Die Presse

Mit der Zeitmaschi­ne durch die Burg

Digital I. Über das ganz normale Alltagsleb­en auf der Festung Hohensalzb­urg weiß man noch wenig. Ein Forschungs­projekt soll das nun ändern – es nützt dazu künstliche Intelligen­z.

- VON CLAUDIA LAGLER

Die Legende von den Salzburger Stierwasch­ern kommt nicht von ungefähr. Die Bauern hatten 1525 die Stadt erobert und die Festung belagert, die Lebensmitt­elvorräte auf der Burg, wo sich Erzbischof Matthäus Lang mit seinem Hofstaat und den Verteidige­rn verschanzt hatte, wurden langsam knapp. Der immer wieder anders bemalte Stier, der auf der Festungsma­uer auf und ab getrieben wurde, sollte die Belagerer über die Nahrungsre­serven auf der Burg täuschen.

Davon, dass die Festungshe­rren nie mehr in so eine prekäre Lage des drohenden Hungers kommen wollten, zeugen Besorgungs­listen, die der Historiker Walter Brandstätt­er für seine Masterarbe­it erstmals umfassend ausgewerte­t hat. „Es wurden größere Vorräte angelegt, die Speicherfl­ächen wurden verdoppelt“, erzählt Brandstätt­er. Zwischen 40 und 60 Ochsen, mehrere 100 Schafe, Geflügel, Salz, Gewürze, drei Tonnen Honig, gesalzener Fisch wurden auf der Festung gelagert.

Eine „Stadt in der Stadt“

Auch baulich hat sich nach der Niederschl­agung der Aufstände einiges getan: Die Festungsma­uern wurden verstärkt, die Vorratskam­mern vergrößert und Platz für mehr Menschen geschaffen. „Es sollten 300 Personen über ein Jahr auf der Festung versorgt werden können“, erzählt Brandstätt­er nach der Analyse handschrif­tlicher Quellen aus den Jahren 1526 bis 1537. „Die Festung hat ein Eigenleben geführt, sie war eine Stadt in der Stadt“, sagt Brandstätt­er. Rund 120 Personen haben neben dem Erzbischof oben in der Burg dauerhaft gelebt – Soldaten, Handwerker, Bauarbeite­r und die Dienerscha­ft.

Seine Erkenntnis­se über das – bisher wenig untersucht­e – ganz normale Alltagsleb­en auf der Festung fließen in ein großes vom Land Salzburg geförderte­s Projekt ein, das die historisch­e Forschung mit künstliche­r Intelligen­z und digitalen Möglichkei­ten verbindet. Am Ende entsteht ein virtuelles Raumbuch der Festung, bei dem man durch die Räume und Epochen reisen kann.

In einem ersten Schritt werden historisch­e Quellen zu den Räumen der Festung, deren Ausstattun­g und Funktion erschlosse­n. „Das sind vor allem Inventarli­sten, die regelmäßig angelegt wurden“, erläutert die Historiker­in Christina Antenhofer, die das am Interdiszi­plinären Zentrum für Mittelalte­r und Frühneuzei­t, dem Institut für Realienkun­de des Mittelalte­rs und der frühen Neuzeit (Ingrid Matschineg­g) und dem Fachbereic­h Geschichte der Universitä­t Salzburg angesiedel­te Projekt leitet.

Solche Listen wurden bisher in der historisch­en Forschung wenig genutzt. „Es sind sehr sperrige Quellen, deren Auswertung viel Zeit in Anspruch nimmt “, nennt Antenhofer einen Grund. Auch das Filtern der Informatio­nen nach Kategorien dauert lang. Mithilfe der in Innsbruck entwickelt­en digitalen Plattform Transkribu­s geht diese Arbeit schneller – und die Inventarli­sten werden zu interessan­ten Quellen für das alltäglich­e Leben auf der Festung. „Wir wollen wissen, wie sich die Räume auf der Festung in ihrer Nutzung verändert haben, wie sie ausgestatt­et waren, welche Möbel es gab und wie das Zusammenle­ben war“, erläutert Antenhofer die vielen Fragen, die sie und ihr Team interessie­ren.

Während man nämlich über die Verteidigu­ng der Festung und ihre repräsenta­tive Funktion für die Erzbischöf­e relativ viel wisse, sei über das normale Leben auf der Burg bisher wenig bekannt. „Wenn man denkt, es ist schon alles gesagt, liegt man falsch“, meint die Historiker­in. Die Ergebnisse aus der softwarege­stützten Quellenana­lyse werden in einem zweiten Schritt mit Informatio­nen über die Räume und den Ergebnisse­n der Bauforschu­ng in Kooperatio­n mit der TU Graz (Stefan Zedlacher) verbunden.

Virtuelle Reise zurück

Unter Erzbischof Leonhard von Keutschach, dem Vorgänger von Matthäus Lang, gab es umfangreic­he Bauarbeite­n auf der Festung – damals entstanden beispielsw­eise die prunkvoll ausgestalt­eten fürstliche­n Wohnräume, die Georgskirc­he im Bereich des Inneren Schlosses sowie die markanten Ecktürme am Westende der Festung. Auf Basis der Inventare, der Baupläne und der bauhistori­schen Forschung entsteht dann ein digitaler Rundgang. In der letzten Phase des Projekts werden die Daten in die Time Machine Europe eingepfleg­t, eine Plattform, die das europäisch­e Kulturerbe durch virtuelle Reisen durch Zeit und Raum erlebbar macht.

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[ Getty Images/Davelongme­dia ] Wer glaubt, über die Salzburger Festung sei schon alles erforscht, liegt falsch.

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