Der Wissensvorrat zur Rettung der Welt
Wie viel Material verbrauchen die Menschen? Der Soziologe Heinz Schandl misst an der australischen „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“in Canberra den Ressourcenhunger der Länder.
Eigentlich wollte er vor allem sein Englisch verbessern. „Meine Frau und ich sind 2006 mit zwei Kleinkindern nach Australien gegangen, jetzt sind wir seit mehr als 15 Jahren hier“, erzählt der gebürtige Wiener Heinz Schandl. Heute sucht er bei Begriffen mitunter nach dem deutschen Ausdruck.
In der internationalen Fachwelt ist der promovierte Soziologe jedenfalls gut angekommen. Er koordiniert an der australischen „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“(Csiro) eine Forschungsgruppe,
IN DER FERNE FORSCHEN
die sich mit dem weltweiten Ressourcenverbrauch befasst, und arbeitet dabei u. a. mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen zusammen. Erst zu Jahresbeginn präsentierte er als Teil eines internationalen Teams im Fachblatt Nature Sustainability eine OnlinePlattform, über die man den Material-Fußabdruck aller Länder abrufen kann. Demnach hat sich der weltweite Ressourcenverbrauch seit 1970 in etwa vervierfacht.
„Wir brauchen immer mehr“
Schandls Arbeit konzentriert sich aber auch auf die Zukunft: „Wir rechnen Szenarien für den künftigen Materialverbrauch und testen, ob ambitionierte Umwelt- und Wirtschaftspolitik eine Veränderung bringt.“Dahinter steht stets die große globale Frage: Kann man neun Milliarden Menschen auf ein Wohlstandsniveau mit ausreichend Essen, sauberem Wasser und moderner Elektrizität heben, ohne die Naturressourcen zu übernutzen?
Für Schandl nicht nur ein Thema der technischen Optimierung, sondern eines mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen – und oft ernüchternder Bilanz: „In den vergangenen 50 Jahren gab es kein Jahr, in dem sich die Ressourcennutzung global verringert hat. Wir brauchen immer mehr – aber jedes Kilogramm verbrauchtes Material hat Folgen für die Umwelt“, erläutert er. Fragt man sich dabei nicht manchmal, ob man nur den Niedergang dokumentiert? Schon, aber die Forschung stelle die „Wissensvorräte“zur Verfügung, die gesellschaftliche Veränderungen ermöglichen, sagt der Soziologe.
Ein Fokus seiner Arbeit ist Asien. 2011 belegte er in einem internationalen Bericht, dass der Kontinent zum weltweit größten Ressourcennutzer geworden war. „Die traditionellen, ressourceneffizienten Systeme Asiens haben sich zu ressourcenhungrigen Systemen verwandelt“, schildert er – Veränderungen, die den einstigen Volksschullehrer, der im zweiten Bildungsweg studierte, schon am Institut für Soziale Ökologie in Wien beschäftigten. Dort hatte er zuvor in den 1990er-Jahren den Aufbruch des Umweltdenkens von einer Konservierungshaltung („Wie schützen wir die Natur?“) zu einer wirtschaftsorientierten Umweltpolitik („Wie kann man Wirtschaftsprozesse so gestalten, dass die Umwelt geschont wird?“) erlebt. Bei seiner Ankunft in Australien war von alldem noch nichts zu spüren. Hier sei man mindestens 20 Jahre zurückgelegen, erzählt er. Australien ist bis heute der größte Materialbereitsteller der Weltökonomie: Ob Eisenerz, Kohle, Kupfer, Fleisch oder Getreide – das Land liegt überall vorne. Problematisch: die Kohleindustrie als wirtschaftliches Rückgrat. Die Reserven würden bei gegenwärtigen Fördermengen noch 600 Jahre reichen, so Schandl: „Ganze Regionen leben davon. Und wie sagen Sie einem Fabrikanten mit vollem Lager, dass er nichts mehr verkaufen darf?“
Jeder optimiert eigenen Nutzen
Außerdem rühme sich Australien zwar gern als multikulturelle Gesellschaft, sei aber in seinen inneren Strukturen vom angelsächsischen Gedankengut geprägt: „Man geht davon aus, dass es der Gesellschaft besser geht, wenn jeder seinen eigenen Nutzen optimiert“, schildert Schandl. Die Idee, dass kollektive Anstrengung bessere Resultate erzielt, gibt es nicht. Der Erfolg einiger weniger steht auch an den Unis im Vordergrund. Während man im österreichischen Bildungssystem noch immer versuche, jeden nach seinen Möglichkeiten zu fördern, suche man in Australien
Man bemüht sich zu leben, was man forscht, sieht aber auch, wie schwer das ist.“
Heinz Schandl, Soziologe, Csiro
nach den besten Möglichkeiten für eine bestimmte Elite, sagt Schandl. Ein Resultat dieses nicht auf Massenbildung angelegten Prinzips: Australische Unis rangieren in internationalen Rankings weit besser als österreichische.
Sehr renommiert ist auch das Csiro, an dem er forscht – er vergleicht es mit Fraunhofer in Deutschland. „Das hat mir ganz andere Türen geöffnet als es in Österreich je möglich gewesen wäre“, sagt er. Eine Rückkehr nach Österreich scheint also keine Option. Man frage sich in der Familie, die in den vergangenen 15 Jahren nur zweimal für fünf Wochen nach Österreich reiste, vielmehr: Welcher andere Schritt kommt als nächstes?, so Schandl.
Wie sehr gelingt es ihm zu leben, was er als Resultat seiner Forschung für sinnvoll erachtet? Australien mit seinen großen Distanzen mache es einem dabei nicht leicht, sagt er: „Jetzt, wo die Kinder groß sind, überlegen wir ein zweites Auto, aber ein E-Auto ist kaum leistbar. Und als Forscher zerstört man sich seine CO2-Bilanz, indem man zu Konferenzen fliegt“, erzählt er. Aber immerhin: Man trenne konsequent Müll, kompostiere biologisches Material und vor allem die Teenager würden Second Hand-Kleidung tragen. „Man bemüht sich zu leben, was man forscht, sieht aber auch, wie schwer das ist“, sagt Schandl.