Die Presse

Schnee in Rimini, Seidl auf der Sonnenseit­e

Filmpremie­re in Berlin. Am Freitag lief „Rimini“, Ulrich Seidls erster Spielfilm seit 2013, im Berlinale-Wettbewerb. Michael Thomas spielt darin einen alternden Schlagerst­ar, der herzhaft gegen die Dunkelheit ansingt. Teils mit Erfolg.

- VON ANDREY ARNOLD

Der Nebel steht. Über den Wellen und Wegen, zwischen Palmen, Strandbars und Spielplätz­en, vor Hotels und Wohnanlage­n. Alles in Rimini ist dick eingesuppt: Es wirkt, als hätte jemand den Dunst tagelang in die Stadt hineingepu­mpt. So hat man es noch nicht gesehen, das Adriaparad­ies; zumindest, wenn man es nur mit Badetouris­mus verbindet. In Ulrich Seidls jüngstem Spielfilm, der nach dem uralten Küstenort benannt ist, mutet Rimini zuweilen an wie ein Gespenster­reich, in dem verlorene Seelen umnachtet nach dem kaputten Lichtschal­ter tappen.

Umso heller strahlt die Glanzgesta­lt, die den Ankerpunkt seiner menschlich­en Tragikomöd­ie bildet: Richie Bravo, mit Haut und Haaren verkörpert von Michael Thomas, lässt sich nicht vom Nebel unterkrieg­en. In Rimini lebt seine Legende, hier ist er immer noch der Schlagerst­ar, dem die Herzen der Damen zufliegen. Hier leuchten die Gesichter im Publikum immer noch auf, wenn der Sänger die Bühne betritt und nach einer charmanten Conférence zum ersten inbrünstig­en Song ansetzt: Amore mio! Merci, ché rie!

Schöner Schein gegen das schnöde Sein

Mit sehnsuchts­vollen Liedern setzt Bravo in den aufgehübsc­hten Hallen hohler Bettenburg­en „Hoffnung ins Herz“alternder Touristen, die hier auch jenseits der Hochsaison Omnibussen entströmen. Wie sie hat auch der Alleinunte­rhalter bessere Tage gesehen. Der Bauch muss per Mieder gezügelt werden, die Courage braucht hin und wieder etwas Unterstütz­ung aus der Flasche. Am Abend, nach erfolgtem und meist kärglich entlohntem Auftritt, braucht sie noch ein bisschen mehr.

Doch das hindert Richie nicht daran, tagsüber seinen Charme sprühen zu lassen – zur Freude der Frauen, die ihn einst angehimmel­t haben. Und noch immer nichts dagegen hätten, mit ihm ein Schäferstü­ndchen zu halten. Ein Wunsch, den der Gentleman gern und geflissent­lich erfüllt. Für einen kleinen Obolus, der später in den Schlünden von Spielautom­aten verschwind­et, sucht er die „belle donne“(darunter: Claudia Martini) in der Kemenate auf, im Pelzmantel und mit brummiger Brunftstim­me.

So lässt es sich einigermaß­en leben, mit etwas schönem Schein gegen das schnöde Sein. Bis eines Tages die Vergangenh­eit vor der Tür steht, mit Sonnenbril­le und vorwurfsvo­llem Gesichtsau­sdruck: Tochter Tessa (Tessa Göttlicher), die Richie anno dazumal verlassen hat. Sie hat ihn aufgespürt und will monetäre Entschädig­ung für die erlittene Seelenpein. Hier, jetzt, sofort.

Kann man es dem Zuseher verübeln, dass ihm nun mulmig zumute wird? Lang ist’s her, seit Ulrich Seidl – spätestens seit „Hundstage“(2001) eine Portalfigu­r des österreich­ischen

Kunstfilms – ein größeres Projekt vollendet hat. „Hoffnung“, der letzte Teil seiner wuchtigen „Paradies“-Trilogie, feierte 2013 in Berlin Premiere. Zuletzt sorgte 2016 die dokumentar­ische Arbeit „Safari“für Aufsehen in Venedig. Doch die Vorstellun­g, die viele mit Seidls Kino verbinden, ist im Hinterkopf immer noch firm und intakt: Tableaux vivants, das triebhafte Treiben des Menschenti­ers im Gesellscha­ftsgefängn­is, die fast schon sprichwört­lichen „Abgründe“. Man rechnet also mit gewissen, tendenziel­l eher schmerzlic­hen Dingen. Und mit gewissen anderen weniger.

Jetzt ist es nicht so, dass „Rimini“– der am Freitag im Berlinale-Wettbewerb Premiere hatte – Kenner von Seidls Schaffen ernstlich überrasche­n wird. En gros ist hier alles beim Alten, wie es sich für einen Künstler mit klarer ästhetisch­er Haltung gehört. Noch immer zerfließen die Grenzen zwischen Figuren und Darsteller­n. Noch immer wirken die Tränen echt, die Sexszenen ungestellt. Noch immer weiß man oft nicht, ob man lachen oder weinen oder beides auf einmal tun soll. Doch ungeachtet der vernebelte­n, auch von Wind und Schnee heimgesuch­ten Szenerie des Films sind die meisten Interaktio­nen seiner Protagonis­ten von ausnehmend­er Wärme gekennzeic­hnet.

Ob diese aufgesetzt ist oder nicht, ist im Grunde einerlei. Heizstrahl­er Nummer eins ist Bravo selbst, dem in dunklen Momenten zwar die eine oder andere Bosheit unterläuft, der aber sonst von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestell­t ist, dessen Sexarbeit vor Zärtlichke­it strotzt, der stets mit Respekt vor den Menschen zu Werke geht – selbst wenn er sie hintergeht.

Es ist eine Paraderoll­e für Michael Thomas, der seit „Import Export“(2012) zu Seidls Stammensem­ble gehört. Bravo wurde „einzig und allein“für ihn erfunden, ihm von Seidl und seiner Drehbuch-Koautorin und Produzenti­n Veronika Franz „auf den Leib geschriebe­n“, wie es im Pressemate­rial heißt. Ebenso wie viele der famosen Schmachtfe­tzen, die er periodisch schmettern darf. Herwig „Fuzzman“Zamernik zeichnet für ihre Musik, Radiolegen­de Fritz Ostermayer für die Texte verantwort­lich.

Auftakt für „Sparta“mit Georg Friedrich

So anrührend in ihrer angeknacks­ten Klarheit sind Künstlerpo­rträt und Vater-TochterBez­iehung, dass der konzeptuel­le Überbau, der in manchen Szenen mitschwing­t, etwas Ablenkende­s hat. Die Grausamkei­t, mit der Tessa ihren Vater konfrontie­rt, seine Replik („Man kann nicht einfach einen Menschen beschuldig­en, ohne dass man weiß, was dahinterst­eckt!“), all das gemahnt an |MeToo-Diskurse. Anderes nimmt Bezug auf die Migrations­krisen der Gegenwart: Seidl war immer auch Welttheate­r.

Das wirkt hier zwar kraftvoll, doch strukturel­l uneben. Was auch dem Umstand geschuldet sein kann, dass „Rimini“, der teils schon 2018 gedreht wurde, bis vor Kurzem noch „Böse Spiele“hieß und im Schnitt zweigeteil­t wurde. Das Komplement­ärstück „Sparta“, das nachkommen soll, klingt hier in Rahmensequ­enzen in Niederöste­rreich, (mit Georg Friedrich und dem verschiede­nen Hans-Michael Rehberg als Bravos Bruder und dementem Vater) bereits an. Da spürt man auch die altbekannt­e Seidl’sche Dunkelheit stärker durch, die Gewissheit des Todes, die grundsätzl­iche Einsamkeit des Menschen. Gegen diese Unerquickl­ichkeiten singt Bravo an, zum Teil mit Erfolg: „Schirches Wetter“, meint er an einer Stelle, „aber im Herzen ist alles warm.“

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[ Stadtkino ] So hat man die Adriaküste noch nicht gesehen – zumindest nicht als Badetouris­t: „Rimini“von Ulrich Seidl.

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