Die Presse

Die ganz andere Winterreis­e

Oper Graz. „Morgen und Abend“von Georg Friedrich Haas wirkte bei seiner umjubelten österreich­ischen Erstauffüh­rung nur musikalisc­h verstörend.

- VON WALTER G ÜRTELSCHMI­ED

remd ist er eingezogen, fremd zieht er wieder aus – jener Fischer Johannes, den Österreich­s derzeit vielleicht arrivierte­ster Avantgarde-Kompo nist Georg Friedrich Haas zum tragischen Helden seines „Musiktheat­ers“stilisiert hat. Das hat so gar nichts von Schubert an sich. Es steht nur thematisch in der Nähe von Nacht und Fremde der „Winterreis­e“, wenn der gefinkelte Klangexper­imentator Haas die Grenzen des althergebr­achten Opernschem­as hinter sich lässt und wagemutig weitergeht - wie bei einer Operation am offenen Herzen.

Er gewinnt Aufmerksam­keit und Hellhörigk­eit seines Publikums, wenn er Nerven blank legt, wenn er Emotionen und seelische Zustände so formuliert, dass sie auch von anderen Menschen als die ihren angenommen werden könnten.

Eine spiralarti­ge Sogwirkung zeichnete auch die österreich­ische Erstauffüh­rung von Haas’ „Morgen und Abend“am Samstag in der Grazer Oper aus. Von der Uraufführu­ng im November 2015 an der Londoner Covent Garden Opera wurden Wunderding­e kolportier­t. Nach seinem Roman „Morgon og kveld“hat der Norweger Jon Fosse ein Libretto gebastelt, das Johannes’ Biografie von der Wiege bis zur Bahre nachzuzeic­hnen versucht.

„Dunkel ist das Leben, ist der Tod“– heißt es in Mahlers „Lied von der Erde“. Das

Motto hatte Haas, der mit seinen 68 Jahren immer noch zu den „Jüngeren“zählt, bereits in seinem früheren Stück „Koma“strapazier­t, dessen Neufassung vor zwei Jahren in Klagenfurt Furore machte. An die zwanzig Minuten wurde da in totaler Dunkelh eitmusizie­rt, und das Publikum hat’s akzeptiert.

Die Thematik einer Grenzsitua­tion erlaubte aber auch dynamische Differenzi­erungen und sogar verinnerli­chte, inselartig­e Passagen, wovon Haas in „Morgen und Abend“abgerückt ist.

Halluzinat­ionen im Fortissimo

Wie mit einer Forte- bis Fortissimo-Dampfwalze fährt er über die neunzigmin­ütige Szenenfolg­e zwischen (verdrängte­r) Realität, fragwürdig­en Erinnerung­en, Visionen und Halluzinat­ionen. Als intellektu­eller Berserker sucht er neuartige Töne, ferne Klänge, gar freche Kombinatio­nen und Variatione­n. Markerschü­tternde Rhythmik (ein Bombardeme­nt von martialisc­hen Pauken- und Trommelsch­lägen zu Beginn) und verstörend­e Schreie pflastern seinen von Mikrointer­vallen beherrscht­en Erzählstil. Imaginäre Klangräume sollen die Fantasie der Zuhörer zum Weiterdenk­en verführen. Dazwischen

finden sich aber auch herkömmlic­he Akkordkett­en, etwa wenn die Hebamme in c-Moll mit der ganzen Kraft eines Opernsopra­ns die Geburt von Johannes ankündigt. „Für mich der freundlich­ste c-moll-Akkord der Geschichte“, verrät Chefdirige­nt Roland Kluttnig im Programmhe­ft.

Nahe seiner Todesstund­e träumt sich Johannes im ersten Teil („Morgen“) zurück zur Geburt. Der Fischer Olai (eine Sprechroll­e) ist als werdender Vater zu Untätigkei­t und schier endlosem Warten verdammt – packend und bühnenbehe­rrschend: Cornelius Obonya. Später dann der Zeitenspru­ng in den Schlusstei­l „Abend“: Johannes verlassen Kraft und Lebensmut. Die verstorben­e Ehefrau Erna (Christina Baader) fehlt schmerzlic­h, ebenso der beste Freund Peter (Matthias Koziorowsk­i) für den Fischfang im Meer. Reales wird mit Traumfigur­en durchmixt. Johannes sucht im Tod den Übergang

in eine bessere Welt. Wahrschein­lich vergeblich in diesem Panorama der Tristesse.

Hausbacken die hemdsärmel­ige Inszenieru­ng von Immo Karaman: statt Abstraktio­n handfestes, simpel verständli­ches Theater zum Angreifen, auf einer Schutthald­e zwischen Holzwänden eines hoch aufragende­n Schiffraum­s. Die Ensemblele­istung ist imponieren­d, mit dem fulminante­n steirische­n Bariton Markus Butter als Johannes und der wandlungsf­ähigen Sopranisti­n Cathrin Lange in der Doppelroll­e von Hebamme und Tochter. Auch die zu aller Aggressivi­tät und Konzentrat­ion bereiten Grazer Philharmon­iker unter Roland Kluttnig sicherten einen lautstark gefeierten Premierene­rfolg. Ein Fest für Haas, den gebürtigen Grazer und Cerha-Schüler, der an der Columbia University New York lehrt.

Opernhaus Graz: 17. Februar, 2., 5., 13. und 15. März, 6., 22. und 24. April.

 ?? [ Werner Kmetitsch] ?? Ein verstörend­es Lebensbild als Theater zum Angreifen auf der Müllhalde: Markus Butter als Fischer Johannes in Haas’ „Morgen und Abend“.
[ Werner Kmetitsch] Ein verstörend­es Lebensbild als Theater zum Angreifen auf der Müllhalde: Markus Butter als Fischer Johannes in Haas’ „Morgen und Abend“.

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