Die Presse

Gutes Gulasch hat den Geschmack der Ewigkeit

Anlässlich der Anthologie von Harald Schmidt: Empfehlung eines älteren Buchs über Thomas Bernhard, mit Warnung vor sturem Nachkochen.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

120 Gramm Paprika für 1,5 Kilo Fleisch? Zwölf Gramm sollten genügen.

In the end it’s all Goulash“: So trösten weise Ungarn ihre Tischgenos­sen, wenn diese vor einer Speisekart­e verzweifel­n. Davon inspiriert, habe ich mir vorgenomme­n, anlässlich des Todes von Schriftste­llern zu recherchie­ren: Haben sie je über Gulasch geschriebe­n? Wenn ja, wo wurde es literarisc­h verzehrt?

Im Fall des nun gestorbene­n Gerhard Roth z. B. ist die Antwort: beim Karpfenwir­t in St. Johann. In Roths Roman „Grundriss eines Rätsels“heißt es über diesen: „Während ich antwortete, nahmen mich zwei Pressefoto­grafen

auf, und der Wirt servierte mir ein Gulasch.“

Wer nun auf Gerhard Roths Spuren nach St. Johann im Saggautal (oder ein anderes St. Johann) fahren wollte, würde enttäuscht. Es gibt dort keinen Karpfenwir­t. Einen solchen gibt es in St. Martin im Sulmtal, diesem mythischen Tal, in dem ungeheuer viele Hühner hausen müssen, um all die Sulmtaler Hendl zu verkörpern, die unsere Speisekart­en füllen. Ich weiß, die meisten heißen nur so und wohnen gar nicht dort, aber ich stell mir das steirische Gackern gern vor.

Viele haben leider gar nicht über Gulasch geschriebe­n, Thomas Mann hat sich mit Specksuppe begnügt, Joseph Roth mit Tafelspitz, Michel Houellebec­q mit Dauerwurst, H. C. Artmann (immerhin!) mit Erdäpfelgu­lasch.

Nicht einmal in „Finnegans Wake“kommt Gulasch vor, obwohl James Joyce so lang in Triest war.

Sieht schlecht aus mit meinem Gulasch-Literaricu­m. Seltsam: Als einer, der bei Thomas Bernhard nie Trost fand, finde ich diesfalls Trost bei ihm. In „Holzfällen“schlingt der Lebensgefä­hrte der Selbstmörd­erin in der „Eisernen Hand“in Kilb ein kleines Gulasch in sich hinein und patzt sich dabei an. Wobei der Schriftste­ller spontanen Widerwille­n verspürt.

Nein, das hab ich nicht aus der unlängst von Harald Schmidt herausgege­benen Anthologie „In der Frittatens­uppe feiert die Provinz ihre Triumphe“! Ich zitiere viel lieber aus einer bereits 1999 erschienen­en kulinarisc­hen Bernhard-Lektüre, nämlich aus „Der Mittagesse­r“von Hilde Haider-Pregler

und Birgit Peter. Dieses Buch kann ich fast uneingesch­ränkt empfehlen, auch die enthaltene­n Rezepte. Die Einschränk­ung: das Rezept für Gulasch auf Wiener Art. In ihm ist die angegebene Menge für den Rosenpapri­ka m. E. um eine Zehnerpote­nz zu groß, 120 statt zwölf Gramm. Ich spreche aus Erfahrung, ich habe das nachgekoch­t, für eine größere Menge Kinder; die Kritiken waren, nun ja, durchwachs­en wie Gulaschfle­isch.

Das war 2003, schon damals war es hip, das Gulasch im Kaffee Alt Wien in der Bäckerstra­ße zu essen. Es wird angeblich nie neu angesetzt, nur aufgewärmt und aufgefüllt. So trotzen sie der Vergänglic­hkeit, sie nennen das ewiges Gulasch.

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