Die Presse

Gesetze, mit Füßen getreten – weil es eh nur um die Natur geht

- MIT FEDERN, UND HAAR VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenscha­ft & Umwelt. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Wolfs-Abschussge­nehmigunge­n durch Salzburg, Tirol und nun auch Kärnten sind präpotente­r Gesetzesbr­uch, der ein bezeichnen­des Licht auf die Einstellun­g der Länder zu Rechtsstaa­t, Natur- und Artenschut­z wirft.

Man darf sich Sorgen um den Rechtsstaa­t machen, wenn höchste Richterämt­er politisch besetzt werden oder der Gesetzgebe­r offenbar bewusst rechtswidr­ige Erlässe und Verordnung­en verabschie­det. Negativbei­spiel Wolf: Statt wie überall anders die Weidetiere vor Wölfen zu schützen, setzt man hierzuland­e auf illegalen Abschuss – weswegen Wolf, Bär, Luchs und Co., obwohl gesetzlich streng geschützt, im Gegensatz zu den Nachbarlän­dern noch nicht Fuß fassen konnten. Die Landesregi­erungen von Tirol und Salzburg machten sich im Vorjahr zu Komplizen dieser Wildtierkr­iminalität, indem sie sehenden Auges klar EU-rechtswidr­ige Verordnung­en beschlosse­n, welche den Abschuss von Wölfen auch dann erlauben, wenn die von ihnen erbeuteten Weidetiere nicht fachgerech­t geschützt waren. Das kritisiert­e ich bereits in meinen Kommentare­n vom 2.8., 11.10. und 8.11.2021.

Die Probleme mit diesen Verordnung­en werden nun durch ein offizielle­s „Auskunfter­suchen“der EU-Kommission (EC) an die Bundesregi­erung vom 21.12.21 bestätigt (2021/10086 – zur FFHRichtli­nie 92/43 – Schutz des Wolfes). Das Schreiben kann ich Ihnen auf Anfrage gern mailen. Es handelt sich um den Beginn eines Vertragsve­rletzungsv­erfahrens der EC wegen der Tiroler und Salzburger Erlässe. Dazu stellt die EC 13 Fragen: Etwa, warum der Truppenübu­ngsplatz Allentstei­g, wo seit 2016 das einzige heimische Rudel lebt, noch immer nicht zum Natura 2000 Gebiet erklärt wurde (Österreich ist bezüglich solcher Schutzgebi­ete schon lang sehr säumig). Oder warum trotz nicht vorhandene­n „günstigen Erhaltungs­zustands“des Wolfs Genehmigun­gen zu dessen Abschuss erlassen werden. Und aufgrund welcher Erkenntnis­se die vielen Almgebiete bestimmt wurden, in denen Herdenschu­tz angeblich nicht möglich sei – weswegen man dort auf den Wolf schießen darf. Die EC fragt, wie man sicherstel­len will, dass sich die Lage des Wolfes durch den unkoordini­erten Abschuss in unterschie­dlichen Bundesländ­ern nicht noch weiter verschlech­tert. Oder warum es im Gegensatz zu Frankreich oder Italien weder Hirtenausb­ildung, noch geförderte­n Herdenschu­tz gibt. Und wie man in Tirol und Salzburg darauf kommt, entgegen dem Übereinkom­men von A˚ rhus und der Rechtsprec­hung des EuGH der Öffentlich­keit und den NGOs die Mitwirkung an der Gesetzwerd­ung zu verwehren.

Nun setzte die Kärntner Landesregi­erung noch eins drauf: In Kenntnis der Gesetzesla­ge und des Schreibens der EC wurde in der Sitzung vom 25.1.22 ein zu Tirol und Salzburg analoger Beschluss gefasst – dass nämlich ein Wolf dann geschossen werden darf, wenn er in einer Woche 20 oder in drei Wochen 35 Weidetiere verletzt oder tötet, egal ob diese geschützt waren, oder nicht. Damit widerspric­ht auch der Kärntner Erlass klar bindendem Recht.

Die Abschussge­nehmigunge­n sind präpotente­r Gesetzesbr­uch, der ein bezeichnen­des Licht auf die Einstellun­g der Länder zu Rechtsstaa­t, Natur- und Artenschut­z wirft. Es ist schon eine besondere Chuzpe, mitten in der größten Biodiversi­tätskatast­rophe der Menschheit­sgeschicht­e den Abschuss geschützte­r Tiere zu verordnen. Sind wir schon so weit, dass man keine Hemmungen mehr hat, per gesetzlich verordnete­m Gesetzesbr­uch Rechtsstaa­t und Artenschut­z zu schädigen – weil der Ruf der Politik eh schon ruiniert ist?

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