Ein Populist vor der Linse
„Die Einstellung“: Doron Rabinovici erzählt in seinem neuen Roman von der Macht der Bilder, von hasserfüllten Debatten und politischen Winkelzügen.
Alles dreht sich um ein Foto. Es zeigt das Gesicht des Politikers Ulli Popp. Er ist der Anführer einer rechtspopulistischen Partei. August Becker hat das Bild aufgenommen. Wir sehen den Politiker vor einem Bierfass. Weil er das Anzapfen eines Bierfasses nicht auf den ersten Schlag geschafft hat, holt Popp ein zweites Mal aus – der Fotograf fixiert den Augenblick: Da „entgleiste ihm das Gesicht, die Augen weit aufgerissen, der Blick stier, der Mund verzogen vor Anstrengung“. Der Politiker sieht „wie ein Mörder“aus, „das verzerrte Gesicht, der vorgeschobene Unterkiefer, der starre Blick“, er wirkt „wie ein Koloss, ein Monster, ein Unmensch“.
Eigentlich soll der starre Blick auf die Titelseite des Hochglanzmagazins „Forum“, für das Becker arbeitet, aber für den Chefredakteur ist das Bild zu krass, er legt sein Veto ein, und so erscheint die Reportage über Popps Wahlkampf ohne den fulminanten Schnappschuss. Als er davon erfährt, leert der Fotograf eine Flasche Montepulciano, ergreift das Rotwein-und-Frust-Momentum und schickt dem Politiker das Foto per E-Mail zu: „Dieses Schwein sollte sich so sehen, wie er, August Becker, ihn sah.“
Die Geschichte nimmt eine überraschende Wende, denn Popp und seine PRAgentur wählen das Motiv für eine gigantische Plakatkampagne. Während die einen Becker zu diesem Coup gratulieren, weil sie überzeugt sind, das Foto zertrümmere die Karriere des Politikers, werfen ihm andere vor, er unterstütze die Faschisten, ja er sei „die Leni Riefenstahl unserer Zeit“. Als dann noch publik wird, dass Popp dem StarFotografen ein gutes Honorar überwiesen hat, fegt ein Shitstorm über Becker hinweg. Besser wäre es gewesen, die Accounts auf Instagram, Facebook und Twitter nicht zu öffnen. Zu guter Letzt kündigt auch das Forum Becker die Zusammenarbeit auf.
Entgegen den Prognosen, die einen Absturz von Popp voraussagen, feiert er bei der Wahl einen Triumph. Eine konservative Partei bietet Gespräche für eine rechte Koalition an. Doch bald werden diese Verhandlungen abgebrochen. Der Grund dafür – der Roman biegt mit dem letzten Kapitel in hohem Tempo in die Schlusskurve ein – hat mit einem zweiten Foto zu tun, das ebenfalls von August Becker stammt. Was es zeigt, soll hier nicht verraten werden.
Doron Rabinovici hat einen Roman über die Macht der Bilder, über Politik und Medien in Zeiten des Populismus geschrieben. Mit großer Akribie zeichnet er hasserfüllte Debatten und die Verdammung von Andersdenkenden nach. Mit der Figur Popp lernt man einen rhetorisch gewandten, autoritären Burschen kennen, der ausgezogen ist, die Unzufriedenheit im Lande in einer Protestbewegung zu bündeln. Ein positives Programm hat er nicht, seine Mission ist, dagegen zu sein, gegen „die da oben“, gegen die bösen „Eliten“: „Unsere Bewegung ist ein Aufstand der einfachen Leute.“Auch die „Lügenpresse“wird attackiert: „Wir sprechen nur aus, worüber der Mainstream nicht zu reden wagt.“Als man ihm entgegnet: „Hören Sie auf, gegen Muslime, gegen Flüchtlinge, gegen kritische Medien, gegen die unabhängige Justiz mobilzumachen, stellen Sie Ihre rassistische Kampagne ein!“, gibt er sich als Beschützer „kleiner Leute“aus. Sein bemerkenswertes Credo: „Wenn die Mehrheit keine liberale Demokratie wolle, dann sei das zu akzeptieren.“
Der Held des Buches ist jedoch nicht Ulli Popp, sondern dessen Kontrahent, der Fotograf August Becker. Er liebt seinen Beruf, kennt auch private Krisen, berufliche Abstürze und Selbstzweifel. In familiären Nebenszenen treten auf: der Großvater, den der Enkel einen „Scheißnazi“nennt, Augusts Ex-Frau Ellen sowie der gemeinsame Sohn Tim, der an einer sauteuren Elite-Uni ausgerechnet BWL studieren will. Aus dem Medienmilieu wäre zuerst die couragierte Journalistin Selma Kaltak zu nennen, Becker hat mit ihr schon viele „Geschichten“für das „Forum“gestaltet. Und da ist noch Marion Ettl, Kolumnistin bei „TOTAL“, einer „Gratiszeitung mit der höchsten Auflage und dem niedrigsten Niveau im ganzen Land“. Mit Marion lässt sich Becker auf eine Affäre ein. Einige weitere Figuren aus der Kunst- und Medienwelt, ein schwurbelnder Kellner und ein sympathischer Fotohändler aus Aleppo bereichern das Geschehen in Episoden.
Sieht man von Dirndlkleidern, Lederhosen in einem kleinstädtischen Wirtshaus und der scherzhaft gemeinten Streit-Aufforderung „Super! Haut’s euch!“ab, möchte uns Rabinovici zeigen, dass er weit über sämtliche österreichische Tellerränder hinausdenkt. Ob die strikte Verweigerung jeglicher Verortung bei einer so konkreten Story plausibel ist, sei dahingestellt, fremdsprachige Verlage und Netflix wird es vielleicht freuen, wenn die Namen vieler Figuren (Ellen, Tim, Charlie, Kevin, Flo, Avi, Dino usw.) so klingen, als spiele die Geschichte ohnehin in einem angloamerikanischen Irgendoder Nirgendwo. Nein, Popp ist natürlich nicht Haider, Strache, Kurz oder Kickl, die Großstadt ist nicht Wien, die genannten Medien haben mit österreichischen Vorbildern nichts zu tun, die erwähnten Orte von Popps Wahlkampftournee liegen nicht in der Steiermark, haben sie doch gänzlich unsteirische Namen wie Oberfeist, Aschen, Purer, Sulzen und Grant am See. Auch wenn da viel von Kürbiskernöl und Kürbisrisotto die Rede ist, die Leserinnen und Leser von Rhein und Elbe, von Themse und Hudson werden es dem Autor danken, dass sie sich nicht im Dschungel der österreichischen Provinz verlieren.
Natürlich muss sich jeder von uns, nicht nur ein Fotograf, fragen: Was ist die richtige Einstellung? Welchen Blickwinkel auf Europa wählen wir? Wie sehr beteiligen wir uns an der Verteidigung sozialer und gerechter Verhältnisse? Rabinovici spannt den dramaturgischen Bogen des Romans bis zu einem finalen Duell zwischen Popp und Becker. Und da geht es noch einmal ums Ganze: ob Aufklärung, Toleranz und liberale Demokratie noch eine Chance haben in einer Welt, die zum größten Teil von Autokraten und Diktatoren beherrscht wird. Über seine Einstellung lässt uns der Autor von der ersten Seite an nicht im Zweifel. Chapeau!