Das Drama um die eiskunstlaufenden „Einwegbecher“
Heute soll ein erstes Urteil im Dopingfall Walijewa fallen. Das fragwürdige Spektakel von frühreifen Teenagern erreicht damit einen Höhepunkt.
Steht am Ende Kamila Walijewa gar mit der kürzesten Karriere im Eiskunstlauf da?
Die derzeit beste Eiskunstläuferin der Welt kommt aus Russland und hat offenbar gedopt. Was die Causa Kamila Walijewa aber zum bisher größten Thema dieser Winterspiele macht, ist ihr zartes Alter von gerade einmal 15 Jahren.
Blutjunge Eiskunstlauf-Olympiasiegerinnen sind dabei längst an der Tagesordnung. Die US-Amerikanerinnen Tara Lipinski (1998) und Sarah Hughes (2002) liefen mit 15 bzw. 16 Jahren zu Gold. Die Russin Adelina Sotnikowa (2014) war 17, ihre Landsfrau Alina Sagitowa (2018) nur 15.
Die Gründe sind klar: Sprunghöhe und Rotation – in Peking führt Gold nur über Vierfachsprünge – sind für federleichte Teenager leichter zu meistern als für muskulösere 20-Jährige nach einem Wachstumsschub. Der künstlerische Ausdruck, bei dem eine gewisse Reife helfen würde, spielt auf dem Eis nur noch eine Nebenrolle.
Walijewas Alter muss nun, da ihr positiver Dopingtest von Ende Dezember bekannt wurde, Konsequenzen haben. Ihr Umfeld muss genauestens unter die Lupe genommen werden. Vor allem die US-Reporter hier im Capitol Indoor Stadion von Peking haben bereits Vorarbeit geleistet und die gerade erst mit Teamgold ausgezeichnete russische Trainingsgruppe durchleuchtet. Allen voran Eteri Tutberidse, jene mysteriöse Moskauer Trainerin, die zur Causa um ihren Superstar bisher nur im russischen TV zu hören war und zusammengefasst nur ein Wort sagte: unschuldig.
Ihr Status erlaubt es Tutberidse, sich die besten russischen Kinder herauszupicken. Da wäre Julija Lipnizkaja, mit Teamgold 2014 zweitjüngste Eiskunstlauf-Olympiasiegerin überhaupt. Oder 2018-Champion Sagitowa und die damals zweitplatzierte 18-jährige Jewgenija Medwedewa.
Auf den zweiten Blick eine schauderhafte Liste. Lipnizkaja hörte schon mit 19 wieder auf und erklärte, sie habe an Magersucht gelitten. Bei Sagitowa war schon mit 17 Schluss, eine Selbstfindungsphase endete mit dem Rücktritt. Medwedewa, die 2018 mit Knochenfraktur zu Silber lief, verließ Russland und trainierte beim kanadischen Ex-Weltmeister Brian Orser weiter, inzwischen hat auch sie aufgehört.
Es waren erfolgreiche, aber auch sehr kurze und tragische Karrieren unter Tutberidses Aufsicht. Rafael Harutjunjan, der Erfolgscoach von US-Olympiasieger Nathan Chen, verglich Russlands junge One-Hit-Wonder mit Einweg-Kaffeebechern. „Genauso mag ich auch keine Einmal-Champions.“
Heute soll der Internationale Sportgerichtshof in Peking ein erstes Urteil fällen. Am Ende könnte die 15-jährige Walijewa gar mit der kürzesten aller ohnehin schon kurzen und aufsehenerregenden russischen Eiskunstlaufkarrieren dastehen. Die älteste Olympiasiegerin in diesem Sport war übrigens auch die erste: Die Britin Madge Syers war 27 Jahre alt, als sie 1908 in London triumphierte.