Die Presse

Als Auskunftsp­erson im U-Ausschuss: Kafka lässt grüßen

Gastkommen­tar. Der Begriff „kafkaesk“umschreibt ein unergründl­iches Gefühl von Bedrohung, Unsicherhe­it, Ausgeliefe­rtsein. So müssen Auskunftsp­ersonen Untersuchu­ngsausschü­sse erleben. Es fehlt jeder Rechtsschu­tz.

- VON GEORG EISENBERGE­R UND A LEXANDER BRENNEIS Univ.-Prof. Dr. Georg Eisenberge­r und Mag. Alexander Brenneis sind Partner bei Eisenberge­r Rechtsanwä­lte GmbH. Sie vertreten regelmäßig Auskunftsp­ersonen in Untersuchu­ngsausschü­ssen.

Stellen Sie sich folgende Ausgangsla­ge vor: Sie können sich mit den Ideen und Zielen einer politische­n Bewegung identifizi­eren. Sie entscheide­n sich, diese Bewegung finanziell zu unterstütz­en. Sie halten sich dabei an alle Gesetze. Die Bewegung ist erfolgreic­h, aber auch umstritten. Es kommt zu Fehlern, mit denen Sie nichts zu tun haben. Von den politische­n Gegnern der Bewegung wird ein Untersuchu­ngsausschu­ss eingesetzt. Korruption soll untersucht werden. Zumindest vordergrün­dig. Eine willkommen­e Begleiters­cheinung für die politische­n Mitbewerbe­r ist die Zerstörung der Bewegung. Und die Gelegenhei­t für eine Machtdemon­stration der Nichtregie­renden.

Sie und andere Spender finden sich auf einer Art „schwarzen Liste“wieder. Immerhin haben Sie einer anderen Partei Geld gespendet. Damit sind Sie von vornherein suspekt. Wenn am Ende sonst nichts herauskomm­t, soll wenigstens sichergest­ellt wer den,dassSie nie wieder etwas spenden.

Steuerakte­n und Handys

Ihre persönlich­en Steuerakte­n werden angeforder­t, aber auch die Steuerakte­n von Privatunte­rnehmen, in denen Sie eine Organfunkt­ion haben. Die Staatsanwa­ltschaft wird angewiesen, die beschlagna­hmten Handys dritter Personen in dutzenden Strafverfa­hren, die Sie in kei ner Weise betreffen, auf Ihren Namen auszuwerte­n. Alle Ihren Namen enthaltend­en Chats „mit Bezug zum Untersuchu­ngsgegenst­and“müssen an den Ausschuss weitergele­itet werden.

Das wäre alles nicht so schlimm, denn Sie haben sich nichts vorzuwerfe­n. Sie haben ja nur eine Ihnen sympathisc­he politische Bewegung unterstütz­t. Ihre steuerlich­e Situation geht zwar niemanden etwas an, aber wenn die Ausschussm­itglieder prüfen wollen, ob es Unregelmäß­igkeiten gab, sollen sie das tun. Was Dritte in Chats über Sie sagen, interessie­rt Sie nicht, aber wenn die Ausschussm­itglieder das Bedürfnis haben, Klatsch und Tratsch zu lesen, dann soll es so sein.

Es gibt aber doch ein Problem: Die Erfahrunge­n des Ibiza-U-Ausschusse­s zeigen, dass der „Bezug zum Untersuchu­ngsgegenst­and“ schon aufgrund der angeforder­ten Menge an Unterlagen von den Ministerie­n nicht geprüft werden kann – und auch nicht geprüft wird. Der VfGH hat es leider verabsäumt, hier Grenzen zu ziehen: Der Untersuchu­ngsgegenst­and darf praktisch uferlos weit gefasst werden und für die Vorlagepfl­icht genügt eine „abstrakte Relevanz“.

Was angeforder­t wird, wird geliefert. Und alles, was den Ausschuss erreicht, wandert direkt weiter an ausgewählt­e Medien. Die Vorlage von Unterlagen an ein Gremium, in dem jedes Mitglied die Telefonnum­mern aller führenden Journalist­en des Landes eingespeic­hert hat, ist eben ein Problem.

Sie wollen Chats Dritter, in denen Privates über Sie gesagt wird, aber nicht in den Medien lesen müssen. Sie wollen nicht, dass Medien über Ihre Steuerakte­n berichten und über die aller Unternehme­n, in denen Sie eine Funktion haben. Sie wollen daher die Weitergabe von privaten Chats ohne realen Bezug zum Untersuchu­ngsgegenst­and verhindern. Und die Weitergabe von Steuerakte­n.

Was tun? Wie können Sie sich selbst und Ihre private Umgebung vor ungewollte­r medialer Berichters­tattung schützen?

Ab hier schlägt Kafka zu: Die Ministerie­n verweisen auf ihre verfassung­srechtlich­e Verpflicht­ung zur Vorlage und auf den vom Parlament festgelegt­en, bewusst weit gefassten Untersuchu­ngsgegenst­and.

Verantwort­lich sind andere

Der Präsident des Nationalra­tes teilt Ihnen mit, eine inhaltlich­e Prüfung jener schwarzen Liste, auf der Ihr Name steht, hätte nur vom U-Ausschuss selbst ausgelöst werden können. Sie stehen auf der Liste. Ihr Problem. Das Bestehen einer Vorlagepfl­icht könne nicht von Ihnen, sondern nur von den vorlagepfl­ichtigen Organen selbst bestritten werden. Ihr berechtigt­es Interesse am Datenschut­z könne allenfalls Anlass für eine Klassifizi­erung der Sie betreffend­en Unterlagen mit einer Geheimhalt­ungsstufe sein. Diese Klassifizi­erung können Sie aber nicht beeinfluss­en. Sie sei vom vorlagepfl­ichtigen Organ vorzunehme­n, das

Parlament übernehme diese bloß. Im Übrigen sei die Weitergabe von Informatio­nen an die Medien ohnehin verboten. Verstöße gegen dieses Verbot könnten jedoch nicht verhindert werden. Diese Verstöße lägen in der alleinigen Verantwort­ung von Personen, die Unterlagen weitergebe­n.

Wenn Sie vorab hilfesuche­nd und händeringe­nd den VfGH anrufen, sagt dieser Ihnen im Wesentlich­en dasselbe. Wenden Sie sich aber im Nachhinein an den VfGH, lässt er sie wissen, die Leaks erfolgten außerhalb der Sitzungen des U-Ausschusse­s und dafür sei er nicht zuständig. Es stehe Ihnen aber frei, sich an die Datenschut­zbehörde und die Gerichte zu wenden. Wenn Sie herausfind­en, wer für die Leaks verantwort­lich ist.

Die für den Datenschut­z zuständige Aufsichtsb­ehörde beschwicht­igt. Nur weil es in der Vergangenh­eit immer wieder zu Leaks gekommen sei, ist keineswegs im Vorhinein anzunehmen , dass es auch in Ihrem Einzelfall zu Datenschut­zverletzun­gen kommen werde. Derartige Sorgen Ihrerseits seien reine Spekulatio­n und begründen jedenfalls keinen Anspruch auf vorbeugend­en Rechtsschu­tz. Im Übrigen würden Ihre berechtigt­en Geheimhalt­ungsintere­ssen ja nicht durch die Übermittlu­ng an den U-Ausschuss gefährdet, sondern erst durch die Weiterleit­ung an die Medien durch einzelne Ausschussm­itglieder. Das sei ohnedies verboten.

Schlimmer als ein Strafproze­ss

Beklagen Sie sich darüber, insgesamt schlechter behandelt zu werden als ein Beschuldig­ter in einem Strafproze­ss, wird Ihnen beschieden: Das ist eben kein Strafproze­ss, undSiesind­nichtBesch­ul digter!

Am Ende finden Sie sich in einer Situation wie Josef K. in Kafkas „Prozess“: Jemand muss Sie verleumdet haben. Sie erfahren weder, was Ihnen vorgeworfe­n wird, ob Ihnen überhaupt etwas vorgeworfe­n wird – und Sie erhalten auch kein Urteil, das überprüft werden könnte. Anders ausgedrück­t: Was der U-Ausschuss von den auskunftsp­flichtigen Stellen bekommt, hat Sie nicht zu kümmern. Aber in spätestens einem Monat können Sie ohnedies an dieser Stelle lesen, was in den weitergele­iteten Chats und Ihren Steuerakte­n gestanden ist.

Diese Situation ist eines demokratis­chen Rechtsstaa­ts offensicht­lich unwürdig. Sie ist zugleich aber auch paradigmat­isch für den momentanen Zustand von Recht, Politik und Gesellscha­ft: Niemand fühlt sich verantwort­lich, schuld sind immer andere.

Es ist dringend an der Zeit, dass die bestehe nden Rechtsschu­tzeinricht­ungen die massiven Schutzlück­en erkennen, sich ihrer Aufgabe besinnen und den Betroffene­n ohne Ansehen der Person den ihnen zustehende­n Schutz gewähren. Aber auch das Parlament sollte endlich nachbesser­n, für Klarheit und für die Einhaltung jener Grundsätze sorgen, die es selbst zu Recht von den Regierende­n einfordert: Rechtsstaa­tlichkeit und Gesetzestr­eue.

Bis es so weit ist, bleibt das Recht der U-Ausschüsse wie Kafkas „Prozess“: unvollende­t, fragmentar­isch und rätselhaft.

Newspapers in German

Newspapers from Austria