Männer, die auf Berghänge starren
Analog wie digital folgt einem der Olympia-Gastgeber auf Schritt und Tritt – mit innovativer bis hinterlistiger Überwachungstechnik.
Kontrolleure sind in der Überzahl. Kameras ebenso.
Manche Szenen in der PekingSuperbubble sind nicht ganz zu begreifen. Da wäre der uniformierte Wachmann, der einem Tag für Tag auf dem Weg hinauf zu den Skirennen begegnet. Bei der Mittelstation der Gondelbahn in Yanqing steht er in seiner Glasbox, wendet dem Ski-Tross den Rücken zu und starrt unentwegt auf den steilen Berghang gegenüber. Nur ist da nichts. Nur eine karge Flanke voll Fels und Geröll. Vor allem: Unübersehbar, geradezu demonstrativ, ist in wenigen Metern Entfernung eine Kamera direkt auf ihn gerichtet. Wer überwacht den Berghang-Überwacher?
Auch so mancher Olympia-Teilnehmer fühlt sich beobachtet.
Die eigenen Gesundheitsdaten sind längst im digitalen China und werden laufend per App-Fragebogen ergänzt: „Hatten Sie heute Durchfall?“Weil genau diese chinesische App („My2022“) mit den nachgewiesenen Sicherheitslücken und der mutmaßlichen Spionagesoftware auch die aktuellen Fahrpläne der unumgänglichen (insgesamt rund 80) Shuttlebusrouten beinhaltet, sind auch die persönlichen Wege transparent. Wäre gar nicht nötig, es ist ohnehin ständig irgendwo ein QR-Code einzuscannen oder vorzuzeigen.
Auch analog schaut einem der Gastgeber auf die Finger. War man beim Hände-Desinfizieren einmal
schleißig, ist Chinas olympische Helfer-Armee
sofort zur Stelle und sprüht selbst drauflos. Kaum lüftet jemand kurz die Maske, um eines der offiziellen Kekserl der Winterspiele zu verschlingen, mahnen sie. „Thank you for your cooperation.“
Die Kontrolleure sind auch in der Überzahl. Alle paar Meter ist ein Mensch im blau-weißen Beijing-2022-Outfit postiert. Eine solche Ansammlung muss die Kompetenz nicht zwingend erhöhen, auch wenn sich das anfängliche Chaos mittlerweile gelegt hat. Die meisten Busse sind nun tatsächlich mit ihren Fahrzielen gekennzeichnet, auch die Flexibilität nimmt zu. Essen bestellen ist nun ein paar Minuten außerhalb der strikt vorgegebenen Essenszeiten möglich, zwischen Langlauf und Biathlon darf man sogar, was in der Blase
beinahe schon verlernt worden wäre – zu Fuß gehen.
Irgendwer da oben muss all das abgesegnet haben. Denn den Kameras entgeht nichts. In einer dem Autor bekannten Wettkampfstätte ist ein Kollege neulich falsch abgebogen und blickte plötzlich in einen Raum mit einem wandgroßen Bildschirm. Darauf zu sehen: die Aufnahmen Dutzender Überwachungskameras. Ist da nur der Wachmann vom Berghang in Yanqing zu sehen oder auch manch unliebsamer Olympia-Gast? Schnell war ein Beijing-2022-Eingreiftrupp zur Stelle und bestand darauf, dass es keine Bilder dieser Szenerie geben dürfe. Aber auch ein Smartphone vergisst eben nicht so schnell.