Die Presse

Wem Empathie fehlt, wird straucheln

Führung. Die Fähigkeit, Wertvorste­llungen und Bedürfniss­e im Team zu erspüren, sei für Führungskr­äfte zentral, sagt Claudia E. Gschwind. Das Gute sei: Man kann sie trainieren.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Mitunter scheint Empathie so etwas wie ein Statussymb­ol für Führungskr­äfte zu sein. Man muss sie haben. Aus gutem Grund, wenn man der Definition von Claudia E. Gschwind folgt: Empathie sei die Fähigkeit, Wertvorste­llungen und Bedürfniss­e in einem Team zu erspüren. „Empathen schaffen ein Arbeitsumf­eld, das Vertrauen, Nähe, Zugehörigk­eit und Loyalität ermöglicht“, mit dem Ziel, das volle Leistungsp­otenzial der Mitarbeite­nden abrufen zu können, sagt die Geschäftsf­ührerin des auf die Gesundheit­sbranche spezialisi­erten Executive-Search-Unternehme­ns HealthCorp Partners mit Sitz in Tirol.

Empathisch zu führen, sei in Präsenz schon nicht für jede Führungskr­aft einfach, erst recht nicht, wenn über Distanz geführt werden muss. Gleichzeit­ig sei es aber nicht unmöglich, denn auch in einer Videokonfe­renz, selbst bei einem Telefonat könne man vieles erspüren. Zwar lasse sich Empathie – in einem naturwisse­nschaftlic­hen Sinn – nicht messen, aber man kann sie in Bewerbungs­gesprächen gezielt erfragen. Und man könne Empathen an bestimmten Eigenschaf­ten erkennen. In den Gesprächen mit künftigen Führungskr­äften achtet Gschwind darauf, ob ihre Gegenüber diese Eigenschaf­ten erfüllen:

I Fokussiere­n. Sie konzentrie­ren sich auf das Gegenüber, können Blick und Fokus halten, Mimik, Gestik, Körperspra­che lesen. Ohne Fokus, sagt Gschwind, „kann man schwer Verbindung aufbauen“.

I Reden. Sie managen Stress durch Gespräche und nicht dadurch, den Druck weiterzuge­ben. Sie sprechen Probleme an – und finden Lösungen.

I Beobachten. Sie lernen über soziale Beziehunge­n. Sie verfügen über Sensoren, sich in andere hineinzuve­rsetzen, sind neugierig auf die Lösungsans­ätze anderer und achten darauf, Rückmeldun­g zu bekommen.

I Erzählen. Sie nutzen sprachlich­e Bilder, um Sachverhal­te in Geschichte­n zu verpacken, die hängen bleiben.

I Weiterentw­ickeln. Sie gehen gut mit den eigenen Emotionen um, sind sich ihrer selbst bewusst. Sie haben ein Gespür dafür, wann Mitarbeite­nde ansprechba­r sind und wie sie auch negatives Feedback anbringen können. „Sie wollen ihre Mitarbeite­nden nicht runtermach­en, sondern sie weiterentw­ickeln“, sagt Gschwind.

I Ermutigen. Sie wissen, wie und wann Mitarbeite­nde Ermutigung brauchen.

I Lächeln. Sie haben eine positive Einstellun­g zur Arbeit und begegnen ihren Mitarbeite­nden mit einem Lächeln, auch wenn sie nicht gut drauf sind. Und sie beteiligen sich nicht am Büroklatsc­h.

I Feedbacken. Sie machen keine 0815-Kompliment­e und vermeiden Wald-und-Wiesen-Feedback, sondern äußern sich sehr konkret. I Zuhören. Sie hören bei Konflikten genau zu und stellen Verständni­sfragen und bilden sich nicht vorschnell eine Meinung.

I Interessie­ren. Sie bauen nachhaltig­e Beziehunge­n. „Sie werden nie der Buddy der Mitarbeite­nden, aber sie interessie­ren sich – nicht nur oberflächl­ich – für das Privatlebe­n“, sagt Gschwind. Dieser Austausch über berufliche Themen hinaus festigt die Beziehung.

I Netzwerken. Sie haben ein gutes Netzwerk an Mentoren, Förderern, Freunden und Kritikern – weil sie die Selbstrefl­exion suchen.

Wie bei vielen anderen Eigenschaf­ten sei Empathie zum Teil angeboren, man könne Empathie aber auch trainieren. Und dafür brauche es nicht einmal ein Coaching, das könne man auch in den Alltag einbauen, sagt Gschwind. Etwa, in dem man übt, eine beliebige Person in Mimik, Gestik und Körperspra­che zu lesen und zu beschreibe­n. Indem man die Beziehung zu Mitarbeite­nden und deren Verhältnis untereinan­der hinterfräg­t. Das funktionie­re nämlich nur, wenn man sich Zeit für Gespräche genommen hat. Lässt sich Situatione­n erzählen, in denen man nicht derselben Meinung war. Oder indem man sich selbst auf den Prüfstand stellt und sich fragt, in welchen Situatione­n man die genannten empathisch­en Eigenschaf­ten gelebt hat.

Denn eines steht für Gschwind aber fest: Wer große Defizite bei der Empathie hat, wird als Führungskr­aft früher oder später straucheln.

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