Siemens achzt unter Auftragsboom Industrie. Angst vor langen Lieferzeiten bringt Siemens ein Auftragsplus und Stau in der Produktion.
München/Wien. Bei Siemens brummt das Geschäft. Die Kunden bestellen – auch aus Angst vor längeren Lieferzeiten – ungewöhnlich viel und treiben den Auftragseingang des Münchner Technologieriesen in ungeahnte Höhen. Wegen der Lieferengpässe in der neuen Welle der Coronapandemie kommt Siemens mit der Produktion aber kaum hinterher, wie Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag vor der virtuellen Hauptversammlung sagte.
Es werde einige Quartale dauern, bis der Auftragsstau abgearbeitet sei. Chips und andere Bauteile dürften über das Ende des Geschäftsjahres 2021/22 (Ende September) hinaus knapp bleiben. Trotzdem lagen Umsatz und Gewinn von Oktober bis Dezember deutlich über den Erwartungen der Analysten. Finanzvorstand Ralf Thomas stellte eine Erhöhung der Gewinnprognose bis Anfang Mai in Aussicht.
Das trieb die Siemens-Aktie im frühen Handel um mehr als sieben Prozent nach oben.
Höhere Preise
„Unsere Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass wir Vorreiter sind, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu beschleunigen,“sagte Busch bei der Präsentation der Quartalszahlen. Die Kunden investierten angesichts der Transformation ihrer Märkte in neue Auto- und Batteriefabriken, Halbleiter- und andere Anlagen, die mit Siemens-Technik ausgerüstet werden. Der Auftragseingang schnellte im ersten Quartal um 42 Prozent oder 8,3 Milliarden Euro nach oben, getrieben von FabrikAutomatisierung, Elektroprodukten und ICE-Zügen.
Die längeren Lieferzeiten machen Busch Kopfzerbrechen, wie er erstmals einräumte: Gleichwohl gibt es Verzögerungen bei der Auslieferung mancher Produkte an Kunden. Der Konkurrenz gehe es aber nicht anders. Siemens könne auch höhere Preise durchsetzen und Inflationseffekte damit an die Kunden abwälzen – wenngleich mit etwas Verzögerung. „Wir glauben, dass wir in dieser kritischen Situation auch Marktanteile gewinnen können.“
Im ersten Quartal kletterte der Umsatz auf vergleichbarer Basis um neun Prozent auf 16,5 Milliarden Euro, das Ergebnis aus dem industriellen Geschäft um zwölf Prozent auf 2,5 Milliarden Euro. Vorstandschef Busch sprach von einem sehr erfolgreichen Start in das Geschäftsjahr. Siemens bekräftigte die Prognose eines Umsatzzuwachses von rund fünf Prozent bis Ende September.
Der Auftragseingang soll noch stärker zulegen, auch wenn sich die Nachfrage wieder normalisiere.
Verka ufv on Randgeschäften
Finanzchef Thomas hat bisher ein Ergebnis je Aktie von 8,70 bis 9,10 (Vorjahr: 8,32) Euro in Aussicht gestellt. Wie viel es werden kann, werde nach dem zweiten Quartal klarer sein, sagte er. Denn das hängt auch davon ab, ob Siemens die erwarteten Milliardengewinne aus dem Verkauf von Randgeschäften im laufenden Geschäftsjahr verbuchen kann.
600 bis 800 Millionen Euro erwartet Siemens etwa aus dem im Jänner vereinbarten Verkauf der Straßenverkehrstechnik-Tochter Yunex an den italienischen Infrastrukturkonzern Atlantia. Am Mittwochabend hatte Siemens den Zuschlag für das brummende Geschäft mit Post- und PaketSortieranlagen für 1,15 Mil
liarden Euro an den Hamburger Maschinenbauer Körber gegeben. Das könne bis zu eine Milliarde Euro Gewinn bringen.
Aus dem defizitären Gemeinschaftsunternehmen Siemens Valeo eAutomotive für Antriebe von Elektroautos steigt der Konzern bis Juli aus. Der französische Autozulieferer Valeo zahlt 277 Millionen Euro für den 50-Prozent-Anteil von Siemens.
Rote Zahlen schreibt auch die ehemalige Energietechnik-Tochter Siemens Energy, an der Siemens noch 35 Prozent hält. Mit einer Reduzierung des Anteils, die eigentlich in wenigen Monaten auf 25 Prozent sinken sollte, will sich Busch wegen des schwächelnden Kurses mehr Zeit lassen – im Sinne der Aktionäre. Der ehemalige Siemens-Manager Jochen Eickholt soll die spanische Windkraft-Tochter
Siemens Gamesa nun sanieren, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, findet Busch.
Für einen Verkauf vorbereitet wird die Sparte Large Drives, die mit rund 7000 Mitarbeitern Elektromotoren, Umrichter und Generatoren für Mittel- und Hochspannung produziert. Die IG Metall hat Widerstand gegen die Ausgliederungspläne angemeldet. Die Gewerkschaft rief Hunderte Beschäftigte in Berlin und Nürnberg für Donnerstag zu Kundgebungen auf – unter dem Motto „die Hütte brennt“.
Vorwurf der Ämterhäufung
Siemens-Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe zieht sich im Mai aus dem Aufsichtsrat der Allianz zurück und zieht damit die Konsequenzen aus dem Vorwurf der Ämterhäufung. Der Däne habe mitgeteilt, nicht wieder für den Aufsichtsrat zu kandidieren, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, teilte der Versicherer am Donnerstag mit.
Große Investoren hatten den ehemaligen SAP-Co-Vorstandschef für seine vielen Aufsichtsratsposten kritisiert. Unter anderem leitet er das Aufsichtsgremium des dänischen Reedereikonzerns Maersk. Vor der Siemens-Versammlung wurde erneut die Forderung an Snabe, die Zahl seiner Mandate zu reduzieren, laut. (Reuters)