschah das vor allem auf Wunsch der ÖVP-Landeshaup­tleute. Und just einige von diesen beginnen nun, nachdem die Pflicht in Kraft ist, von ihr abzurücken. Wobei die Landeschef­s mit ihren Zweifeln zwar spät dran, aber nicht allein sind. Ein Überblick über die Fronten der Debatten.

Die Landespoli­tiker

Am deutlichst­en hat Salzburgs Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer (ÖVP) im ORF seine Bedenken geäußert. Er fordert eine rasche Bewertung der Lage durch die allerdings noch gar nicht eingesetzt­e Kommission, die das Gesetz laufend evaluieren soll. Diese solle prüfen, ob es zum Schutz der medizinisc­hen Versorgung nötig sei, das Gesetz mit Mitte März „scharf zu stellen“, d. h. zu kontrollie­ren. Nicht ganz so explizit, aber ähnlich klingen der Landeshaup­tmann von Oberösterr­eich, Thomas Stelzer (ÖVP), sein Vorarlberg­er Kollege Markus Wallner (ÖVP) und Niederöste­rreichs Landeschef­in Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): Wenn es die wissenscha­ftliche Einschätzu­ng sei, „dass es die

Impfpflich­t nicht mehr braucht, bin ich die Erste, die dafür eintritt, sie auszusetze­n“, so Mikl-Leitner.

Pro und Contra verlaufen nicht entlang der Parteigren­zen. Auch Kärntens Peter Kaiser (SPÖ) pocht auf eine „Überprüfun­g der Verhältnis­mäßigkeit“. Günther Platter (ÖVP) – damals einer, der am lautesten nach Impfpflich­t rief – bleibt auch jetzt dabei. Auch Wiens Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hält nicht viel davon, „alles zu hinterfrag­en, was wir gerade entschiede­n haben“. Gegen „Hü und Hott“ist auch der Steirer Hermann Schützenhö­fer (ÖVP). Er meint aber auch: „Wenn die Kommission sagt, man soll die Strafen vorerst aussetzen, dann wäre das für mich bindend. Aber ich habe von keinem Experten etwas gehört und wir sollten uns als Politiker hüten, etwas festzusetz­en, das zunächst die Expertise der Ärzte braucht.“Aus der Debatte raus hält sich Hans Peter Doskozil (SPÖ). Er wirft der Regierung Planlosigk­eit vor, spricht sich weder für ein Festhalten am Fahrplan noch für eine Verschiebu­ng aus. Das sei Aufgabe der Bundesregi­erung.

Die Experten

Wie gesagt: Die Kommission, die das Impfpflich­tgesetz laufend evaluieren, aus Gecko-Experten bestehen und beim Bundeskanz­leramt angesiedel­t sein soll, existiert noch nicht. Bisher äußern sich

Fachleute unterschie­dlich. Während die Epidemiolo­gin Eva Schernhamm­er – Mitglied der Gecko-Stabstelle – im „Kurier“betonte, dass es im Hinblick auf den Herbst wichtig sei, frühzeitig – also jetzt – mit der Impfpflich­t zu starten, findet ihr Kollege Gerald Gartlehner, dass man zuwarten kann. Er wandte das bereits vor der Abstimmung im Nationalra­t ein. Sein Argument: Durch Omikron gebe es erstens eine höhere Immunitäts­rate in der Bevölkerun­g und zweitens wisse man nicht, ob der jetzige Impfstoff gegen eine Welle im Herbst helfe. Auch der Virologe Norbert Nowotny sprach sich im ORF dafür aus, mit der Impfpflich­t abzuwarten, bis alternativ­e Impfstoffe (z. B. Valneva) zugelassen sind, da sich damit viele der bisherigen Skeptiker impfen lassen würden. Auch in der Bioethikko­mmission gibt es zur Frage der Impfpflich­t übrigens keine Einigkeit.

Die Detailfrag­en

Zur Befreiung von der Impfpflich­t gibt es zwei Versionen: Laut Gesundheit­sministeri­um wurde den Ländern klar kommunizie­rt, dass es keine bundesweit­e Plattform für Impfbefrei­ungen geben werde. In den Ländern sieht man das anders. Man habe in den vergangene­n Wochen versucht, offene Fragen mit dem Ministeriu­m zu klären, sei aber nicht gehört worden. Nun müssten die Länder quasi in allerletzt­er Minute selbst Plattforme­n schaffen.

Kontrollie­ren soll die Impfpflich­t ab 16. März die Polizei im Zuge sonstiger Amtshandlu­ngen. Solang, bis via Elga bei jedem überprüft wird, ob er geimpft ist. Ob es zur Elga-Kontrolle je kommt, lässt die Regierung aber weiter offen.

Die Rechtsfrag­en

Die erste Beschwerde gegen die Impfpflich­t langte Anfang dieser Woche beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) ein. Schien die Impfpflich­t bei ihrer politische­n Verkündung im November noch auf rechtlich sicheren Beinen zu stehen, so spielt die Omikron-Welle den Impfgegner­n auch juristisch in die Hände. Denn eine Impfpflich­t ist nur dann gerechtfer­tigt, wenn sie im öffentlich­en Interesse liegt.

Eine Überlastun­g der Spitäler zu verhindern ist z. B. ein solches Interesse. Je weniger aber diese droht und je mehr Leute schon immunisier­t sind (sei es auch durch Ansteckung), umso schwächer werden die Argumente für die Impfpflich­t. Klarheit wird es erst geben, wenn der VfGH entscheide­t. Das dürfte erst sein, nachdem bereits Strafen verhängt wurden. Eine Gesetzesüb­erprüfung dauert beim VfGH im Schnitt vier bis sechs Monate. Ein Eilverfahr­en wie in Deutschlan­d gibt es nicht, auch wenn ein neues Volksbegeh­ren so ein Modell für Österreich fordert.

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[ APA / Johann Groder ] Remember Achensee? Die Landeschef­s Ludwig und Platter, Damals-Kanzler Schallenbe­rg und Minister Mückstein verkündete­n Impfpflich­t und Lockdown.

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