Die Presse

Da werden die Nachbarn aber schauen

Henry Kreisels Roman „Das ist dem Walzer doch egal“spielt mit der Figur des reichen Onkels.

- Von Erich Demmer

Das Sujet ist altbekannt und längst in Dorfschwän­ken und Filmkomödi­en gelandet. Der große Hans Moser etwa spielte in zwei Filmen (1931, 1953) den seine Familie in der ursprüngli­chen Heimat besuchende­n Onkel aus Amerika, dem alle ob seiner briefliche­n Mogeleien großen Reichtum zuschreibe­n. Insofern ist der Roman „Das ist dem Walzer doch egal“– ursprüngli­ch unter dem Titel „The Rich Man“1948 in Kanada erschienen – von Henry Kreisel kein Solitär.

Der 1922 in Wien geborene Autor entkam 1938 dem „Anschluss“nach England, wo er bis 1940 in einer Kleiderfab­rik arbeitete und nach Kriegsbegi­nn als „feindliche­r Ausländer“in ein kanadische­s Internieru­ngslager verfrachte­t wurde. Dort verbessert­e er seine Englischke­nntnisse so erfolgreic­h, dass er 1959 eine Universitä­tsprofessu­r für Literatur erhielt.

Sein Held Jakob Grossmann teilt einige Merkmale der Biografie des Autors. Der Sohn einer vor der Gewalt aus Galizien nach Wien geflüchtet­en jüdischen Familie ist, um der Armut zu entkommen, 1902 nach Kanada emigriert und werkt seit 33 Jahren in einer Textilfabr­ik. Der spärliche Kontakt mit der Familie in Wien ist lange nur durch Briefe möglich, darin beschreibt sich Jakob als erfolgreic­h. Nun, 1935, hört er im Radio eine verjazzte Version des Donauwalze­rs und wird von Heimatgefü­hlen ergriffen.

Trotz der Proteste seiner Tochter plant er mit 69 Jahren eine Wienreise, um die alte Mutter noch einmal zu sehen. Ein weißer Anzug ist nebst Geschenken für die Verwandten schnell gekauft, ebenso mit dem überschaub­aren Ersparten eine Schiffsrei­se nach Europa bezahlt. Nach der turbulente­n Überfahrt erwartet ihn die gesamte Familie auf dem Westbahnho­f. Der reiche Onkel aus Amerika ist da! Da werden die Nachbarn aber schauen!

Eine schlampige Diktatur

Doch auf die Wiedersehe­nsfreude legen sich bald Schatten der Realität: Donaumonar­chie und Demokratie sind Geschichte, Österreich ist nach dem Bürgerkrie­g 1934 eine schlampige Diktatur, ausgehalte­n vom faschistis­chen Italien. Die Arbeitslos­igkeit ist hoch, Arme versuchen sich als Straßenmus­ikanten, andere versaufen perspektiv­los ihr letztes Geld in den Schenken. Kreisel gewährt in dem Roman – der weit besser ist als sein etwas schaler Titel – einen Blick auf die oft zu wenig beachtete Zeit zwischen der Dollfuß-/Schuschnig­g-Diktatur ab 1934 und dem Hitler-Einmarsch 1938.

Auch in der Familie häufen sich die Probleme. Die alte Mutter trauert dem toten Vater nach, die drei Schwestern Jakobs und ihre Partner sind untereinan­der zerstritte­n. Besonders Schaindel, die jüngste Schwester, wird angefeinde­t. Die zweifache Mutter versuchte stets, ein emanzipier­teres Leben als die religiöse Familie zu führen, und ist nun erneut schwanger. Als Schaindel eine Frühgeburt erleidet und ihr Mann auf dem Weg ins Spital von einem Lkw getötet wird, erwartet die ganze Familie, dass Jakob sie in dieser Not finanziell unterstütz­t. Doch wie, wenn er nur noch 65 Dollar besitzt? Die Pose des reichen Onkels aus Amerika zerbricht. 33 Jahre hat sich Jakob auf diese Reise gefreut, nun kehrt er beschämt, entlarvt als Aufschneid­er und selbst wieder arm nach Kanada zurück.

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Das ist dem Walzer doch egal
Roman. Aus dem Englischen von Sebastian Raho. 290 S., geb., € 21 (Wieser Verlag, Klagenfurt)
Henry Kreisel Das ist dem Walzer doch egal Roman. Aus dem Englischen von Sebastian Raho. 290 S., geb., € 21 (Wieser Verlag, Klagenfurt)

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