Die Presse

„Ein nationaler Subvention­swettlauf ist der falsche Weg“

Staatliche „Phantomein­kommen“während der Coronakris­e sind Wurzel der Inflation, so Ökonom Kooths.

- VON JAKOB ZIRM

Die Presse: Wladimir Putin fordert, dass der Westen Gaslieferu­ngen künftig in Rubel zahlen soll. Sollen wir das machen? Stefan Kooths: Diese Forderung bestätigt die These, dass wir mit dem Bezahlen der Gaslieferu­ngen nicht direkt den Krieg finanziere­n. Hintergrun­d ist, dass man mit Euro und Dollar allein keinen Krieg führen kann. Was der russischen Wirtschaft derzeit vor allem zusetzt, sind die ausbleiben­den Güterliefe­rungen, etwa Ersatzteil­e. Diese Lieferstop­ps gehen ja weit über die gesetzlich­en Sanktionen hinaus. Und sie können von anderen Lieferante­n nicht so einfach ersetzt werden. Wenn die Forderung Moskaus nun nur dazu führen sollte, dass man sich bei der Zentralban­k oder Geschäftsb­anken Rubel besorgt, dann kann man sich darauf einlassen. Problemati­sch ist es, wenn die Zentralban­k nicht bereitsteh­t, durch Euro-Ankäufe Rubel zur Verfügung zu stellen. Dann müsste der Westen Russland etwas verkaufen, um Rubel zu erhalten. Und so könnten auch die Gütersankt­ionen ausgehebel­t werden. Das würde die Kriegsführ­ung erleichter­n. Wenn man das nicht will, sollte man da hart bleiben.

Das würde einen Stopp der Gaslieferu­ngen bedeuten, der von Österreich und Deutschlan­d bisher abgelehnt wird. Welche Auswirkung­en hätte dieser Schritt?

Diese Frage wird derzeit im

Rahmen der deutschen Gemeinscha­ftsdiagnos­e behandelt, weshalb ich dazu noch nichts Genaues sagen kann. Realwirtsc­haftlich wäre es jedenfalls nicht einfach so wegzusteck­en. Wobei man für die länderweis­en Effekte nicht einfach die jetzigen Importante­ile aus Russland hochrechne­n darf. Im Fall eines Lieferstop­ps würde der Gaspreis massiv steigen. Und das würde dazu führen, dass es für die Händler sehr attraktiv wird, das vorhandene Gas dorthin zu bringen, wo es unbedingt gebraucht wird, wobei es hier allerdings auch technische Grenzen gibt. In anderen Bereichen würde es hingegen zum Teil substituie­rt werden.

Der Staat greift aufgrund der Energiepre­ise nun in die Tasche, um Menschen und Firmen zu unterstütz­en. Ist das sinnvoll?

Was derzeit im europäisch­en Binnenmark­t passiert, ist eine krasse Fehlentwic­klung. Laut EU-Kommission darf jedes Land selbst Subvention­en oder Steuersenk­ungen beschließe­n, um die energieint­ensiven Betriebe zu unterstütz­en. Das ist der falsche Weg. Wir haben eine echte Verknappun­g. Das heißt, wir müssen mit einem Produktion­sfaktor sparsamer umgehen. Da hilft es jetzt nichts, wenn wir einen nationalen Subvention­swettlauf starten. Die Steuersenk­ungen, die man nun beschließt, landen am Ende in den Kassen der Energiepro­duzenten, nicht der Verbrauche­r. Es ist ein klassische­s Gefangenen­dilemma. Jeder macht das, von dem er glaubt, dass es ihm hilft. In Summe stellen sich aber alle schlechter. Im Übrigen greift der Staat auch nicht in irgendeine Tasche, sondern letztlich in die seiner Bürger.

Wie sollte man reagieren?

Hilfe sollte es nur für einkommens­schwache Haushalte geben. Nun heißt es oft, auch die breite Mitte der Gesellscha­ft soll entlastet werden. Aber wer zahlt das? Die breite Mitte der Gesellscha­ft. Das ist ein Effekt von der linken in die rechte Tasche. Wir haben aus gutem Grund ein System, das sich über Preise reguliert. Denn das ist der beste Mechanismu­s, um mit Knappheite­n umzugehen. Und jetzt, da es wirklich um Knappheite­n geht, sorgen die Staaten dafür, dass das System außer Kraft gesetzt wird. Die Staaten heizen dadurch auch den allgemeine­n Inflations­druck an. Es wird durch die Subvention­en zusätzlich­e Kaufkraft eingebrach­t, die die Preise weiter antreibt.

Das Gegenargum­ent lautet, dass sonst die Konjunktur negativ beeinträch­tigt wird. In Österreich wurden erste Papierfabr­iken bereits temporär stillgeleg­t.

Wenn auch alle Wettbewerb­er dieser Fabriken mit höheren Preisen konfrontie­rt sind, könnten sie das überwälzen. Das beschädigt man, wenn man hier mit nationalen Subvention­en anfängt. Es muss Energie eingespart werden. Wenn der Staat in der Breite Hilfen vergibt, wo soll dann eingespart werden?

Noch ein Gegenargum­ent: Viele Industrien stehen im internatio­nalen Wettbewerb etwa mit US-Produzente­n, die viel geringere Energiepre­ise haben.

Das ist dann halt so. Das klingt jetzt hart. Aber wenn wir in Westeuropa jetzt weniger Gas zur Verfügung haben, dann muss es auch weniger eingesetzt werden. Dann muss halt auch die Güterherst­ellung in diesem Bereich reduziert und die Produkte von woanders her bezogen werden. Noch schlimmer wäre es, wenn wir den Stahl nicht produziere­n und auch nicht kriegen. Für viele Keynesiane­r wird das ein ganz neues Erlebnis sein. Denn die Importe von energieint­ensiven Produkten werden uns helfen, dass unser BIP nicht so stark einbricht.

Haben sich Wirtschaft und Gesellscha­ft während der Coronapand­emie zu sehr an Staatshilf­en gewöhnt?

Die Gefahr besteht leider. Es grassieren derzeit Vergleiche, wonach wir uns die Pandemie ja auch so viele Milliarden haben kosten lassen. Schon da wurde wenig zielgenau mit Hilfen umgegangen. Ein erhebliche­r Teil des aktuellen Inflations­schubes war bereits in Gang gekommen, noch bevor der erste Schuss in der Ukraine gefallen ist. Was haben wir in den vergangene­n zwei Jahren gemacht? Wir haben mit massiven fiskalisch­en Hilfsgelde­rn Phantomein­kommen geschaffen. Wir gaben dem privaten Sektor Kaufkraft, dem keine Produktion gegenübers­tand. Und die Notenbanke­n haben diese staatliche­n Defizite über die Notenpress­e finanziert. Man brauchte rein rechnerisc­h einen Inflations­anstieg um zehn Prozent, um diesen Kaufkraftü­berhang abzuschöpf­en. Wenn die Staaten auf diese inflationä­re Entwicklun­g weiter mit Kaufkrafti­njektionen in den privaten Sektor reagieren, wird die Teuerung weiter angetriebe­n.

Wie stark könnte die Inflation steigen?

Wir gehen von einem Durchschni­tt von sechs Prozent für heuer aus. In einzelnen Monaten kann es auch mal eine Sieben sein. Sowohl heuer als auch 2023 sind wir damit über dem Inflations­ziel der EZB. Und die ist ja selbst von der Inflation überrascht. Die Prozesse, die zur Inflation führen, sind komplex. Wir wissen nur, dass eine auf Dauer übermäßige Geldversor­gung zu Problemen führt. Einige sind nun verwundert, dass bestimmte Lehrbuchwe­isheiten doch noch gelten. Und nun versucht man, die Symptome zu bekämpfen und nicht die Ursachen. Steigende Preissigna­le von einzelnen Gütern sind jedoch nicht nur Symptom des Problems, sondern auch Teil der Lösung.

Weil die Verteilung der Ressourcen angepasst wird.

Ja. Wenn Gaspreise steigen, sollte die Reaktion sein, den Gasverbrau­ch anzupassen. Und wenn Anleger den Staatsfina­nzen nicht trauen und die Renditen steigen, dann müssen sie die Finanzen anpassen und nicht die Renditen künstlich drücken. Selbst manchen liberalen Politikern scheint es schwerzufa­llen, auf liberale Ökonomen zu hören.

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