Die letzten Versuche der Diplomatie
Ukraine. Deutschlands Kanzler Scholz bricht nach Kiew und Moskau auf. Die Telefondiplomatie zwischen Biden und Putin brachte keine Entspannung. Die Angst vor russischem Angriff auf die Ukraine wächst.
Wien/Kiew. Es ist seine erste heikle außenpolitische Mission als neuer deutscher Bundeskanzler. Am Montag reist Olaf Scholz in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Dort wird er Präsident Wolodymyr Selenskij treffen, wird vermutlich Berlins „Solidarität“mit der Ukraine zum Ausdruck bringen und mit Wünschen nach stärkerer Hilfe Deutschlands konfrontiert werden. Der schwierige Teil der Reise kommt aber erst danach. Denn am Dienstag geht es weiter nach Moskau. Dort muss Scholz mit dem Mann verhandeln, der nach Ansicht der USA kurz davor ist, seinen Truppen den Marschbefehl zu erteilen – für einen Angriff auf die Ukraine. Das Treffen des deutschen Kanzlers mit Wladimir Putin wird international mit Spannung erwartet. Denn die Gespräche in Moskau könnten zu den vorerst letzten Versuchen gehören, die Krise rund um die Ukraine zu entschärfen und einen neuen bewaffneten Konflikt zu verhindern.
Glaubt man den Warnungen der USA und der Nato, läuft dabei nämlich die Zeit davon. US-Präsident Joe Biden, sein Sicherheitsberater Jake Sullivan und US-Außenminister Antony Blinken sprachen zuletzt davon, dass eine russische Offensive gegen die Ukraine nun jederzeit beginnen könnte. Medien berichteten zudem, dass US-Geheimdienste bereits einen möglichen Angriffstermin aufgeschnappt hätten – nämlich den kommenden Mittwoch. Das wäre kurz nach dem Ende des Besuchs von Scholz in Moskau. Auf den Schultern des deutschen Kanzlers lastet damit noch mehr Verantwortung, erfolgreiche Gespräche zu führen.
Manöver im Schwarzen Meer
Die russische Regierung bestreitet weiter vehement, dass eine Militäraktion in der Ukraine unmittelbar bevorstehe, und bezeichnet die Vorwürfe der USA als „Hysterie“und „Propagandakampagne“. Gleichzeitig verstärkt sie aber den Druck und lässt das militärische Drohpotenzial anwachsen. Mehr als 100.000 Soldaten sind an der Grenze zur Ukraine aufmarschiert, ausgerüstet mit modernsten Waffensystemen. Auch Nachschub für Feldspitäler wurde herangeschafft. Das ist die deutliche Botschaft: Wir bereiten uns auch auf viele eigene Verwundete
vor – also auf einen Ernstfall und nicht auf eine Übung. Russland hält zudem mit seinem Nachbarn Belarus ein umfassendes Militärmanöver ab. 30.000 russische Soldaten trainieren seit Tagen mit den belarussischen Streitkräften. Die ukrainische Militärführung zeigt sich über diese Aktivitäten an der Nordgrenze des Landes beunruhigt und hält ein eigenes Manöver ab. Und auch im Schwarzen Meer übt die russische Flotte den Kampf gegen feindliche Schiffe.
USA ziehen Beobachter ab
Zugleich wurde bekannt, dass die USA ihre Beobachter abziehen, die im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) die Waffenruhe in der Ostukraine überwachen. Und Polen bereitet Notfallpläne für die Aufnahme zahlreicher ukrainischer Flüchtlinge vor.
Aber was kann Scholz am Dienstag als Kompromissvorschlag mitbringen, um Putin zu besänftigen? Auf diplomatischer Ebene wirkt die Lage verfahren. Russland hat schon vor Monaten eine Reihe von Forderungen an die Nato und die USA gestellt – die wichtigsten davon haben beide als unannehmbar zurückgewiesen. So verlangt der Kreml fixe Zusagen, dass es keine Nato-Erweiterung mehr geben wird – vor allem nicht durch eine Aufnahme der Ukraine. Ein Nato-Beitritt der Ukraine steht zwar derzeit nicht auf der Tagesordnung. Zugleich will sich die Allianz aber nicht dabei hineinreden lassen, ob und welche neuen Mitglieder sie aufnimmt.
Russland verlangt zudem, dass keine neuen Nato-Truppen in den östlichen Mitgliedsländern stationiert werden dürfen, oder will sogar, dass sie von dort wieder abgezogen werden. Auch darauf will sich das Bündnis nicht einlassen. Die jetzigen Spannungen mit Russland haben hier sogar den gegenteiligen Effekt. Die USA entsenden nun 3000 weitere Soldaten nach Polen. Zudem haben die USA und andere Nato-Partner Kampfflugzeuge nach Rumänien und Bulgarien verlegt. Mitte der Woche sollen die Nato-Verteidigungsminister die „Stärkung der Ostflanke“offiziell absegnen.
So brachte auch die Telefondiplomatie vom Sonntag vorerst – offiziell – keine Entspannung. Zunächst sprach Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, mit dem Kreml-Chef. Dann telefonierte der US-Präsident mit Putin. Biden warnte dabei erneut, dass ein Angriff auf die Ukraine eine „rasche und entschiedene“Reaktion nach sich ziehen würde – sprich massive Wirtschaftssanktionen. Zugleich sollen aber Vorschläge zu Sicherheitsfragen in Europa aufs Tapet gekommen sein. Der Kreml kritisierte, dass die wesentlichen Bedenken Russlands damit aber nicht berücksichtigt würden.