Wem Empathie fehlt, wird straucheln
Führung. Die Fähigkeit, Wertvorstellungen und Bedürfnisse im Team zu erspüren, sei für Führungskräfte zentral, sagt Claudia E. Gschwind. Das Gute sei: Man kann sie trainieren.
Mitunter scheint Empathie so etwas wie ein Statussymbol für Führungskräfte zu sein. Man muss sie haben. Aus gutem Grund, wenn man der Definition von Claudia E. Gschwind folgt: Empathie sei die Fähigkeit, Wertvorstellungen und Bedürfnisse in einem Team zu erspüren. „Empathen schaffen ein Arbeitsumfeld, das Vertrauen, Nähe, Zugehörigkeit und Loyalität ermöglicht“, mit dem Ziel, das volle Leistungspotenzial der Mitarbeitenden abrufen zu können, sagt die Geschäftsführerin des auf die Gesundheitsbranche spezialisierten Executive-Search-Unternehmens HealthCorp Partners mit Sitz in Tirol.
Empathisch zu führen, sei in Präsenz schon nicht für jede Führungskraft einfach, erst recht nicht, wenn über Distanz geführt werden muss. Gleichzeitig sei es aber nicht unmöglich, denn auch in einer Videokonferenz, selbst bei einem Telefonat könne man vieles erspüren. Zwar lasse sich Empathie – in einem naturwissenschaftlichen Sinn – nicht messen, aber man kann sie in Bewerbungsgesprächen gezielt erfragen. Und man könne Empathen an bestimmten Eigenschaften erkennen. In den Gesprächen mit künftigen Führungskräften achtet Gschwind darauf, ob ihre Gegenüber diese Eigenschaften erfüllen:
I Fokussieren. Sie konzentrieren sich auf das Gegenüber, können Blick und Fokus halten, Mimik, Gestik, Körpersprache lesen. Ohne Fokus, sagt Gschwind, „kann man schwer Verbindung aufbauen“.
I Reden. Sie managen Stress durch Gespräche und nicht dadurch, den Druck weiterzugeben. Sie sprechen Probleme an – und finden Lösungen.
I Beobachten. Sie lernen über soziale Beziehungen. Sie verfügen über Sensoren, sich in andere hineinzuversetzen, sind neugierig auf die Lösungsansätze anderer und achten darauf, Rückmeldung zu bekommen.
I Erzählen. Sie nutzen sprachliche Bilder, um Sachverhalte in Geschichten zu verpacken, die hängen bleiben.
I Weiterentwickeln. Sie gehen gut mit den eigenen Emotionen um, sind sich ihrer selbst bewusst. Sie haben ein Gespür dafür, wann Mitarbeitende ansprechbar sind und wie sie auch negatives Feedback anbringen können. „Sie wollen ihre Mitarbeitenden nicht runtermachen, sondern sie weiterentwickeln“, sagt Gschwind.
I Ermutigen. Sie wissen, wie und wann Mitarbeitende Ermutigung brauchen.
I Lächeln. Sie haben eine positive Einstellung zur Arbeit und begegnen ihren Mitarbeitenden mit einem Lächeln, auch wenn sie nicht gut drauf sind. Und sie beteiligen sich nicht am Büroklatsch.
I Feedbacken. Sie machen keine 0815-Komplimente und vermeiden Wald-und-Wiesen-Feedback, sondern äußern sich sehr konkret. I Zuhören. Sie hören bei Konflikten genau zu und stellen Verständnisfragen und bilden sich nicht vorschnell eine Meinung.
I Interessieren. Sie bauen nachhaltige Beziehungen. „Sie werden nie der Buddy der Mitarbeitenden, aber sie interessieren sich – nicht nur oberflächlich – für das Privatleben“, sagt Gschwind. Dieser Austausch über berufliche Themen hinaus festigt die Beziehung.
I Netzwerken. Sie haben ein gutes Netzwerk an Mentoren, Förderern, Freunden und Kritikern – weil sie die Selbstreflexion suchen.
Wie bei vielen anderen Eigenschaften sei Empathie zum Teil angeboren, man könne Empathie aber auch trainieren. Und dafür brauche es nicht einmal ein Coaching, das könne man auch in den Alltag einbauen, sagt Gschwind. Etwa, in dem man übt, eine beliebige Person in Mimik, Gestik und Körpersprache zu lesen und zu beschreiben. Indem man die Beziehung zu Mitarbeitenden und deren Verhältnis untereinander hinterfrägt. Das funktioniere nämlich nur, wenn man sich Zeit für Gespräche genommen hat. Lässt sich Situationen erzählen, in denen man nicht derselben Meinung war. Oder indem man sich selbst auf den Prüfstand stellt und sich fragt, in welchen Situationen man die genannten empathischen Eigenschaften gelebt hat.
Denn eines steht für Gschwind aber fest: Wer große Defizite bei der Empathie hat, wird als Führungskraft früher oder später straucheln.