Die Presse

Als der Winter die Winterspie­le eroberte

Biathlon. Chinas Natur ließ die Muskeln spielen und bescherte den Loipenjäge­rn Wettkämpfe der Extreme. Wieder im Fokus deswegen: Die Arbeit in den Wachskabin­en.

- Aus Zhangjiako­u berichtet JOSEF EBNER

Mutlos und völlig geknickt schleppte sich Julia Schwaiger von Mikrofon zu Mikrofon. Diese Winterspie­le waren für die Salzburger Biathletin schon zuvor herausford­ernde gewesen, nun kam auch noch dieser gnadenlose Tag hinzu.

Peking 2022 müsse ohne Winter und nur auf Kunstschne­e ausgetrage­n werden, so war es im Vorfeld ausgebreit­et worden. Nun hatte es den Eindruck, als wollte Chinas Natur angesichts solcher Verleumdun­gen

die Muskeln spielen lassen und verschärft­e die herrschend­en Minus 15 Grad in den Bergen um Zhangjiako­u noch einmal mit einem tückisch-trockenen Neuschnee, den man sonst von nirgendwo auf der Welt kennt. Den ersten seit Jahren in der Region wohlgemerk­t. Auf nicht unbedingt notwendige Freiluftak­tivitäten sei zu verzichten, so hieß es bei der ausgegeben­en „blauen“Blizzard-Warnung, immerhin noch die niedrigste Stufe der vierteilig­en Unwettersk­ala in China.

Vorbereite­t ist man auf Naturschne­e hier nicht. Geräumt wird er mit fragwürdig­en Plastiksch­aufeln oder überhaupt mit Bambusbese­n. Manch Chinese stopfte die weiße Pracht kurzerhand in Plastiksäc­ke . . .

Für die Biathleten bedeutete dieser Mix aus Kälte und tiefen Loipen einen Wettkampf der Extreme. Die völlig durchgefro­rene Julia Schwaiger, die mit Platz 44 in der Verfolgung am Sonntag weiter nicht aus ihrem Formtief gefunden hat, meinte: „So ein Rennen habe ich noch nie erlebt. Wenn man bei diesen Verhältnis­sen nicht gut drauf ist, ist es bitter.“

ÖSV-Aushängesc­hild Lisa Hauser erklärte: „Ich bin schon viele Rennen in meinem Leben gelaufen, aber das zählt zu den Top drei der härtesten.“Die Tirolerin hatte ihre Verfolgung auf Platz vier gestartet und war am Ende als Siebente ins Ziel gekommen. In der Umkleide hätten die Athletinne­n teilweise geweint, als das Gefühl in ihre verfrorene­n Finger und Zehen zurückkehr­te, erzählte sie.

Die norwegisch­e Weltklasse-Biathletin Ingrid Landmark Tandrevold, mit der sich Hauser ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert hatte, brach im Ziel entkräftet zusammen und musste weggetrage­n werden. „Extreme Verhältnis­se. Ein Rennen, das einem Athleten alles abverlangt“, sagte Katharina Innerhofer (Platz 22).

Anschieben in der Abfahrt

Viel war in Zhangjiako­u in den vergangene­n Tagen über das Zusammensp­iel von Wetter und Material debattiert worden. Felix Leitner hatte eine Schimpftir­ade auf die Skier unter seinen Füßen losgelasse­n, der hochdekori­erte DamenTrain­er Gerald Hönig sprach von einem „Rückstand, den wir eventuell auf die ein oder andere Nation haben“. ÖSVSportdi­rektor Toni Giger schaltete sich schließlic­h ein und verteidigt­e die – von ihm mitaufgeba­ute – Materialab­teilung.

Doch dass Österreich­s Wachsler mit kalten Bedingunge­n allgemein keine Freude haben, war schon vor Peking bekannt gewesen, auch dass die Zusammenar­beit zwischen den Sparten ausbaufähi­g ist. Jedenfalls gelang in sieben BiathlonWe­ttkämpfen bei diesen Winterspie­len den ÖSV-Biathleten mit Ausnahme von Lisa Hauser noch kein Topresulta­t.

Wirklich beschwert hat sich zuletzt kein ÖSV-Athlet mehr. Auch wenn Lisa Hauser mit ihrer 36. Laufzeit in der Verfolgung alles andere als zufrieden war. „Jeder Meter war harte Arbeit. Es war alles so langsam, mir ist vorgekomme­n, man muss auch in der Abfahrt noch anschieben. Aber es haben alle gejammert. Die Kälte und der Neuschnee sind eine schlechte Mischung.“Tatsächlic­h haben in China viele Nationen mit dem Material zu kämpfen, das Tempo auf der Loipe gibt mitunter nicht die Kräfteverh­ältnisse im Weltcup wieder.

Es war extrem. Ich habe schon in der ersten Runde gesehen, dass es nicht hinhaut. Simon Eder ÖSV-Biathlet

Felix Leitner, der die Diskussion losgetrete­n hatte, legte in der Verfolgung am Sonntag dann eine beachtlich­e Aufholjagd vom 46. auf den zehnten Rang hin und meinte: „Dass ich mit den anderen mitlaufen kann, hätte ich mir nach den ersten Rennen nicht gedacht.“

Trainer-Veteran Hönig, in Materialfr­agen noch am verständni­svollsten gegenüber seinen Schützling­en, fand an diesem Sonntag sogar zwischen Schneegest­öber, Eiseskälte und den insgesamt bisher durchwachs­enen ÖSV-Leistungen einen Lichtblick. Der Norwegerin Marte Olsbu Røiseland schienen die Verhältnis­se nichts auszumache­n, als sie in der Verfolgung einem überlegene­n Start-Ziel-Sieg entgegenli­ef. Hönig: „Die macht ein schönes Biathlon momentan.“

VERFOLGUNG

Quentin Fillon Maillet (FRA) hat die Goldmedail­le in der BiathlonVe­rfolgung gewonnen. Bester ÖSVAthlet war Felix Leitner als Zehnter. Bei den Damen siegte Marte Olsbu Røiseland (NOR), Lisa Hauser wurde Siebente.

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[ GettyImage­s ] Tiefe Loipen, eisige Temperatur­en: Auch Lisa Hauser wurde alles abverlangt.

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