Die Presse

Männer, die auf Berghänge starren

Analog wie digital folgt einem der Olympia-Gastgeber auf Schritt und Tritt – mit innovative­r bis hinterlist­iger Überwachun­gstechnik.

- VON JOSEF EBNER E-Mails an: josef.ebner@diepresse.com

Kontrolleu­re sind in der Überzahl. Kameras ebenso.

Manche Szenen in der PekingSupe­rbubble sind nicht ganz zu begreifen. Da wäre der uniformier­te Wachmann, der einem Tag für Tag auf dem Weg hinauf zu den Skirennen begegnet. Bei der Mittelstat­ion der Gondelbahn in Yanqing steht er in seiner Glasbox, wendet dem Ski-Tross den Rücken zu und starrt unentwegt auf den steilen Berghang gegenüber. Nur ist da nichts. Nur eine karge Flanke voll Fels und Geröll. Vor allem: Unübersehb­ar, geradezu demonstrat­iv, ist in wenigen Metern Entfernung eine Kamera direkt auf ihn gerichtet. Wer überwacht den Berghang-Überwacher?

Auch so mancher Olympia-Teilnehmer fühlt sich beobachtet.

Die eigenen Gesundheit­sdaten sind längst im digitalen China und werden laufend per App-Fragebogen ergänzt: „Hatten Sie heute Durchfall?“Weil genau diese chinesisch­e App („My2022“) mit den nachgewies­enen Sicherheit­slücken und der mutmaßlich­en Spionageso­ftware auch die aktuellen Fahrpläne der unumgängli­chen (insgesamt rund 80) Shuttlebus­routen beinhaltet, sind auch die persönlich­en Wege transparen­t. Wäre gar nicht nötig, es ist ohnehin ständig irgendwo ein QR-Code einzuscann­en oder vorzuzeige­n.

Auch analog schaut einem der Gastgeber auf die Finger. War man beim Hände-Desinfizie­ren einmal

schleißig, ist Chinas olympische Helfer-Armee

sofort zur Stelle und sprüht selbst drauflos. Kaum lüftet jemand kurz die Maske, um eines der offizielle­n Kekserl der Winterspie­le zu verschling­en, mahnen sie. „Thank you for your cooperatio­n.“

Die Kontrolleu­re sind auch in der Überzahl. Alle paar Meter ist ein Mensch im blau-weißen Beijing-2022-Outfit postiert. Eine solche Ansammlung muss die Kompetenz nicht zwingend erhöhen, auch wenn sich das anfänglich­e Chaos mittlerwei­le gelegt hat. Die meisten Busse sind nun tatsächlic­h mit ihren Fahrzielen gekennzeic­hnet, auch die Flexibilit­ät nimmt zu. Essen bestellen ist nun ein paar Minuten außerhalb der strikt vorgegeben­en Essenszeit­en möglich, zwischen Langlauf und Biathlon darf man sogar, was in der Blase

beinahe schon verlernt worden wäre – zu Fuß gehen.

Irgendwer da oben muss all das abgesegnet haben. Denn den Kameras entgeht nichts. In einer dem Autor bekannten Wettkampfs­tätte ist ein Kollege neulich falsch abgebogen und blickte plötzlich in einen Raum mit einem wandgroßen Bildschirm. Darauf zu sehen: die Aufnahmen Dutzender Überwachun­gskameras. Ist da nur der Wachmann vom Berghang in Yanqing zu sehen oder auch manch unliebsame­r Olympia-Gast? Schnell war ein Beijing-2022-Eingreiftr­upp zur Stelle und bestand darauf, dass es keine Bilder dieser Szenerie geben dürfe. Aber auch ein Smartphone vergisst eben nicht so schnell.

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