Aufstand der Senioren: „Ich bin alt, aber kein Idiot“
„Jetzt muss man für simple Geldgeschäfte komplizierte Technologie benutzen.“
Ich bin fast 80 Jahre alt, und es macht mich traurig zu sehen, dass die Banken ältere Menschen wie mich links liegen lassen“, sagt Carlos San Juan. Es gebe immer weniger Filialen, immer weniger Personal, immer kürzere Öffnungszeiten. Viele Geldgeschäfte könnten nicht mehr am Schalter, sondern nur noch mit Apps oder online erledigt werden. Doch was für jüngere Menschen ein Kinderspiel sei, das stelle immer mehr Senioren vor große Probleme. Und das sei ungerecht.
San Juan begann also, Unterschriften zu sammeln. Um einen personalisierten Umgang der Geldinstitute mit den Senioren zu fordern. „Ohne technologische Hindernisse und mit mehr Menschlichkeit.“Und so, wie es früher war.
Der Hilferuf des pensionierten Arztes hatte ein überwältigendes Echo. Inzwischen haben weit mehr als 600.000 Menschen den Aufruf für eine bessere Behandlung der älteren Bankkunden unterzeichnet. Die Kampagne verbreitete sich auf der Internet-Protestplattform
Change und auf Twitter unter dem Schlagwort „Ich bin alt, aber kein Idiot“(|SoyMayorNoIdiota) wie ein Lauffeuer. Und sie zeigte, dass der Initiator nicht der Einzige ist, der unter der Digitalisierung des Bankwesens leidet.
Das Telefon des kämpferischen Rentners lief die letzten Tage heiß. Bankvertreter und Politiker riefen an und äußerten Verständnis für den Aufstand der Senioren. Sogar der Boss der spanischen Zentralbank, Pablo Hernández de Cos, meldete sich telefonisch und versprach hoch und heilig, Abhilfe zu schaffen. Auch Spaniens Wirtschaftsministerin, Nadia Calvin˜o, schaltete sich ein. Sie begrüßte den engagierten Rentner persönlich, als dieser im Ministerium seinen Karton mit 600.000 Unterschriften abgab. Und sie dankte ihm dafür, das Problem zur Sprache gebracht zu haben. „Uns ist klar geworden, dass die älteren Menschen nicht die Behandlung erfahren, die sie verdienen.“Sie hoffe, dass dies jetzt auch den Geldinstituten bewusst geworden sei.
Doch mit freundlichen Worten will sich Carlos San Juan nicht zufriedengeben. Nun müssten greifbare Ergebnisse kommen. Zumal die Tendenz
zur Schließung von Filialen, Kürzung von Schalterzeiten und Digitalisierung von Dienstleistungen weitergehe. „Früher konnte man einfach in seine Bank gehen, Geld einzahlen und abheben oder andere Dinge erledigen. Aber jetzt muss man auch für simple Geldgeschäfte komplizierte Technologien benutzen.“
Als er einmal seine Bank wegen Technikproblemen um Hilfe gebeten habe, sei er schroff abgefertigt worden. „Es war entwürdigend, sie haben mich wie einen Idioten behandelt.“Das tue weh. Und das müsse sich ändern. „Wir wollen mit Würde behandelt werden.“Die Senioren seien gleichberechtigter Teil der Gesellschaft, zudem wachse ihre Zahl wegen des demografischen Wandels. In Spanien gehören mittlerweile zehn Millionen der 47 Millionen Einwohner zur Rentnergeneration.
Bisher sieht es nicht danach aus, dass sich die Bankenbranche in ihrem Digitalisierungs- und Rationalisierungsfeldzug aufhalten lassen wolle. Mehrere Großbanken wie Caixa und BBVA kündigten an, die Belegschaft weiter zu verkleinern. Im vergangenen Jahr seien in der Branche mehr als 10.000 Arbeitsplätze abgebaut worden, schätzt der Verbraucherverband Asufin. Seit Ausbruch der großen Finanzkrise im Jahr 2008 bis heute habe sich die Bankbelegschaft in Spanien um mehr als 100.000 Angestellte auf 164.000 reduziert.
Mit dem Personalabbau geht die Schließung von Bank- und Sparkassenfilialen einher. Seit 2008 habe sich die Zahl der Geschäftsstellen von 45.000 auf 21.000 mehr als halbiert, teilte die Zentralbank mit. Über die Hälfte der 8131 Gemeinden in Spanien habe keine Bankfiliale mehr. Am schlimmsten ist die Situation in den Dörfern, wo es oftmals nicht einmal mehr einen Geldautomaten gibt.
Derweil melden die spanischen Großbanken, die während der vergangenen Finanzkrise mit Steuermilliarden gestützt werden mussten, für das Jahr 2021 Rekordeinnahmen. Allein die fünf größten Geldinstitute – Santander, BBVA, CaixaBank, Sabadell und Bankinter – verbuchten in ihren jüngsten Jahresbilanzen zusammengerechnet nahezu 20 Milliarden Euro an Reingewinn. An Geld, um in einen seniorengerechten Kundenservice zu investieren, mangelt es also nicht.