Dieser Anna Bolena fehlt das Diven-Gen
Wiener Staatsoper. Bei der Wiederaufnahme von Donizettis „Anna Bolena“sang erstmals Diana Damrau die Titelpartie: freundliche Zustimmung für einen lauen Abend voll leer anmutender Nachahmung.
„Vedovi della Callas“, die Witwer der Callas: So hießen seinerzeit jene trauernden Fans mit dem exzellenten Gedächtnis, die nach ihrer adorierten Primadonna assoluta keine andere mehr gelten lassen wollten und konnten. Das musste zum Beispiel auch Mirella Freni erfahren, als sie sich 1964 an der Scala unter Karajan an „La Traviata“wagte – eine Partie, die ihr hörbar überhaupt nicht lag: Ein Buhsturm ging über sie nieder, sie zog sich aus der Produktion zurück. Anna Moffo übernahm gerade einmal zwei Folgevorstellungen, bevor das Stück auf Jahrzehnte vom Spielplan der Scala verschwand.
Bald 60 Jahre nach Frenis schwärzestem Karrieretag hat auch die im Oktober 2021 verstorbene Edita Gruberová ihre treuen Hinterbliebenen. Sie waren entweder nicht im Haus, als Diana Damrau nun ihr Wiener Rollendebüt als tragische Titelheldin von Donizettis „Anna Bolena“gab, oder zu höflich, um ihre Enttäuschung kundzutun. Aber Hand aufs Herz: Auch ohne ausdrücklichen Gefolgschaftseid zugunsten dieser oder jener Sopranistin bedauerte man den unerfüllten Rest dieses bemühten Abends, einer merklichen Steigerung zum Trotz. Denn Damrau gelang es nicht in einem Moment, aus dem Schatten übermächtiger Vorgängerinnen herauszutreten und sich die Partie souverän zu eigen zu machen.
Rudimentäre Inszenierung
Das lag gar nicht so sehr am durchaus klugen Verzicht auf spektakuläre Spitzentöne, sondern am fehlenden Belcanto-Thrill, dem sängerischen Drahtseilakt, der die Verbindung aus Schönheit und Expression so bewegend macht. Was man von Damrau, einer gewiss verdienten Sängerin, diesmal zu hören und in Eric Génovèses rudimentärer Inszenierung zu sehen bekam, bestand aus ambitionierter, aber leer anmutender Nachahmung, leicht unruhiger Stimmführung und manch erkämpften Tönen. Pathos, Allüre oder auch gelungener Camp a` la Gruberová: Fehlanzeige. Doch ohne das DivenGen, das auch Schwächen vergessen macht, funktioniert die Sache nicht. Vor allem, weil unter der an sich tadellosen Leitung Giacomo Sagripantis wohl coronabedingt ohnehin einiges wackelte, stellenweise im Orchester, bedenklich einmal im Damenchor.
Auf der Habenseite: Hausdebütant Pene Pati mit hellen, leichten Tenortönen, Beweglichkeit und sicherer Höhe über das C hinaus für den unglücklichen Percy. Szilvia Vörös gefiel mit anmutigen Kantilenen in der Hosenrolle des Smeton. Und Nicholas Brownlee entpuppte sich mit seinem markigen, beweglichen Bassbariton als willkommener Einspringer für Erwin Schrott in der Partie des skrupellosen Enrico VIII. Als dessen Geliebte Giovanna Seymour fuhr Ekaterina Semenchuk neben Pianokultur vor allem Amneris-Durchschlagskraft auf und streifte im Klang dabei das Matronenhafte.