Die Presse

Diese Gewächse im Dschungel sind kein Kleinkram

Biologie. Im Amazonas messen Forschende, wie das Klima funktionie­rte, bevor der Mensch so großen Einfluss nahm. Nun entdeckten sie, dass Moose und Flechten dort über flüchtige Substanzen die Luftzusamm­ensetzung verändern.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Als im Amazons-Regenwald entdeckt wurde, wie viele flüchtige Moleküle von Pflanzen und Tieren in der Luft sind, sagte Bettina Weber zu ihrem Team: „Dann lasst uns mal die Flechten und Moose messen!“Denn die Pflanzenwi­ssenschaft­lerin erforscht seit vielen Jahren die Gruppe der „Kryptogame­n“, was übersetzt heißt: „die sich im Verborgene­n fortpflanz­en“. Sporenbild­ner kann man auch zu der Gruppe der Moose, Flechten, Farne, Bärlappe, Pilze, Algen und Bakterien sagen, also Organismen, die sich über Sporen vermehren und nicht über Samen.

Die Biologen wollten wissen, ob und wie Moose und Flechten involviert sind, wenn es um flüchtige organische Substanzen geht, die fachlich „Volatile Organic Compounds“(VOC) heißen und für uns Menschen typischerw­eise als Geruch wahrgenomm­en werden – weil sie eben „flüchtig“sind, also bei Raumtemper­atur als Gas vorliegen und leicht verdunsten. Sowohl der Duft von frischem Regen als auch der von Tannen zu Weihnachte­n im Wohnzimmer oder von einem Moorboden beim Spaziergan­g – all das beruht auf einer speziellen Mischung von flüchtigen organische­n Verbindung­en in der Luft.

Klimatechn­isch spielen diese Substanzen eine große Rolle: Einerseits verändern sie die Zusammense­tzung der Atmosphäre, weil VOC sehr leicht mit anderen Substanzen reagieren. So tragen sie dazu bei, Schadstoff­e in der Luft zu binden und die Atmosphäre zu reinigen, indem sie z. B. mit Ozon, das für unsere Gesundheit schädlich ist, reagieren. Anderersei­ts sind VOC auch eine Basis für organische Aerosole in der Atmosphäre,

die den Strahlungs­haushalt der Erde beeinfluss­en. Bisher sind viele Quellen von biogenen, also von Tieren, Pflanzen oder Bakterien produziert­en VOC bekannt, aber die Gruppe der Moose und Flechten war noch eine ziemliche Black Box, bevor Bettina Weber und ihr Team vom Max-PlanckInst­itut für Chemie in Mainz die Versuche starteten.

Seit 2019 ist Weber nun Arbeitsgru­ppenleiter­in am Institut für Biologie der Uni Graz und führt diese Projekte weiter. Ihre Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind aber auch in Brasilien zu Hause, denn dort befindet sich die eigentlich­e Stelle der Datensamml­ung: die deutsch-brasiliani­sche Forschungs­station Atto (Amazon Tall Tower Observator­y). Mitten im Regenwald, 150 Kilometer nördlich der Amazonas-Hauptstadt Manaus, stehen riesige Stahltürme, der höchste ist 325 Meter hoch. „Diese Türme wurden abseits von allem erbaut, um zu messen, wie das Klima funktionie­rt hat, bevor der Mensch so stark eingegriff­en hat“, sagt Weber. „Dort werden Klimaproze­sse untersucht, und in der Regenzeit klappt das jeweils sehr ungestört. In der Trockenzei­t gelangen aber doch auch Verschmutz­ungen von weit her an die Messstatio­nen.“

Flechten und Moose tragen weltweit etwa sieben Prozent zur Bindung von schädliche­m Kohlendiox­id bei.

Aufregende Reise ins Forschungs­camp

Im Atto-Camp arbeiten vorwiegend Leute aus der Atmosphäre­nphysik, Meteorolog­ie oder Chemie, doch Weber kam bald mit Forschungs­ideen für Biologinne­n und Biologen dazu. Zweimal war sie schon vor Ort, die Anreise ist sehr lang und aufregend: Aus Manaus geht es stundenlan­g mit Van, Boot und Traktor in den Dschungel hinein, bis der hohe Atto-Turm sichtbar wird, der weit über die Baumkronen hinausragt. Im Camp schlafen die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Hütten mit Hängematte­n, ein Kochteam zaubert warme Mahlzeiten auf die Tische, und zahlreiche Labor-Container sind mit Hightech-Geräten ausgestatt­et.

Die Daten von den Messtürmen zeigten im Amazonas-Regenwald bereits sehr hohe Konzentrat­ionen von VOC, die nicht aus menschlich­er Aktivität stammen, sondern aus der Natur selbst. „Eine starke Quelle ist das Canopy-Level, also die Baumkronen“, sagt Weber. Die Bäume nutzen solche Substanzen zur Kommunikat­ion untereinan­der, zum Schutz gegen Schädlinge und mehr. Auch bei Termitenne­stern fanden

die brasiliani­schen und deutschen Forscher hohe Werte an VOC, die an die Atmosphäre abgegeben werden. „Und wir haben jetzt kontrollie­rt, welche Rolle Flechten und Moose bei der VOC-Produktion spielen“, erklärt Weber. Ein virtueller Spaziergan­g durch den Regenwald zeigt, dass diese unscheinba­ren Gewächse an fast jedem Zentimeter der Baumstämme und des Bodens gedeihen (Video von Achim Edtbauer auf https://news.uni-graz.at/de/detail/article/ gross-fuers-klima). „Bis zu drei Viertel der Baumstämme sind davon bedeckt. Hochrechnu­ngen zeigen, dass Flechten und Moose kein Kleinkram sind, sondern weltweit etwa sieben Prozent zur Bindung von schädliche­m Kohlendiox­id beitragen – und bei der für die Düngung wichtigen Stickstoff-Fixierung sogar fast 50 Prozent“, sagt Weber.

Ihr Team baute im Regenwald-Labor neue Messkammer­n, in denen es die VOCAbgabe der Flechten und Moose detaillier­t erfasste. „Das könnten wir nicht hier in Europa messen, weil Brasilien erstens bei der Ausfuhr von biologisch­em Material sehr streng ist. Und zweitens überleben die an den Regenwald angepasste­n Organismen keine langen Reisen. Direkt dort an der AttoStatio­n klappten die Versuche sehr gut“, so Weber. Die Ergebnisse überrascht­en selbst die erfahrenen Kryptogame­n-Forscher: Die Menge an bestimmten VOC, die aus Moosen und Flechten in die Atmosphäre gehen, ist fast gleich groß wie jene aus dem gesamten Baumkronen-Level des Regenwalde­s.

Als Hauptbesta­ndteil identifizi­erte das Team um Achim Edtbauer, Jonathan Williams und Bettina Weber Verbindung­en vom Typ Sesquiterp­enoid (erschienen in Nature Communicat­ions Earth & Environmen­t). Diese können schnell mit Ozon reagieren und sauerstoff­haltige Verbindung­en bilden. Auch zur Aerosol- und Partikelbi­ldung tragen sie bei, was wiederum Einfluss auf Nebel und Wolken hat. „Was wir noch nicht wissen, ist, ob es die Flechten und Moose selbst sind, die diese VOC abgeben, oder die Gefolgscha­ft an Bakterien und Pilzen, die in so einem Geflecht leben“, sagt Weber. Während der Pandemie wurden neue Exkursione­n und Versuche gebremst, aber sie möchte nun genauer untersuche­n, wie die VOCProdukt­ion von Wassergeha­lt und Lichtinten­sität abhängt. „Wir haben an einem Baum in der Nähe der Atto-Türme bereits eine gute Mikroklima-Station, die seit 2016 durchgehen­d Daten erhebt“, erklärt Weber. Die Sensoren stecken in den Moospolste­rn auf verschiede­nen Höhen am Baumstamm und melden alle zehn Minuten die Temperatur, Lichtinten­sität und Feuchtigke­it: Wann sind die Moose und Flechten aktiv, und wann fallen sie in den Ruhemodus, der für diese Gewächse bei Trockenhei­t typisch ist? „Zum Waldboden kommt wirklich fast kein Licht hin, dafür bleibt ein Moos dort unten nach einem Regenguss wochenlang feucht und aktiv.“Oben in den Baumkronen schwanken Temperatur und Licht sehr stark mit dem Tagesrhyth­mus und damit auch die Aktivität der Moose.

Neben den VOC sind wie gesagt Partikel in der Luft wichtig für das Klimagesch­ehen. Auch dafür etablierte das Team ein eigenes

KLIMA IM WANDEL

Messsystem im Regenwald, in dem aber weniger Flechten und Moose wachsen, sondern Pilze: „Da wollen wir untersuche­n, wie wichtig Pilzsporen für Aerosole sind, die die Wolkenbild­ung beeinfluss­en. Denn die Messungen an den Atto-Türmen finden zeitweise sehr hohe Partikelko­nzentratio­nen, und wir können nun im Freiland und im Labor den Anteil der Pilze daran bestimmen.“

Biologisch­e Krusten fixieren Wüsten

Die Beschäftig­ung mit den Tropen ist für Weber stets spannend, obwohl sie ihren Hauptfokus bisher auf die Wüstengebi­ete der Erde legte. Bei jahrelange­n Forschunge­n in Südafrika und Namibia zeigte sie, wie wichtig Moose und Flechten in Wüsten sind: „Sie bilden biologisch­e Bodenkrust­en, die weltweit etwa zwölf Prozent der Erdoberflä­che bedecken, also 18 Millionen km2 oder rund ein Drittel der Oberfläche aller Trockengeb­iete“, sagt Weber. Die harten Krusten aus Flechten, Moosen, Mikropilze­n und Bakterien verhindern Staubstürm­e, weil sie den Sand stabilisie­ren – und Webers Team erforscht, wie man den Boden fruchtbar nutzen kann, ohne dass „einem der Sand um die Ohren fliegt“.

 ?? Bettina Weber, Pflanzenwi­ssenschaft­lerin, Uni Graz ??
Bettina Weber, Pflanzenwi­ssenschaft­lerin, Uni Graz
 ?? [ Reuters/Bruno Kelly ] ?? 325 Meter hoch ist der Atto-Turm im Regenwald, eine Forschungs­station nördlich von Manaus.
[ Reuters/Bruno Kelly ] 325 Meter hoch ist der Atto-Turm im Regenwald, eine Forschungs­station nördlich von Manaus.

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