Bilder aus dem Brennpunkt
Salzburg. Zwei Tage lang hat Fotograf Hendrik Stoltenberg – eigentlich auf Hochzeiten spezialisiert – die Arbeit auf einer Corona-Intensivstation begleitet.
Normalerweise hat es Hendrik Stoltenberg mit fröhlichen, vor Glück strahlenden Menschen zu tun, die den schönsten Tag ihres Lebens feiern. Elegante Kleidung, perfekt dekorierte Hochzeitstafeln und herzliche Umarmungen ohne Ende. Der 35-Jährige hat sich als Hochzeitsfotograf einen Namen gemacht.
Das, was er Anfang Jänner fotografiert hat, war das Gegenteil von dem, was er normalerweise sieht: Überwachungsbildschirme, Beatmungsmaschinen, sterile Räume und Menschen in Schutzausrüstung, die auf Distanz gehen müssen. Stoltenberg hat zwei Tage lang die Arbeit auf einer Intensivstation in den Salzburger Landeskliniken fotografiert.
Menschen, die um das Leben ihrer Patientinnen und Patienten kämpfen. Pflegerinnen und Pfleger, die in Schutzanzügen schwere Patienten heben oder ihnen die Haare kämmen. Er hat die Erschöpfung gesehen, aber auch die Machtlosigkeit und die Enttäuschung, die manchmal aufflackert, weil all das seit der Möglichkeit einer Impfung gar nicht oder zumindest nicht in dieser Dimension sein müsste.
„Die Idee zu diesem Projekt ist schon im ersten Lockdown entstanden“, erzählt Stoltenberg. Weil weniger geheiratet werden konnte, hatte er Zeit. Doch es hat gedauert, bis er die Möglichkeit bekam, das Team auf der Intensivstation mit der Kamera zu begleiten. „Mir war wichtig, dass ich länger auf der Station bleiben kann und nicht einfach nur für ein paar gestellte Fotos vorbeischaue“, sagt Stoltenberg. So wurde aus dem Fremden mit der Kamera für die Menschen, die auf der Intensivstation arbeiten, dann rasch der Hendrik, der auch hier ist.
Bilder, die aufrütteln
Und damit entstanden Bilder, die viel mehr als jeder noch so dringliche Hilferuf oder Appell aufrütteln. Es sind Bilder aus dem Brennpunkt der Pandemie. „Ich wollte zeigen, was diese Arbeit wirklich heißt. Das sieht man ja normalerweise nicht“, begründet Stoltenberg. Auch er hatte wenig Vorstellung davon, was auf einer Intensivstation genau passiert. Es hat ihn überrascht, wie dominant die vielen Maschinen
auf so einer Station sind und wie wenige Menschen man sieht.
Und wie viele Facetten die Pflege hat: waschen, Medikamente geben, Infusionen wechseln, aber auch Betten machen, die oft völlig bewegungsunfähigen Patienten umlagern, ihre Haare kämmen oder ihre Lippen und Augen mit Balsam und Tropfen vor dem Austrocknen schützen. „Ich bin sehr demütig geworden“, sagt Stoltenberg über diese Erfahrung. Am Ende stand für ihn die Erkenntnis: „Das Personal in den Spitälern badet die Pandemie aus. Wir sitzen nur ein bisschen zu Hause. Die Gesellschaft lädt die Pandemie auf diesen Menschen ab.“
Aus den 1500 Bildern, die in den beiden Tagen entstanden sind, hat er 80 ausgewählt. Er zeigt sie nun auf seiner Website (www.stoltenberg.at). Eine Ausstellung oder eine Publikation plant er derzeit nicht.
Es ist nicht die erste Reportage, die er im Zusammenhang mit Corona gemacht hat. Im ersten Lockdown begleitete Stoltenberg Wirtinnen und Wirte, die ihre Lokale geschlossen halten mussten. „Auch da ist mir erst bewusst geworden, was das eigentlich heißt, wenn solche Orte des Zusammenkommens plötzlich wegfallen.
Was macht jemand, der seit Jahren jeden Tag in sein Stammlokal geht und seine Freunde trifft, wenn dieser Ort des Austauschs plötzlich wegfällt?“
Zweitprojekt: Podcast für Singles
Diese durch Corona verursachte Einsamkeit hat Stoltenberg auch dazu gebracht, einen Podcast ins Leben zu rufen, für den er jede Woche Singles aus Salzburg oder Wien interviewt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, andere Menschen kennenzulernen („Die Presse“berichtete). Im Dezember 2020 ging „Salz im Herz“on air, seither hat er rund 50 Menschen vorgestellt. Die Zuhörerschaft wächst. Ob es den Interviewten gelungen ist, einen Partner zu finden, weiß er nicht. „Ich erfahre manchmal von einem ersten Treffen, was daraus wird, bekomme ich dann meistens nicht mehr mit.“
Mittlerweile betreibt Stoltenberg auch einen zweiten Podcast: In unregelmäßigen Abständen interviewt er für „Salz im Ohr“Menschen, die ihn faszinieren. Zeit dafür bleibt dem gebürtigen Hamburger, der zum Studieren nach Salzburg kam und die Stadt lieb gewonnen hat, aber wenig – denn mittlerweile läuft auch das Geschäft mit der Hochzeitsfotografie wieder an.