Kommt der Krieg wieder nach Europa?
Russische Truppen an der Grenze zur Ukraine. Will Präsident Putin nur spielen? Und was ist diesmal das Trojanische Pferd?
Das Gerede von einer drohenden Invasion der Ukraine hat sogar den Arbeitskreis „Give Peace a Chance“im Gegengift ereilt. Er ist so gespalten, wie es nach Meinung mancher Analytiker all die direkt und indirekt beteiligten Mächte sind. In den USA wird eher geglaubt, Moskau lege es auf einen Krieg an. In der EU und paradoxerweise auch in Kiew meint man, dass es sich bloß um Drohgebärden handle, die die Nato spalten sollen. Wer weiß schon, was im Kopf eines Ex-KGB-Offiziers vorgeht?
Eines aber ist gewiss, wenn Panzer auffahren: Alle Alarmglocken sollten schrillen. Solch irre Aktionen können Prozesse auslösen, die nur schwer reversibel sind. Franz Kafka hat das im Schlusssatz seiner Erzählung „Ein Landarzt“so formuliert: „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen.“Einmal im Juni 1914 mit dem Wagen in Sarajewo falsch abgebogen, schon bleibt Europa für Jahrzehnte nichts erspart.
Kann man aus solchen Verirrungen lernen? Die US-Historikerin Barbara Tuchman zeigte sich in ihrem Bestseller „The March of Folly“– noch mitten im Kalten Krieg – skeptisch. Ihr Grundmodell ist ein episches aus alter Zeit: „Die Trojaner ziehen das hölzerne Pferd in die Stadt.“Sie glauben, dass es ein Ehrengeschenk an ihre Götter sei, dass es Frieden bringe. Nur der Priester Laokoon und die Seherin Kassandra bemerken den listigen Betrug. Doch sie haben keine Chance.
Tuchman analysiert diese Torheit der Regierenden mehrfach, anhand eindringlicher Beispiele: Dekadente Päpste provozieren in der Renaissance den Abfall der Protestanten, die britische Weltmacht unterschätzt den Unabhängigkeitswillen der Kolonien in Amerika, die USA erleiden voll Hybris das Debakel in Vietnam.
Worin besteht heute die Überheblichkeit? Dass Panzerdivisionen keinen Frieden bringen, scheint evident. Dazu braucht man keine Sehergabe. Dass eine Ostsee-Pipeline das hölzerne Pferd unserer Tage sein könnte, bleibt für manche ein blinder Fleck.