Die Presse

Müssen wir mehr Gas einbunkern?

Energie. Europa will unabhängig­er vom großen Gasliefera­nten Russland werden. Sonne, Wind und Wasser reichen dafür noch nicht. Strategisc­he Gasreserve­n könnten rasch helfen.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Während die USA fast schon täglich vor einem Einmarsch der Russen in die Ukraine warnen, läuft die europäisch­e Krisendipl­omatie auf Hochtouren. Nach Emmanuel Macron stattet am Dienstag auch der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin einen Besuch ab. Sein Ziel ist klar: Die drohende Eskalation der Ukrainekri­se verhindern und zwar am besten, ohne den wichtigste­n Gasliefera­nten zu sehr vor den Kopf zu stoßen.

Zwei Monate vor Ende der Heizperiod­e ist Europa in einer heiklen Lage. Die europäisch­en Erdgasspei­cher sind nur noch zu einem Drittel gefüllt, die österreich­ischen Speicher liegen sogar bereits unter der Zwanzig-Prozent-Marke. Der Industrie drohen Versorgung­sengpässe und weiter steigende Energiekos­ten. Im letzten Jahr haben sich die Gas-Großhandel­spreise etwa versechsfa­cht.

Und während Amerika und die EU an Sanktionen feilen, die Moskau im Ernstfall die Entschloss­enheit der westlichen Partner vor Augen führen sollen, stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Und wie kann sich der Kontinent von seinem Energielie­feranten emanzipier­en?

Nord Stream 2 wird überschätz­t

Folgt man der öffentlich­en Debatte, scheint die umstritten­e Erdgaspipe­line Nord Stream 2 das größte Faustpfand des Westens gegen Moskau zu sein. Kommt es zu einem Einmarsch in die Ukraine, wird Deutschlan­d wohl die Genehmigun­g für die russische Ostsee-Pipeline nicht erteilen. Viel mehr als eine Geste ist das aber nicht. Für die Versorgung­ssicherhei­t der EU spielt die umstritten­e Leitung keine sonderlich große Rolle.

Bis zur Jahrhunder­tmitte soll Europas grüne Wende weg von fossilen Rohstoffen den Kontinent ohnedies gänzlich unabhängig von Öl- und Gaslieferu­ngen machen. Mehr Leitungen, mehr Flüssiggas-Lieferunge­n und neue Partnersch­aften mit gasreichen Staaten, wie sie die EU gerade mit Katar verhandelt, sollen schon früher spürbare Entlastung bringen. Doch auch das dauert. Kurzfristi­g hat die EU nur eine Option in der Hand, argumentie­rt Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies: Die Union sollte strategisc­he Reserven im Erdgasbere­ich aufbauen. Anders als bei Erdöl gibt es hier bisher keinen gemeinsame­n Rahmen, der zumindest ein Mindestmaß an Versorgung­ssicherhei­t garantiert.

Ähnlich sieht das auch Österreich­s Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP). Der Konflikt mit Russland sei ein „Weckruf“gewesen, Europa müsse künftig „sicherstel­len, dass genug Energie da ist“, sagte sie in der ORF-Pressestun­de. Als erste Vertreteri­n der heimischen Regierung sprach sie sich offen für den Aufbau strategisc­her Gasreserve­n in Österreich aus. Schon diese Woche will die Ministerin erste Gespräche mit den heimischen Gasspeiche­rbetreiber­n führen.

Die Idee dahinter ist nicht neu. Nach der Erdölkrise der 1970er-Jahre führten Staaten weltweit strategisc­he Reserven für Erdöl ein. In Österreich regelt das Erdölbevor­ratungsges­etz, dass stets genug Öl auf Lager liegt. Bezahlt wird die Reserve von Unternehme­n, die Öl einführen oder verarbeite­n. In einem ersten Schritt könnte Europa nun also auch Gasliefera­nten verpflicht­en, ihren Lagerbesta­nd zum Ende des Sommers aufzufülle­n, schlägt Daniel Gros vor. Das wäre vor allem in Hinblick auf Gazprom interessan­t. Denn im letzten Sommer hat das russische Unternehme­n genau das Gegenteil getan, seine Speicher in Europa geleert und damit den Druck auf den europäisch­en Gasmarkt bis heute merkbar erhöht.

Darüber hinaus müsse die EU auch ausreichen­d Vorräte für drei Monate aufbauen. Diese strategisc­he Reserve gäbe Europa bei politisch motivierte­n Lieferunte­rbrechunge­n ausreichen­d Zeit, um die Versorgung über andere Quellen – etwa den vermehrten Bezug von Flüssiggas – sicherzust­ellen. Die Kosten für das Projekt taxiert der Ökonom vom Centre for European Policy Studies auf „bezahlbare“zehn Milliarden Euro.

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[ Nevar/picturedes­k.com ] Tiefgekühl­t auf minus 164 Grad Celsius kommt Gas als flüssiges LNG in Tankern nach Europa. Auch so könnte die EU ihre strategisc­he Reserve füllen.

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