In Taipeh trinkt man neuerdings litauischen Rum
Zu Besuch in der taiwanesischen „Botschaft“in Vilnius. „Mit Litauen“, erklärt der Diplomat Huang, „teilen wir dieselben Werte.“
Seit die litauische Regierung Taiwan erlaubt hat, eine diplomatische Vertretung unter dem Namen „Taiwan“zu eröffnen, ist das EU-Mitglied dem geballten Zorn der Volksrepublik China ausgesetzt. Der chinesische Zoll fertigt aus Litauen kommende und nach Litauen gehende Waren nicht mehr ab. „Wir stehen zu Litauen“, sagt die EU-Kommission, die Wirtschaft aber drängt Litauen, China nachzugeben.
Der Flughafen Vilnius empfängt mich mit dem weißen Zuckerstuck eines sowjetischen Bahnhofs, dahinter folgt ein Wintermärchen aus Schnee und Eis. Berühmt, wenn auch im Barbetrieb von Vilnius ziemlich unbekannt ist neuerdings litauischer Rum. Dank aus Trinidad importierter Melasse konnte Litauen 20.400 Flaschen „Propeller Dark“nach China schicken. Wegen der chinesischen Blockade übernahm Taiwan den litauischen Rum und bewarb ihn mit Cocktail-Rezepten. Ich möchte den litauischen Hersteller besuchen. Die höfliche Antwort : „Jetzt nicht.“
Taiwans „Botschaft“liegt an der Neris, im obersten Stock des 16-stöckigen VictoriaTower, über dem Büro von PricewaterhouseCoopers. Ein ernster Kerl mit CheBart und roter Wollmütze fotografiert gerade mit ausgestrecktem Zeigefinger die Taiwan-Tafel im Freien. Als ich ihn anspreche, läuft er weg. Oben im Rundblickbüro empfängt mich Tom Y. F. Huang, Direktor und Berater. Auch der lebhafte Grauhaarige im
Expedition Europa: weißen Rolli fürchtet die Volksrepublik – seine früheren Diplomatenposten verrät er mir „nur privat, als einem Freund“. Die taiwanesische Oolong-Teepflanze bleibt die ganze Zeit in meiner Tasse, der Tee wird nicht bitter. „Mit den Litauern“, sagt Huang, „teilen wir dieselben Werte. Sie waren die Ersten, die 1989 die Sowjetunion verließen. Sie wollten Freiheit.“Er fragt, ob die EU „ihre traditionellen Werte Menschenrechte, Demokratie und Freiheit aufgeben würde. Heute ist Litauen dran, wer ist es morgen?“Nachahmer hat Litauen noch keine gefunden, die Hoffnungen des demokratischen Inselstaats, der alle Auslandsvertretungen von „Taipeh“auf „Taiwan“umbenennen will, liegen auf der neuen Regierung Tschechiens. Huang schildert einen Eklat beim Neujahrsempfang des Prager Bürgermeisters: Als der chinesische Botschafter den früher eingetroffenen Botschafter Taiwans erblickte, habe er undiplomatisch rumgezetert und sei abgerauscht. Huang fragt: „Wie soll man mit denen ein Land aufbauen?“
Zwar hält auch Taiwan an der „Ein-China-Politik“fest, Huang betont aber, dass sich Taiwan als eigene Nation empfände. Nachdem Rotchina die Schrift vereinfacht und „die traditionelle Kultur in der Kulturrevolution zerstört“habe, fühlen sich Taiwaner auf Chinabesuch heute so fremd „wie in Japan“.
Ich frage, was aus den 20.400 Flaschen litauischen Rums geworden ist. „Die sind weg“, prahlt Huang, „ausgetrunken, pur und zu Cocktails gemixt, in 20 Minuten ausverkauft.“Gerade sei Neujahr gewesen, genauer gesagt „Mondneujahr“, wie er zur neuerlichen Abgrenzung von China hinzufügt. Auch er selbst habe nichts abbekommen, „alles ist weg“. – „Haben Taiwaner den litauischen Rum aus Solidarität getrunken?“– „Nein, aus Dank. Litauen hat uns, als China unsere Versorgung mit Impfstoffen blockiert hat, 260.000 Dosen geschenkt.“Mit „Propeller Dark“haben Taiwaner erstmals dunklen Rum gekostet. Der taiwanesische Diplomat glaubt, sie werden noch viel davon kaufen.