Corona. Eine Woche nach Einführung mehren sich die Gründe, die Impfpflicht doch nicht umzusetzen. Omikron sorgt für neue Voraussetzungen. Auch politisch gibt es Gegenwind aus den Bundesländern.
Wien. Am Samstag wird wieder einmal gegen die Impfpflicht demonstriert – aber wird sie überhaupt jemals umgesetzt? Exakt eine Woche nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist und damit formal Impfpflicht herrscht, mehren sich die Zweifel, dass der relevante Teil des Gesetzes, die Strafdrohung für Ungeimpfte, tatsächlich Realität werden könnte. Zumindest ist eine Verschiebung in den Herbst inzwischen eine sehr realistische Variante geworden.
1 Wie wahrscheinlich ist eine baldige Umsetzung des im Impfgesetz vorgesehenen Stufenplans?
Stufe ein s ist bereits in Kraft, es gibt ei ne Impfpflicht, aber keine Konsequenzen bei Nichtbefolgung. Stufe zwei wären ab Mitte März Strafen bei Polizeikontrollen, Stufe drei irgendwann danach automatische Strafbescheide für alle Ungeimpften. Dass diese dritte Stufe bald in Kraft tritt, wird immer unwahrscheinlicher. Das hat eine Reihe von Gründen, medizinische, organisatorische, rechtliche und auch politische. In der Politik sind es ausgerechnet die Landeshauptleute, auf deren Druck hin die Impfpflicht im November beschlossen wurde, die jetzt Stimmung dagegen machen. Auch das hat mehrere Gründe, von organisatorischen (siehe weiter unten) bis hin zu wahltaktischen: Vier Bundesländer wählen 2023, so mancher Landeschef will sich keinen Konflikt um die Impfpflicht antun. Darum drängt man jetzt auf eine rasche Überprüfung der Impfpflicht durch die geplante Expertenkommission. Noch vor März, fordert der Salzburger Landeshauptmann, Wilfried Haslauer. Da startet nämlich Stufe zwei, die Haslauer somit implizit infrage stellt.
Die Bundesregierung hält vorerst an Stufe zwei fest (ob Stufe drei kommen soll, sei zu prüfen). Sowohl Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) als auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) wollen die gerade mühsam beschlossene Impfpflicht nicht gleich wieder ad acta legen. In Stein gemeißelt ist aber auch das nicht. Die Koalition hat im Gesetz die Möglichkeit eingebaut, elegant aussteigen zu können, nämlich: die bereits erwähnte Kommission, die im Bundeskanzleramt angesiedelt ist und laufend evaluiert, ob die Impfpflicht weiterhin erforderlich ist. Die Kommission muss erst eingerichtet werden, mit ihr ließe sich Aussetzen oder Verschieben der Impfpflicht gut begründen.
2 Soll die Impfpflicht aus medizinischer Sicht schon jetzt greifen und sanktioniert werden? Oder soll sie verschoben werden?
Die weniger krank machende Variante Omikron verändert die Ausgangslage: Im Moment droht keine Überlastung des Gesundheitssystems. Die Bundesregierung lockert deshalb trotz hoher Zahlen. Bereits am Mittwoch wird es zu einem weiteren Öffnungsgipfel kommen. Die Impfpflicht will die Regierung aber nicht absagen, denn man möchte für kommende Wellen, also für den Herbst, vorbereitet sein. „Man muss jetzt demnächst zu impfen beginnen, um für den Herbst gerüstet zu sein, denn es dauert sechs bis sieben Monate, bis die Menschen durchimmunisiert sind“, so Epidemiologin und Gecko-Expertin Eva Schernhammer. Insofern dürfe man die Pflicht nicht verzögern.
Das sehen nicht alle so. Es sei „ein großer Fehler“, dass man bei der Einführung der Impfpflicht nicht auf die Zulassung der Totimpfstoffe gewartet habe, denn dann würde sich ein Teil der Bevölkerung ohnehin noch immunisieren, sagte Virologe Norbert Nowotny vor dem Beschluss der Impfpflicht. „Diese Zeit hätten wir gehabt.“Zuwarten könnte und sollte man auch laut Gesundheitsökonom Thomas Czypionka. Ansonsten hätten die Menschen im Herbst, wie er im „Presse“-Interview sagt, gar „nicht den besten Schutz“. Es brauche dazu frischere Impfungen (s. S. 3). Überhaupt könne man, so der Epidemiologe Gerald Gartlehner, noch nicht wissen, ob die derzeitige Impfung gegen eine Welle im Herbst schützt. Auch das spreche für eine Neubewertung.
3 Welche organisatorischen und verwaltungstechnischen Hürden stehen der Impfpflicht im Weg?
Das ist ein Aspekt, der im Zuge der Gesetzwerdung offenbar zu wenig beachtet wurde. Die automatischen Strafbescheide mussten ja schon verschoben werden, weil die Elga nicht in der Lage ist, die Daten dafür vor April entsprechend aufzubereite n. Das ist aber nur ein Aspekt. Der andere lautet: Die Verwaltungsverfahren würden die Behörden in den Ländern vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen. Derzeit sind 17 Prozent der Erwachsenen (rund 1,4 Millionen) noch ungeimpft. Dazu kommen jene, die nicht die nötigen Auffrischungsimpfungen haben. Strafbescheide nach automatisiertem Datenabgleich zu verschicken ist ja noch machbar, aber wenn es massenhaft Anträge auf Befreiungen und Einsprüche gegen die Bescheide gibt, stoßen die Behörden und Verwaltungsgerichte an ihre Kapazitätsgrenzen.
4 Wird die Impfpflicht rechtlich haltbar sein – auch wenn derzeit eine Überlastung des Gesundheitssystems nicht absehbar ist?
Die neuen Voraussetzungen sind auch aus rechtlicher Sicht von Bedeutung. Die Impfpflicht ist nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, etwa um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Es geht also weniger um den Schutz des Einzelnen als um den Schutz des Gesundheitssystems. Je weniger eine Überlastung droht, weil viele geimpft oder infolge der Omikron-Welle immunisiert sind, desto stärker sind die Argumente gegen eine Impfpflicht. Ein rechtliches Argument für sie ist es hingegen, dass die Impfstoffe zumindest bei Geboosterten auch gegen Omikron helfen und die Pharma-Firmen im Frühjahr für diese Variante optimierte Impfstoffe auf den Markt bringen wollen. Die erste Beschwerde gegen das Gesetz ist bereits beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingelangt. Gesetzprüfungsverfahren werden im Durchschnitt nach vier bis sechs Monaten entschieden. Die Regierung darf zuvor ihr Gesetz verteidigen.