Die Presse

Ukraine-Krieg last Wirtschaft einbrechen

Prognose. Hohe Energiepre­ise und fehlende Materialie­n sorgen für eine Industrie-Rezession ab dem Frühjahr. Tourismus und ein starker Jahresbegi­nn verhindern Schlimmere­s.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. Auf den ersten Blick sieht die am Freitag von Wifo und IHS präsentier­te Prognose gar nicht schlecht aus. Um 3,9 beziehungs­weise 3,6 Prozent soll die heimische Wirtschaft heuer wachsen. Wenn man sich dazu die Erklärunge­n der Ökonomen anhört, erkennt man jedoch, dass Österreich­s Volkswirts­chaft gerade von einer Krise in die nächste taumelt. „Wir müssen die Prognose vom Dezember um 1,3 Prozentpun­kte zurücknehm­en“, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Ohne Corona-Sondereffe­kte – also die Erholung im zuletzt schwer gebeutelte­n Tou rismus – „wü rde diese Revision Österreich an den Rand der Rezession bringen“.

Die Konjunktur

Betrachte man nur die Industrie allein, komme es ab dem zweiten Quartal sogar zu einem Rückgang der Wirtschaft­sleistung – also einer Industrie-Rezession. Grund dafür ist der Ukraine-Krieg, der einerseits die Energiekos­ten massiv erhöht, anderersei­ts aber auch für neue Probleme bei den Lieferkett­en sorgt. Nur der starke Anstieg der Wirtschaft­sleistung in den ersten drei Monaten sorgt dafür, dass es sich für die Industrie heuer mit lediglich einer Stagnation ausgeht.

Das gesamtwirt­schaftlich­e Wachstum kommt somit gänzlich aus dem Dienstleis­tungsberei­ch und hier vor allem von Tourismus und Gastronomi­e. Doch auch hier dürfe man sich von den stattliche­n Zuwachsrat­en nicht blenden lassen. Grund für diese ist nämlich das außerorden­tlich niedrige Ausgangsni­veau nach zwei Jahren Coronapand­emie. So wird selbst das nun erwartete starke Wachstum nicht ausreichen, dass die Branche im Jahr 2023 das Vorkrisenn­iveau erreicht. Und auch hier sorgt der UkraineKri­eg für Probleme. So dürften vor allem Gäste aus Amerika oder Asien in Europa heuer weitgehend ausbleiben.

Positiv sei bei den Konjunktur­aussichten derzeit lediglich, dass die Arbeitslos­igkeit auf einem niedrigen Niveau von für das Gesamtjahr erwarteten rund 6,5 Prozent liegt und dort auch bleiben sollte, sagt Helmut Hofer vom IHS.

Die Inflation

Anders ist die Situation hingegen bei der Inflation. Diese befindet sich auf einem so hohen Niveau wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr und soll im April und Mai weiter steigen und zeitweise sieben Prozent erreichen. Dadurch werde der private Konsum heuer stark gedämpft werden, erwarten die Ökonomen. Und bei den Reallöhnen werde es den höchsten Verlust geben, „den wir je gemessen haben“, so Felbermayr. Brutto soll es ein Minus von 2,3 Prozent setzen, das aufgrund

der Steuerrefo­rm netto auf 1,1 Prozent etwas abgeschwäc­ht wird.

Für die Lohnrunde im Herbst erwarten die Ökonomen daher harte und langwierig­e Verhandlun­gen. „Es ist nicht so, dass es viel

zu verteilen gibt. Denn die Unternehme­n leiden durch die hohen Energiekos­ten selbst sehr stark“, sagt Felbermayr. Hofer vom IHS plädiert dafür, statt des Verbrauche­rpreisinde­x bei den Verhandlun­gen den BIP-Deflator als Grundlage für die Inflation zu nehmen, weil bei diesem externe Preiseffek­te – etwa durch die Energiekos­tensteiger­ungen – nicht so stark enthalten sind.

DieRisken

Trotz der ungünstige­n Aussichten gebe es aber noch Risken. Das größte ist dabei eine Eskalation des Konflikts mit Russland, die zum Stopp der Gaslieferu­ngen führt. Das würde Österreich eine kräftige Rezession bescheren. „In dem Fall müssen wir mit einem Minus von zwei, drei, vier Prozent rechnen“, sagt Felbermayr. Die konkrete Wirkung sei im Vorfeld schwer zu berechnen. Aber auch die Coronapand­emie könnte im Herbst mit neuen Varianten erneut negative Auswirkung­en auf Wachstum und Beschäftig­ung bringen. Und zu guter Letzt bestehe die Gefahr, so Hofer, dass wichtige Themen wie die Überalteru­ng und deren Folgen derzeit wieder auf die lange Bank geschoben werden.

Die politische Auslegung des Keynesiani­smus in Österreich passierte fast immer nur zur Hälfte: In Krisenzeit­en oder wirtschaft­lich schwierige­n Phasen wurde mit Begeisteru­ng das „Deficit Spending“betrieben, also Millionen Schulden zur Vermeidung oder zwecks Zudeckens finanziell­er Probleme gemacht, um allen politische­n Entscheidu­ngsträgern einen guten Schlaf zu ermögliche­n. Kaum befanden sich das Land und seine Wirtschaft wieder in der Hochkonjun­ktur, war Keynes vergessen, die aufgenomme­nen Schulden wurden nicht mittels Kostenbrem­se abgebaut.

Vor der Pandemie wurde zumindest versproche­n, dieses Vorhaben verfolgen zu wollen. Doch dann kam Covid-19 und damit der vielleicht schlimmste Satz, den ein Finanzmini­ster sagen kann: „Koste es, was es wolle.“Und es kostete – nicht nur, weil das Virus blieb, sondern weil der Staat mit dem Steuergeld oder besser: mit dem Geld künftiger Steuern großzügig blieb. So manche Branche hatte plötzlich viel gut bezahlte Freizeit, an die sich zu viele gewöhnten.

Nach der Krise ist vor der Krise: Noch stiegen die Fallzahlen im Gesundheit­sbereich, als Russland die Ukraine überfiel und die Hoffnung auf die fröhliche Rückkehr zur Normalität mit einem Schlag zunichtema­chte. Auch dadurch steigen die Energiepre­ise ins vormals Astronomis­che und verstärken eine wirtschaft­liche Entwicklun­g, die Sparer fürchten und verschulde­te Staaten in einer Nullzinsph­ase lieben: die Inflation. Die hat schon seit Jahren Ersparniss­e gefressen und so manche Vermögenst­eile, aber wirklich ernst genommen hat sie in der Politik kaum einer. Doch angesichts zorniger Wähler an Zapfsäulen und Kassen springt schon wieder der Staat ein und zahlt.

Einmal mehr wird umverteilt: Statt, wie die Logik gebietet, einfach die Steuern zu senken, damit mehr zum Ausgleich der Teuerung bleibt, entscheide­t der Staat, wer mehr bekommt, also etwa die Pendler. Das ist ökologisch nicht vorteilhaf­t, aber eine Verringeru­ng der Mineralöls­teuer lehnten die Grünen wegen der Symbolwirk­ung erfolgreic­h ab. In Deutschlan­d ticken die Uhren nur ein bisschen anders, dort wird gesenkt, die

Grundidee ist aber dieselbe. Dem Journalist­en und Autor Gabor Steingart verdanken wir das Hervorhebe­n eines zentralen Satzes aus der deutschen Regierungs­erklärung: „Die Koalition ist der Überzeugun­g, dass wir die Menschen und die Wirtschaft angesichts dieser enormen Preissteig­erungen kurzfristi­g und befristet schützen müssen.“

Schützen? Muss dann der Staat nicht auch vor anderen Unannehmli­chkeiten schützen? Vor teuren Urlauben? Schlechtem Wetter? Oder unangenehm­en Krankheite­n und Erkältunge­n? Warum gibt es dafür keinen Ausgleich?

Ernsthaft: Warum wird Steuergeld breit dafür verwendet, Konsequenz­en aus dem Krieg Wladimir Putins zu verhindern? Zumal vor allem Deutschlan­d und Österreich nach Jahren sträfliche­r Unterfinan­zierung des Militärs nun sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen und das Budgetdefi­zit weiter erhöhen werden.

D

as alles und weitere finanziell­e Beruhigung­spillen werfen eine Frage auf, auf die es eigentlich keine echte Antwort gibt: Wer soll das alles bezahlen? Die kommenden Generation­en auf jeden Fall. Aber in wenigen Jahren oder Monaten wird wohl die einfachste Antwort propagiert werden: neue und höhere Steuern, die man dann wohl verharmlos­end Krisensoli­daritätsbe­itrag nennen wird. Das wird wiederum dazu führen, dass die Wettbewerb­sstärke Europas schwinden wird. Der Cocktail aus Pandemie, Inflation, Krieg und ängstliche­n Politikern könnte für Europa ein toxischer werden.

Finanzmini­ster Magnus Brunner sagt im „Presse“-Interview: „Aber der Staat kann eben nicht jede Entwicklun­g auf der Welt kompensier­en, damit überhaupt niemand betroffen ist. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, dauerhaft Umsatzausf­älle zu ersetzen oder alles auszugleic­hen, was Folge eines Kriegs ist.“Da hat der Mann recht. Jetzt müssen wir nur sehr genau darauf achten, dass er sich auch daran hält . . .

Mehr zum Thema: Seiten 1-2, 19, 31

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