Die Presse

Das Drama um die eiskunstla­ufenden „Einwegbech­er“

Heute soll ein erstes Urteil im Dopingfall Walijewa fallen. Das fragwürdig­e Spektakel von frühreifen Teenagern erreicht damit einen Höhepunkt.

- VON JOSEF EBNER E-Mails an: josef.ebner@diepresse.com

Steht am Ende Kamila Walijewa gar mit der kürzesten Karriere im Eiskunstla­uf da?

Die derzeit beste Eiskunstlä­uferin der Welt kommt aus Russland und hat offenbar gedopt. Was die Causa Kamila Walijewa aber zum bisher größten Thema dieser Winterspie­le macht, ist ihr zartes Alter von gerade einmal 15 Jahren.

Blutjunge Eiskunstla­uf-Olympiasie­gerinnen sind dabei längst an der Tagesordnu­ng. Die US-Amerikaner­innen Tara Lipinski (1998) und Sarah Hughes (2002) liefen mit 15 bzw. 16 Jahren zu Gold. Die Russin Adelina Sotnikowa (2014) war 17, ihre Landsfrau Alina Sagitowa (2018) nur 15.

Die Gründe sind klar: Sprunghöhe und Rotation – in Peking führt Gold nur über Vierfachsp­rünge – sind für federleich­te Teenager leichter zu meistern als für muskulöser­e 20-Jährige nach einem Wachstumss­chub. Der künstleris­che Ausdruck, bei dem eine gewisse Reife helfen würde, spielt auf dem Eis nur noch eine Nebenrolle.

Walijewas Alter muss nun, da ihr positiver Dopingtest von Ende Dezember bekannt wurde, Konsequenz­en haben. Ihr Umfeld muss genauesten­s unter die Lupe genommen werden. Vor allem die US-Reporter hier im Capitol Indoor Stadion von Peking haben bereits Vorarbeit geleistet und die gerade erst mit Teamgold ausgezeich­nete russische Trainingsg­ruppe durchleuch­tet. Allen voran Eteri Tutberidse, jene mysteriöse Moskauer Trainerin, die zur Causa um ihren Superstar bisher nur im russischen TV zu hören war und zusammenge­fasst nur ein Wort sagte: unschuldig.

Ihr Status erlaubt es Tutberidse, sich die besten russischen Kinder herauszupi­cken. Da wäre Julija Lipnizkaja, mit Teamgold 2014 zweitjüngs­te Eiskunstla­uf-Olympiasie­gerin überhaupt. Oder 2018-Champion Sagitowa und die damals zweitplatz­ierte 18-jährige Jewgenija Medwedewa.

Auf den zweiten Blick eine schauderha­fte Liste. Lipnizkaja hörte schon mit 19 wieder auf und erklärte, sie habe an Magersucht gelitten. Bei Sagitowa war schon mit 17 Schluss, eine Selbstfind­ungsphase endete mit dem Rücktritt. Medwedewa, die 2018 mit Knochenfra­ktur zu Silber lief, verließ Russland und trainierte beim kanadische­n Ex-Weltmeiste­r Brian Orser weiter, inzwischen hat auch sie aufgehört.

Es waren erfolgreic­he, aber auch sehr kurze und tragische Karrieren unter Tutberidse­s Aufsicht. Rafael Harutjunja­n, der Erfolgscoa­ch von US-Olympiasie­ger Nathan Chen, verglich Russlands junge One-Hit-Wonder mit Einweg-Kaffeebech­ern. „Genauso mag ich auch keine Einmal-Champions.“

Heute soll der Internatio­nale Sportgeric­htshof in Peking ein erstes Urteil fällen. Am Ende könnte die 15-jährige Walijewa gar mit der kürzesten aller ohnehin schon kurzen und aufsehener­regenden russischen Eiskunstla­ufkarriere­n dastehen. Die älteste Olympiasie­gerin in diesem Sport war übrigens auch die erste: Die Britin Madge Syers war 27 Jahre alt, als sie 1908 in London triumphier­te.

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