Als Auskunftsperson im U-Ausschuss: Kafka lässt grüßen
Gastkommentar. Der Begriff „kafkaesk“umschreibt ein unergründliches Gefühl von Bedrohung, Unsicherheit, Ausgeliefertsein. So müssen Auskunftspersonen Untersuchungsausschüsse erleben. Es fehlt jeder Rechtsschutz.
Stellen Sie sich folgende Ausgangslage vor: Sie können sich mit den Ideen und Zielen einer politischen Bewegung identifizieren. Sie entscheiden sich, diese Bewegung finanziell zu unterstützen. Sie halten sich dabei an alle Gesetze. Die Bewegung ist erfolgreich, aber auch umstritten. Es kommt zu Fehlern, mit denen Sie nichts zu tun haben. Von den politischen Gegnern der Bewegung wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Korruption soll untersucht werden. Zumindest vordergründig. Eine willkommene Begleiterscheinung für die politischen Mitbewerber ist die Zerstörung der Bewegung. Und die Gelegenheit für eine Machtdemonstration der Nichtregierenden.
Sie und andere Spender finden sich auf einer Art „schwarzen Liste“wieder. Immerhin haben Sie einer anderen Partei Geld gespendet. Damit sind Sie von vornherein suspekt. Wenn am Ende sonst nichts herauskommt, soll wenigstens sichergestellt wer den,dassSie nie wieder etwas spenden.
Steuerakten und Handys
Ihre persönlichen Steuerakten werden angefordert, aber auch die Steuerakten von Privatunternehmen, in denen Sie eine Organfunktion haben. Die Staatsanwaltschaft wird angewiesen, die beschlagnahmten Handys dritter Personen in dutzenden Strafverfahren, die Sie in kei ner Weise betreffen, auf Ihren Namen auszuwerten. Alle Ihren Namen enthaltenden Chats „mit Bezug zum Untersuchungsgegenstand“müssen an den Ausschuss weitergeleitet werden.
Das wäre alles nicht so schlimm, denn Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Sie haben ja nur eine Ihnen sympathische politische Bewegung unterstützt. Ihre steuerliche Situation geht zwar niemanden etwas an, aber wenn die Ausschussmitglieder prüfen wollen, ob es Unregelmäßigkeiten gab, sollen sie das tun. Was Dritte in Chats über Sie sagen, interessiert Sie nicht, aber wenn die Ausschussmitglieder das Bedürfnis haben, Klatsch und Tratsch zu lesen, dann soll es so sein.
Es gibt aber doch ein Problem: Die Erfahrungen des Ibiza-U-Ausschusses zeigen, dass der „Bezug zum Untersuchungsgegenstand“ schon aufgrund der angeforderten Menge an Unterlagen von den Ministerien nicht geprüft werden kann – und auch nicht geprüft wird. Der VfGH hat es leider verabsäumt, hier Grenzen zu ziehen: Der Untersuchungsgegenstand darf praktisch uferlos weit gefasst werden und für die Vorlagepflicht genügt eine „abstrakte Relevanz“.
Was angefordert wird, wird geliefert. Und alles, was den Ausschuss erreicht, wandert direkt weiter an ausgewählte Medien. Die Vorlage von Unterlagen an ein Gremium, in dem jedes Mitglied die Telefonnummern aller führenden Journalisten des Landes eingespeichert hat, ist eben ein Problem.
Sie wollen Chats Dritter, in denen Privates über Sie gesagt wird, aber nicht in den Medien lesen müssen. Sie wollen nicht, dass Medien über Ihre Steuerakten berichten und über die aller Unternehmen, in denen Sie eine Funktion haben. Sie wollen daher die Weitergabe von privaten Chats ohne realen Bezug zum Untersuchungsgegenstand verhindern. Und die Weitergabe von Steuerakten.
Was tun? Wie können Sie sich selbst und Ihre private Umgebung vor ungewollter medialer Berichterstattung schützen?
Ab hier schlägt Kafka zu: Die Ministerien verweisen auf ihre verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Vorlage und auf den vom Parlament festgelegten, bewusst weit gefassten Untersuchungsgegenstand.
Verantwortlich sind andere
Der Präsident des Nationalrates teilt Ihnen mit, eine inhaltliche Prüfung jener schwarzen Liste, auf der Ihr Name steht, hätte nur vom U-Ausschuss selbst ausgelöst werden können. Sie stehen auf der Liste. Ihr Problem. Das Bestehen einer Vorlagepflicht könne nicht von Ihnen, sondern nur von den vorlagepflichtigen Organen selbst bestritten werden. Ihr berechtigtes Interesse am Datenschutz könne allenfalls Anlass für eine Klassifizierung der Sie betreffenden Unterlagen mit einer Geheimhaltungsstufe sein. Diese Klassifizierung können Sie aber nicht beeinflussen. Sie sei vom vorlagepflichtigen Organ vorzunehmen, das
Parlament übernehme diese bloß. Im Übrigen sei die Weitergabe von Informationen an die Medien ohnehin verboten. Verstöße gegen dieses Verbot könnten jedoch nicht verhindert werden. Diese Verstöße lägen in der alleinigen Verantwortung von Personen, die Unterlagen weitergeben.
Wenn Sie vorab hilfesuchend und händeringend den VfGH anrufen, sagt dieser Ihnen im Wesentlichen dasselbe. Wenden Sie sich aber im Nachhinein an den VfGH, lässt er sie wissen, die Leaks erfolgten außerhalb der Sitzungen des U-Ausschusses und dafür sei er nicht zuständig. Es stehe Ihnen aber frei, sich an die Datenschutzbehörde und die Gerichte zu wenden. Wenn Sie herausfinden, wer für die Leaks verantwortlich ist.
Die für den Datenschutz zuständige Aufsichtsbehörde beschwichtigt. Nur weil es in der Vergangenheit immer wieder zu Leaks gekommen sei, ist keineswegs im Vorhinein anzunehmen , dass es auch in Ihrem Einzelfall zu Datenschutzverletzungen kommen werde. Derartige Sorgen Ihrerseits seien reine Spekulation und begründen jedenfalls keinen Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz. Im Übrigen würden Ihre berechtigten Geheimhaltungsinteressen ja nicht durch die Übermittlung an den U-Ausschuss gefährdet, sondern erst durch die Weiterleitung an die Medien durch einzelne Ausschussmitglieder. Das sei ohnedies verboten.
Schlimmer als ein Strafprozess
Beklagen Sie sich darüber, insgesamt schlechter behandelt zu werden als ein Beschuldigter in einem Strafprozess, wird Ihnen beschieden: Das ist eben kein Strafprozess, undSiesindnichtBeschul digter!
Am Ende finden Sie sich in einer Situation wie Josef K. in Kafkas „Prozess“: Jemand muss Sie verleumdet haben. Sie erfahren weder, was Ihnen vorgeworfen wird, ob Ihnen überhaupt etwas vorgeworfen wird – und Sie erhalten auch kein Urteil, das überprüft werden könnte. Anders ausgedrückt: Was der U-Ausschuss von den auskunftspflichtigen Stellen bekommt, hat Sie nicht zu kümmern. Aber in spätestens einem Monat können Sie ohnedies an dieser Stelle lesen, was in den weitergeleiteten Chats und Ihren Steuerakten gestanden ist.
Diese Situation ist eines demokratischen Rechtsstaats offensichtlich unwürdig. Sie ist zugleich aber auch paradigmatisch für den momentanen Zustand von Recht, Politik und Gesellschaft: Niemand fühlt sich verantwortlich, schuld sind immer andere.
Es ist dringend an der Zeit, dass die bestehe nden Rechtsschutzeinrichtungen die massiven Schutzlücken erkennen, sich ihrer Aufgabe besinnen und den Betroffenen ohne Ansehen der Person den ihnen zustehenden Schutz gewähren. Aber auch das Parlament sollte endlich nachbessern, für Klarheit und für die Einhaltung jener Grundsätze sorgen, die es selbst zu Recht von den Regierenden einfordert: Rechtsstaatlichkeit und Gesetzestreue.
Bis es so weit ist, bleibt das Recht der U-Ausschüsse wie Kafkas „Prozess“: unvollendet, fragmentarisch und rätselhaft.