Aktiensteuer: Die USA zeigen, wie es geht
Regulierung. Österreich diskutiert, ob eine Wiedereinführung der Behaltefrist den Reichen in die Karten spielt. Themenverfehlung. Es ließen sich Anreize für Geringverdiener schaffen, die alle glücklich machen könnten.
New York. Groß war die Aufregung, als Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ankündigte, dass die Wiedereinführung der Behaltefrist für Wertpapiere weit oben auf der Agenda steht. „Eine steuerliche Entlastung für Investitionen in die eigene Vorsorge muss und wird kommen“, sagte Brunner im Jänner. Der Aufschrei der Opposition ließ nicht auf sich warten. „Die ÖVP hat überhaupt keinen Genierer mehr in ihrer Politik für die Reichen und Superreichen“, antwortete SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer.
Eine Behaltefrist sieht vor, dass Gewinne aus Investments gar nicht oder mit einem geringeren Satz versteuert werden, sofern der Investor das Wertpapier über einen gewissen Zeitraum hält – in der Regel ein Jahr. Befürworter wie die Wirtschaftskammer argumentieren, dass langfristig orientierte Investoren ebenso profitieren würden wie der Wirtschaftsstandort. Die Gegner orten eine Bevorzugung der Reichen, weil diese in Österreich überproportional an der Börse investiert sind.
Bis 2011 waren langfristige Kapitalgewinne in Österreich steuerfrei gewesen, ehe die Regierung unter dem SPÖ-Kanzler Werner Faymann die Behaltefrist abschaffte. Seitdem unterliegen alle Gewinne der Kapitalertragsteuer, die aktuell 27,5 Prozent beträgt – unabhängig davon, ob das Wertpapier einen Tag oder zehn Jahre gehalten wurde, und unabhängig davon, ob der Verkäufer Millionär ist oder an der Armutsgrenze nagt.
Steuern bei Kurzfristigkeit
Eine differenzierte Steuerpolitik sieht anders aus, und vielleicht wäre ein Blick in die USA, wo mehr als die Hälfte der Erwachsenen Aktien besitzt, hilfreich.
Zunächst: Großverdiener, die kurzfristige Gewinne einfahren, unterliegen in den USA in der Regel einem höheren Steuersatz als in Österreich. Kapitalerträge aus Investments, die kürzer als ein Jahr gehalten wurden, werden mit dem Einkommensteuersatz versteuert
und nicht mit einer Kapitalertragsteuer. Auf Bundesebene liegt der Höchstsatz bei 37 Prozent, er wird ab einem Einkommen von über 520.000 Dollar für Alleinverdiener schlagend. Hinzu kommen beispielsweise in New York City nochmals bis zu 14 Prozentpunkte für Großverdiener. Ein Wall-StreetBanker der höchsten Einkommenskategorie bezahlt in Summe, vor etwaigen Abzügen, mehr als 50 Prozent Steuer auf kurzfristige Aktiengewinne. Wer 200.000 Dollar verdient, bringt es immer noch auf mehr als 30 Prozent Bundessteuer, ein Geringverdiener mit 10.000 Dollar Jahreseinkommen hingegen nur auf zwölf Prozent.
Die Hintergedanken sind klar: Erstens wird ein Commitment zum Aktienmarkt kommuniziert, an dem auch Menschen mit geringem
Einkommen Vermögen aufbauen können. Zweitens ist die Steuerpolitik auf die Förderung von langfristigen Investitionen ausgerichtet, weshalb eine Abschaffung der Behaltefrist ganz einfach unrealistisch ist. Lediglich die Höhe der Abgaben auf langfristige Kapitalerträge wird diskutiert. Denn – und auch das ist ein wichtiger Unterschied zu der Debatte in Österreich – steuerfrei sind langfristige Aktiengewinne in den USA für Wohlhabende trotz der Behaltefrist keineswegs.
Steuern bei Langfristigkeit
Die Steuersätze für langfristige Kapitalerträge im Detail: 20 Prozent für Großverdiener mit einem Jahreseinkommen von mehr als 450.000 Dollar und 15 Prozent für die Kategorie von 40.000 bis
450.000 Dollar. Hinzu kommen 3,8 Prozent Reichensteuer für Jahreseinkommen von über 200.000 Dollar. Nur jene mit einem Einkommen von unter 40.000 Dollar zahlen keine Kapitalertragsteuer, sofern sie die Wertpapiere zumindest ein Jahr und einen Tag gehalten haben.
Nun kann man das Konstrukt im Detail natürlich diskutieren, zumal der tatsächliche Steuersatz für Wohlhabende oft unter den genannten Sätzen liegt – wegen Freiund Absetzbeträgen sowie der durchaus sinnvollen Tatsache, dass Verluste aus Geschäften mit Wertpapieren gegengerechnet werden können. Aber mit der Idee, dass langfristige Gewinne steuerlich besser behandelt werden und Kleinverdienern Anreize für den Kauf von Aktien geboten werden,
könnten sich womöglich alle anfreunden, sofern sie die Börse nicht generell als Teufelszeug für Turbokapitalisten abkanzeln wollen.
Amerikaner sind aktienaffin
Übrigens: Das Thema wurde auch im US-Wahlkampf 2020 heftig diskutiert. Donald Trump setzte sich für eine Reduktion des Spitzensatzes für langfristige Gewinne auf 15 Prozent ein. Joe Biden forderte einen Höchstsatz von knapp 40 Prozent. Zu einer Änderung kam es nicht, die Rate steht weiterhin bei 20 Prozent.
Höhere Steuern für langfristige Kapitalerträge würde der Präsident kaum durch den Kongress bringen. 53 Prozent der Amerikaner besitzen Aktien. In Österreich sind es 13 Prozent.