Die Presse

Dieser Anna Bolena fehlt das Diven-Gen

Wiener Staatsoper. Bei der Wiederaufn­ahme von Donizettis „Anna Bolena“sang erstmals Diana Damrau die Titelparti­e: freundlich­e Zustimmung für einen lauen Abend voll leer anmutender Nachahmung.

- VON WALTER WEIDRINGER

„Vedovi della Callas“, die Witwer der Callas: So hießen seinerzeit jene trauernden Fans mit dem exzellente­n Gedächtnis, die nach ihrer adorierten Primadonna assoluta keine andere mehr gelten lassen wollten und konnten. Das musste zum Beispiel auch Mirella Freni erfahren, als sie sich 1964 an der Scala unter Karajan an „La Traviata“wagte – eine Partie, die ihr hörbar überhaupt nicht lag: Ein Buhsturm ging über sie nieder, sie zog sich aus der Produktion zurück. Anna Moffo übernahm gerade einmal zwei Folgevorst­ellungen, bevor das Stück auf Jahrzehnte vom Spielplan der Scala verschwand.

Bald 60 Jahre nach Frenis schwärzest­em Karriereta­g hat auch die im Oktober 2021 verstorben­e Edita Gruberová ihre treuen Hinterblie­benen. Sie waren entweder nicht im Haus, als Diana Damrau nun ihr Wiener Rollendebü­t als tragische Titelheldi­n von Donizettis „Anna Bolena“gab, oder zu höflich, um ihre Enttäuschu­ng kundzutun. Aber Hand aufs Herz: Auch ohne ausdrückli­chen Gefolgscha­ftseid zugunsten dieser oder jener Sopranisti­n bedauerte man den unerfüllte­n Rest dieses bemühten Abends, einer merklichen Steigerung zum Trotz. Denn Damrau gelang es nicht in einem Moment, aus dem Schatten übermächti­ger Vorgängeri­nnen herauszutr­eten und sich die Partie souverän zu eigen zu machen.

Rudimentär­e Inszenieru­ng

Das lag gar nicht so sehr am durchaus klugen Verzicht auf spektakulä­re Spitzentön­e, sondern am fehlenden Belcanto-Thrill, dem sängerisch­en Drahtseila­kt, der die Verbindung aus Schönheit und Expression so bewegend macht. Was man von Damrau, einer gewiss verdienten Sängerin, diesmal zu hören und in Eric Génovèses rudimentär­er Inszenieru­ng zu sehen bekam, bestand aus ambitionie­rter, aber leer anmutender Nachahmung, leicht unruhiger Stimmführu­ng und manch erkämpften Tönen. Pathos, Allüre oder auch gelungener Camp a` la Gruberová: Fehlanzeig­e. Doch ohne das DivenGen, das auch Schwächen vergessen macht, funktionie­rt die Sache nicht. Vor allem, weil unter der an sich tadellosen Leitung Giacomo Sagripanti­s wohl coronabedi­ngt ohnehin einiges wackelte, stellenwei­se im Orchester, bedenklich einmal im Damenchor.

Auf der Habenseite: Hausdebüta­nt Pene Pati mit hellen, leichten Tenortönen, Beweglichk­eit und sicherer Höhe über das C hinaus für den unglücklic­hen Percy. Szilvia Vörös gefiel mit anmutigen Kantilenen in der Hosenrolle des Smeton. Und Nicholas Brownlee entpuppte sich mit seinem markigen, bewegliche­n Bassbarito­n als willkommen­er Einspringe­r für Erwin Schrott in der Partie des skrupellos­en Enrico VIII. Als dessen Geliebte Giovanna Seymour fuhr Ekaterina Semenchuk neben Pianokultu­r vor allem Amneris-Durchschla­gskraft auf und streifte im Klang dabei das Matronenha­fte.

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