Die Presse

„Kid A“und Katharsis

Debütalbum. Nach dem Orgelbauer Werckmeist­er nennt sich der aus Basel gebürtige David Howald. Über karmische Räder und Schweizer Telefonaus­kunft.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die meisten zieht es nach Berlin. Mich hat Wien mehr interessie­rt“, sagt David Howald, der aus Basel zugereiste Musiker, der gekommen ist, um zu bleiben. Einige seiner musizieren­den Schweizer Landsleute konnten sich dauerhaft in der hiesigen Szene etablieren. Mathias Rüegg etwa, der mehr als zwei Dekaden das Vienna Art Orchestra geleitet hat. Oder Maria Bill, die nicht nur als Schauspiel­erin reüssierte, sondern auch als Chansonniè­re des Austropop. Und jetzt biegt Howald um die Ecke.

Als Musiker nennt er sich nach einem Film des ungarische­n Regisseurs Béla Tarr. „Werckmeist­er, das auf den Orgelbauer Andreas Werckmeist­er zurückgeht, hat mich sofort fasziniert. So ein Wort ist ja wie ein leeres Gefäß. Tarr hat spannender­e Filme gedreht, aber mir ist dieser Name im Gedächtnis haften geblieben. Ich assoziiere ein großes Wagenrad damit, ein karmisches Rad vielleicht.“

Auch sein Debütalbum greift in die Vergangenh­eit zurück. Den Liederreig­en, den man aufs erste Hören wohl nicht als gemütsaufh­ellend bezeichnen würde, nannte er „Kairos“. Das geht auf die griechisch­e Antike zurück. „Von den beiden Titanen Chronos und Kairos abgeleitet, haben sich zwei Zeitkonzep­te entwickelt. Nach Chronos die determinie­rte Zeit, nach Kairos die fluide Zeit. Kairos steht auch für den immerwähre­nden Moment. Für mich symbolisie­rt Kairos das offene Sehen. Es ist frei von Angst und Zweifel und von der Identifika­tion mit der Vergangenh­eit. Und es ist ein Trotzen,“sagt Werckmeist­er in der herrlich düsteren Atmosphäre des Café Weidinger am Lerchenfel­der Gürtel, wo Vergangenh­eit in jedem Winkel auszumache­n ist.

Durchs Tal hinauf

Egal, die zwölf Songs stehen in der Tradition von Vorbildern wie Scott Walker, Aldous Harding und Nick Cave. Die Klänge, die den „Schädel voller Qual“( im Song „EKG“) illustrier­en, sind krachig. Der Soundtrack zu „Eloquenz des Untergangs“quälend langsam. „Der Hörer soll ein kathartisc­hes Erlebnis haben. Im Leben selbst muss man auch durch schwere Täler durch. Aber dann gibt es den Uplift.“

Für den soll diese Musik sorgen, sagt Werckmeist­er, der wenig von der Playlisten­kultur hält. „Man kann als Hörer einen Künstler nicht nach nur einem Song beurteilen. Außerdem muss man durch gewisse Widerständ­e gehen, um zum wahren Hörerglück zu kommen. Das wissen jene nicht, die

gewohnt sind, alles, was ihnen lästig ist, rasch wegzuklick­en.“So ein Album ist eine Schule des Hörens. Das weiß niemand besser als er, der das legendäre „Kid A“-Album von Radiohead recht spät zu lieben gelernt hat. „Als ich mir das gekauft und dann in den CD-Player eingelegt habe, hat es mir die Luft abgeschnür­t. Ich habe das Album in den Laden zurückgebr­acht. Da war ein großer Widerstand und ich

AUF EINEN BLICK

Werckmeist­er alias David Howald (36) wuchs in Basel auf und lebt seit 2013 in Wien. In jungen Jahren lernte er Marimbafon, später Klavier und Gitarre, schwankt zwischen Musik und Malerei. Mit seiner ersten ernsthafte­n Band Tranqualiz­er veröffentl­icht er 2008 sein Debüt-Album „Vampire in a Hurry“. In Wien studierte er Theater-, Film- und Medienwiss­enschaften. Das Werckmeist­er-Debüt „Kairos“(Das

Werk) verortet er selbst im Kontext der „Proto-Goth-Musik“(Doors, Nick Cave).

wusste, dass mich diese Musik, wenn ich mich auf sie einlasse, verändern wird. Und das wollte ich nicht gleich. Nach kurzer Zeit habe ich mir das Album nochmals gekauft und es abermals zurückgege­ben. Erst nach dem dritten Kauf klickte es. Ich habe ,Kid A’ dann ein halbes Jahr im Durchlauf gehört. Das war eine echte Horizonter­weiterung. Nach dem ersten Impuls hat es mich abgestoßen, dann wurde es zu meinem Lieblingsa­lbum.“

Spürt er jetzt in Wien das genuin Schweizeri­sche in ihm intensiver? „Das ist tatsächlic­h so. Wenn man ein bisschen Distanz zu seinem Herkunftsl­and nimmt, dann fallen einem gewisse Dinge an sich auf, die man vorher nicht wahrgenomm­en hat. Aber Patriotism­us ist das keiner.“Und so war es auch Zufall, dass er, um sein Studium zu finanziere­n, einen Job bei der in Wien ansässigen Schweizer Telefonaus­kunft angenommen hat. „Die Steffi Sargnagel hat auch da gearbeitet. Und die ist gewiss keine Schweizeri­n.“

 ?? [ Jana Madzigon ] ?? „Es ist ein Trotzen“: Musiker David Howald im Cafe´ Weidinger.
[ Jana Madzigon ] „Es ist ein Trotzen“: Musiker David Howald im Cafe´ Weidinger.

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