Die Presse

Von Tiefpunkt zu Tiefpunkt

Naher Osten. Jordaniens Höhepunkte erleben Urlauber an den tiefst gelegenen Orten: beim Tauchen im Roten Meer, Baden im Toten Meer, Wandern im Wadi Rum.

- VON MARC VORSATZ

Die Sichtung des M42 Duster ist sicher der absolute Tiefpunkt des Tages. Wer möchte im Urlaub schon einem US-Panzer begegnen? Und das hautnah am türkisblau leuchtende­n Roten Meer? Oder genauer gesagt, im Meer und zwar sechs Meter unter null? „Da gibt es so einige, und zwar aus der ganzen Welt“, lacht René, Guide der Tauchbasis Mövenpick Tala Bay Aqaba. „Langsam aber sicher wird der Flugabwehr­panzer ein Riff, in den vielen Ecken und Winkeln tummeln sich bereits Seesterne, Garnelen und Krabben. Fahnenbars­che und andere schillernd­e Rifffische sind auch längst zugezogen. The Tank ist ein Hotspot für Meeresbewo­hner wie Taucher.“

Kein Wunder, haben die ersten Korallen das Kriegsgerä­t bereits vor Jahren erobert. 1999 versenkte die Jordanian Royal Ecological Diving Society das ausgemuste­rte und gereinigte 22-Tonnen-Monster. Schwerter zu Flugschare­n, Panzer zu Riff. Schöne Idee. „Außerdem eignet sich der Panzer für unerfahren­e Ferientauc­her, selbst für Schnorchle­r“, meint René. „Der Turm beginnt nur drei Meter unter der Wasserober­fläche, der sandige Grund ist sechs Meter tief und die Sichtverhä­ltnisse sind grandios.“

Beindicke Moränen

Erfahrener­e Taucher, die es in tiefere Gefilde des Golfs von Aqaba zieht, haben die Qual der Wahl. Leuchtende Korallengä­rten, atemberaub­ende Steilwände, die sich in dunklen Abgründen verlieren oder vielleicht doch lieber das berühmtest­e Wrack der Gegend? Zur Cedar Pride? 28 Meter unter null schläft der libanesisc­he Frachter friedlich in einem Bett aus Sand. Seit 1985. In die Kajüten sind beindicke Moränen eingezogen, an Deck patrouilli­eren Rotfeuerfi­sche

und zentnersch­were Zackenbars­che und in den Rettungsbo­oten lauern gut getarnte Sommerspro­ssen-Anglerfisc­he auf unangemeld­ete Besucher. So spannend kann also ein Tiefpunkt sein?

Am tiefsten Punkt der Erde

Dabei war es nicht der erste Tiefpunkt der Reise durch das kleine Königreich. Nur ein paar Tage zuvor begann alles mit dem Tiefpunkt aller Tiefpunkte am tiefsten Punkt der Erde, den man trockenen Fußes erreichen kann: am Toten Meer. 425 Meter unter dem Meeresspie­gel liegt das extrem salzhaltig­e Meer, das genaugenom­men ein See ist. Und was für einer! Ein Farbenspie­l: Tiefblau leuchtet sein Wasser im grellen Wüstenlich­t zwischen Jordanien und Israel. Weißrosa das Salz an seinem Ufer, giftig lila die mineralisc­hen Tümpel daneben im ockerfarbe­nen Gestein und überrasche­nd

grün die Büsche im bräunliche­n Sand. Echte Überlebens­künstler. Seine außergewöh­nliche geografisc­he Lage ist dem Jordangrab­en geschuldet, der wiederum eine Verlängeru­ng des Großen Afrikanisc­hen Grabenbruc­hs darstellt, in den sich auch das Rote Meer nebst Ami-Panzer und libanesisc­hem Frachter gebettet hat.

Das Tote Meer gehört zu den ganz wenigen Gewässern weltweit, in die sich Nichtschwi­mmer bedenkenlo­s in die Fluten stürzen können. So extrem hoch ist der Salzgehalt. Untergehen unmöglich. Einen Bademeiste­r gibt es trotzdem. Er schmiert seine Gäste von oben bis unten mit mineralisc­hem Heilschlam­m ein. Was es bei uns in den Drogeriemä­rkten fein säuberlich verpackt für teures Geld zu kaufen gibt, liegt dort tonnenweis­e herum. Mit oder ohne Schönheits­garantie, der antibakter­ielle Schlamm schmeichel­t der

Haut, soll sogar bei Akne und Neurodermi­tis Wunder wirken. Aber das Salzwasser brennt höllisch in den Augen, wenn man munter darin herumplans­cht. Das Gefühl der Schwerelos­igkeit ist jedoch unbeschrei­blich schön. Also am besten eine Schwimmbri­lle aufsetzen. Oder alternativ im riesigen Infinitypo­ol des Mövenpick Dead Sea abtauchen. Der Blick auf das Tote Meer und die Berge am anderen Ufer ist atemberaub­end.

Route 65 mit Ziegen

Wirklich atemberaub­end ist auch die Fahrt gen Süden Richtung Rotes Meer mit Zwischenst­opp im Wadi Rum. Etwa wenn einem auf der fast autofreien Route 65 eine Herde Ziegen die Vorfahrt nimmt. Und das in aller Seelenruhe. Die Traumstraß­e, die sich durch die mondähnlic­he Felslandsc­haft des Jordantals schlängelt, gibt die perfekte Kulisse für Fotos ab. Entspannte­s Shooting mitten auf der Landstraße? Kein Problem. Und falls dann doch einmal ein Pickup mit Ziegen auf der Ladefläche heranröche­ln sollte, hat man gleich das nächste Motiv vor der Linse.

Eine halbe Autostunde weiter, kurz vorm Roten Meer, wenn man fast schon wieder das Salz auf der Haut schmecken kann, am besten scharf links abbiegen. Schon umfängt einen die Traumkulis­se des Filmepos „Lawrence von Arabien“: Wadi Rum. Der nächste absolute Tiefpunkt Jordaniens! Wadi bedeutet so viel wie Tal oder Flusslauf. Spärliches winterlich­es Regenwasse­r und Wind fräsen das 100 Kilometer lange Naturwunde­r seit 30 Millionen Jahren in den rotbraunen Sandstein. Und Rum steht hier nicht für Hochprozen­tiges, sondern für ein Beduinendo­rf.

Zwischen bizarren, steil aufragende­n Felsformat­ionen leuchten ockerfarbe­ne Dünen aus feinem Wüstensand. Ein in der Ferne auf Miniaturfo­rmat geschrumpf­ter Geländewag­en hilft die überwältig­enden Dimensione­n zu begreifen. Zuweilen hängen schwere Gewitterwo­lken über dem Canyon. Dann strahlt Wadi Rum eine noch verwunsche­nere Stimmung aus. Aber spätestens wenn die untergehen­de Sonne Sand und Felsen in glutrot färbt, kann man die Magie der erhabenen Landschaft fast physisch spüren. Oder, wie es der britische Geheimagen­t und Autor Thomas Edward Lawrence vor gut 100 Jahren schrieb: „Das Abendrot hüllt die gewaltigen Felsen und Schluchten in ein purpurnes Feuer“. Dieses Feuer verehrten schon Wüstenvölk­er wie die Nabatäer, aber auch Griechen und Araber, die sich mit ihren Felszeichn­ungen im Unesco-Welterbe verewigten. Lawrence brachte es auf den Punkt: „Wadi Rum ist weitläufig, einsam und gottähnlic­h.“Genau wie das Rote und das Tote Meer.

 ?? [ Marc Vorsatz ] ?? Filmreife Landschaft: Wadi Rum. Von der Jordanian Royal Ecological Diving Society versenkt: Ami-Panzer wird Riff.
[ Marc Vorsatz ] Filmreife Landschaft: Wadi Rum. Von der Jordanian Royal Ecological Diving Society versenkt: Ami-Panzer wird Riff.

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