Mit der Zeitmaschine durch die Burg
Digital I. Über das ganz normale Alltagsleben auf der Festung Hohensalzburg weiß man noch wenig. Ein Forschungsprojekt soll das nun ändern – es nützt dazu künstliche Intelligenz.
Die Legende von den Salzburger Stierwaschern kommt nicht von ungefähr. Die Bauern hatten 1525 die Stadt erobert und die Festung belagert, die Lebensmittelvorräte auf der Burg, wo sich Erzbischof Matthäus Lang mit seinem Hofstaat und den Verteidigern verschanzt hatte, wurden langsam knapp. Der immer wieder anders bemalte Stier, der auf der Festungsmauer auf und ab getrieben wurde, sollte die Belagerer über die Nahrungsreserven auf der Burg täuschen.
Davon, dass die Festungsherren nie mehr in so eine prekäre Lage des drohenden Hungers kommen wollten, zeugen Besorgungslisten, die der Historiker Walter Brandstätter für seine Masterarbeit erstmals umfassend ausgewertet hat. „Es wurden größere Vorräte angelegt, die Speicherflächen wurden verdoppelt“, erzählt Brandstätter. Zwischen 40 und 60 Ochsen, mehrere 100 Schafe, Geflügel, Salz, Gewürze, drei Tonnen Honig, gesalzener Fisch wurden auf der Festung gelagert.
Eine „Stadt in der Stadt“
Auch baulich hat sich nach der Niederschlagung der Aufstände einiges getan: Die Festungsmauern wurden verstärkt, die Vorratskammern vergrößert und Platz für mehr Menschen geschaffen. „Es sollten 300 Personen über ein Jahr auf der Festung versorgt werden können“, erzählt Brandstätter nach der Analyse handschriftlicher Quellen aus den Jahren 1526 bis 1537. „Die Festung hat ein Eigenleben geführt, sie war eine Stadt in der Stadt“, sagt Brandstätter. Rund 120 Personen haben neben dem Erzbischof oben in der Burg dauerhaft gelebt – Soldaten, Handwerker, Bauarbeiter und die Dienerschaft.
Seine Erkenntnisse über das – bisher wenig untersuchte – ganz normale Alltagsleben auf der Festung fließen in ein großes vom Land Salzburg gefördertes Projekt ein, das die historische Forschung mit künstlicher Intelligenz und digitalen Möglichkeiten verbindet. Am Ende entsteht ein virtuelles Raumbuch der Festung, bei dem man durch die Räume und Epochen reisen kann.
In einem ersten Schritt werden historische Quellen zu den Räumen der Festung, deren Ausstattung und Funktion erschlossen. „Das sind vor allem Inventarlisten, die regelmäßig angelegt wurden“, erläutert die Historikerin Christina Antenhofer, die das am Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit, dem Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Ingrid Matschinegg) und dem Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg angesiedelte Projekt leitet.
Solche Listen wurden bisher in der historischen Forschung wenig genutzt. „Es sind sehr sperrige Quellen, deren Auswertung viel Zeit in Anspruch nimmt “, nennt Antenhofer einen Grund. Auch das Filtern der Informationen nach Kategorien dauert lang. Mithilfe der in Innsbruck entwickelten digitalen Plattform Transkribus geht diese Arbeit schneller – und die Inventarlisten werden zu interessanten Quellen für das alltägliche Leben auf der Festung. „Wir wollen wissen, wie sich die Räume auf der Festung in ihrer Nutzung verändert haben, wie sie ausgestattet waren, welche Möbel es gab und wie das Zusammenleben war“, erläutert Antenhofer die vielen Fragen, die sie und ihr Team interessieren.
Während man nämlich über die Verteidigung der Festung und ihre repräsentative Funktion für die Erzbischöfe relativ viel wisse, sei über das normale Leben auf der Burg bisher wenig bekannt. „Wenn man denkt, es ist schon alles gesagt, liegt man falsch“, meint die Historikerin. Die Ergebnisse aus der softwaregestützten Quellenanalyse werden in einem zweiten Schritt mit Informationen über die Räume und den Ergebnissen der Bauforschung in Kooperation mit der TU Graz (Stefan Zedlacher) verbunden.
Virtuelle Reise zurück
Unter Erzbischof Leonhard von Keutschach, dem Vorgänger von Matthäus Lang, gab es umfangreiche Bauarbeiten auf der Festung – damals entstanden beispielsweise die prunkvoll ausgestalteten fürstlichen Wohnräume, die Georgskirche im Bereich des Inneren Schlosses sowie die markanten Ecktürme am Westende der Festung. Auf Basis der Inventare, der Baupläne und der bauhistorischen Forschung entsteht dann ein digitaler Rundgang. In der letzten Phase des Projekts werden die Daten in die Time Machine Europe eingepflegt, eine Plattform, die das europäische Kulturerbe durch virtuelle Reisen durch Zeit und Raum erlebbar macht.