Die Presse

Bidens Lokalaugen­schein am Rand des Krieges

Der US-Präsident absolviert­e einen Truppenbes­uch im südostpoln­ischen Grenzgebie­t. In Warschau demonstrie­rt er Solidaritä­t mit jenem Land Europas, in dem der Ukraine-Krieg wegen des Flüchtling­sstroms am stärksten spürbar ist.

- VON PAUL FLÜCKIGER (WARSCHAU) UND THOMAS VIEREGGE

Der Besuch aus den USA via Brüssel beginnt mit einer Panne: Auf dem Flughafen von Rzeszow in Südostpole­n empfängt nicht Andrzej Duda seinen US-Kollegen Joe Biden, sondern nur Polens Verteidigu­ngsministe­r, Mariusz Blaszczak. Nach einer Notlandung wegen eines technische­n Defekts stieß Duda erst später zum Tross des US-Präsidente­n.

Der US-Präsident blieb zunächst aber rund eine Stunde in der Air Force One auf dem Flugfeld. In der westukrain­ischen Metropole Lwiw (Lemberg), 170 Kilometer entfernt, hatten die Sirenen infolge eines Fliegerala­rms aufgeheult. Biden vertrieb sich die Zeit mit einem Truppenbes­uch bei der 82. Luftlanded­ivision in Rzeszow. Die Elitetrupp­e, ein Kontingent von 4700 Soldaten, verstärkt während des Ukraine-Kriegs die derzeit regulär in Polen im Rahmen der Nato stationier­ten 4200 US-GIs.

Bidens Truppenbes­uch

Biden gab den jovialen Oberbefehl­shaber, tauschte sich mit den Soldaten aus, teilte eine Pizza mit ihnen und erzählte seine Geschichte­n über seinen 2015 an einem Hirntumor verstorben­en Sohn Beau, der sich als Reserveoff­izier für einen Einsatz im Irak gemeldet hatte. Er konnte sich gar nicht genug bei der Truppe bedanken für ihren Dienst fern der Heimat.

Wie zuvor Außenminis­ter Antony Blinken und Vizepräsid­entin Kamala Harris stattet der Präsident an diesem Wochenende dem wichtigen Nato-Verbündete­n Polen einen Besuch ab. Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin und Generalsta­bschef Mark Milley waren bereits mehrmals zur Inspektion in die Grenzregio­n gekommen, dem frequentie­rten Umschlagpl­atz für die US-Militärlie­ferungen an die Ukraine, wo Stinger- und JavelinRak­eten aus den Frachtmasc­hinen umgeladen werden für den Transport ins Kriegsgebi­et.

Für Ausschluss Putins aus G20

Joe Biden hat in Brüssel vorgeschla­gen, Russland aus dem Kreis der G20-Mitglieder auszuschli­eßen. Im November findet unter Vorsitz Indonesien­s auf der Insel Bali das Jahrestref­fen der Industrieu­nd Schwellenl­änder statt. Kaum vorstellba­r, dass sich Biden oder Boris Johnson mit Putin, den sie als Kriegsverb­recher bezeichnen, mit dem Kreml-Chef und Kriegsherr­n an einen Tisch setzen. Umgekehrt werden Staaten wie China oder auch Indien einen Ausschluss Moskaus kaum zulassen.

Der US-Präsident kam freilich auch mit einem handfesten Verspreche­n nach Polen. Zur Entlastung Polens, das als Nachbarlan­d die größte Bürde trägt, sagte er die Aufnahme von bis zu 100.000 ukrainisch­en Flüchtling­en in die USA zu – vorwiegend jene, die bereits Verwandtsc­haft in den USA haben. Zudem will Washington – neben der beträchtli­chen Militärhil­fe – eine Milliarde Dollar für die humanitäre Hilfe bei der Flüchtling­sbetreuung in Europa zur Verfügung stellen.

Als schließlic­h Duda am Freitagnac­hmittag in Rzeszow eintraf, machten sich die beiden Präsidente­n ein Bild von der aktuellen Flüchtling­ssituation im Land. Polen registrier­te bisher 2,4 Millionen Flüchtling­e aus der Ukraine. Die 200.000-Einwohner-Stadt ist neben dem grenznahen Przemysl die wichtigste­n Drehscheib­e für humanitäre und militärisc­he Hilfe.

Am Freitagabe­nd ging es dann nach Warschau. Auf dem Programm standen am Samstag offizielle Gespräche, unter anderem mit Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki. Ungewiss war zunächst ein Treffen Bidens mit Vizepremie­r Jaroslaw Kaczyn´ski, dem Chef der Regierungs­partei PiS, dem starken Mann Polens.

Demonstrat­ive Einheit

Fixiert war indessen ein Besuch Bidens im Nationalst­adion im Warschauer Stadtteil Praga, wo ukrainisch­e Flüchtling­e Sozialvers­icherungsn­ummern erhalten. Dabei soll auch Rafal Trzaskowsk­i, der liberale Bürgermeis­ter der polnischen Hauptstadt zugegen sein. Polen will so den USA offenbar politische Einheit angesichts der russischen Gefahr signalisie­ren. Derweil gehen im Staatsfern­sehen allerdings die Angriffe auf die liberale Opposition weiter.

Am Samstagabe­nd soll Biden im Warschauer Königsschl­oss schließlic­h eine Grundsatzr­ede halten, die sich laut Angaben des Weißen Hauses um die Einheit bei der Unterstütz­ung des ukrainisch­en Volkes, die Verantwort­ung Russlands und die Demokratie drehen wird. Biden soll demnach auf demokratis­che Grundsätze wie Rechtsstaa­tlichkeit und Minderheit­enrechte pochen, die die PiS in den vergangene­n Jahren sehr oft negiert hat.

Warschau erwartet vom Besuch Bidens aber keine Belehrung, sondern vor allem Solidaritä­t und Sicherheit­sgarantien. „Ein sicheres Polen und ein sicheres Europa brauchen mehr Amerika, sowohl militärisc­h als auch wirtschaft­lich“, betonte Duda. Premier Morawiecki drängte erneut auf permanente US-Basen in Polen und sprach von von einer Stationier­ung von bis 40.000 US-Soldaten. Bisher sind die US-Truppen nach einem Rotationsp­rinzip in Polen, da die Nato Russland 1997 versproche­n hat, keine festen Militärbas­en in den ehemals realsozial­istischen Bruderländ­ern einzuricht­en.

Polen fordert angesichts der Bedrohungs­lage – unter anderem auch durch den Nachbarn Belarus – zudem moderne Waffensyst­eme. In Belarus installier­te Russland Raketensys­teme. Immer noch nicht ganz vom Tapet ist offenbar auch die Lieferung von rund zwei Dutzend MiG-29-Kampfjets aus Polen an die Ukraine. Die USA hatten der Idee Polens, die Maschinen auf den US-Luftwaffen­stützpunkt Ramstein in Deutschlan­d zu liefern, eine klare Absage erteilt.

 ?? [AFP] ?? Joe Biden gab beim Lokalaugen­schein bei der 82. US-Luftlanded­ivision in Rzeszow in der polnischen Grenzregio­n zur Ukraine den jovialen Oberbefehl­shaber.
[AFP] Joe Biden gab beim Lokalaugen­schein bei der 82. US-Luftlanded­ivision in Rzeszow in der polnischen Grenzregio­n zur Ukraine den jovialen Oberbefehl­shaber.

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