Bidens Lokalaugenschein am Rand des Krieges
Der US-Präsident absolvierte einen Truppenbesuch im südostpolnischen Grenzgebiet. In Warschau demonstriert er Solidarität mit jenem Land Europas, in dem der Ukraine-Krieg wegen des Flüchtlingsstroms am stärksten spürbar ist.
Der Besuch aus den USA via Brüssel beginnt mit einer Panne: Auf dem Flughafen von Rzeszow in Südostpolen empfängt nicht Andrzej Duda seinen US-Kollegen Joe Biden, sondern nur Polens Verteidigungsminister, Mariusz Blaszczak. Nach einer Notlandung wegen eines technischen Defekts stieß Duda erst später zum Tross des US-Präsidenten.
Der US-Präsident blieb zunächst aber rund eine Stunde in der Air Force One auf dem Flugfeld. In der westukrainischen Metropole Lwiw (Lemberg), 170 Kilometer entfernt, hatten die Sirenen infolge eines Fliegeralarms aufgeheult. Biden vertrieb sich die Zeit mit einem Truppenbesuch bei der 82. Luftlandedivision in Rzeszow. Die Elitetruppe, ein Kontingent von 4700 Soldaten, verstärkt während des Ukraine-Kriegs die derzeit regulär in Polen im Rahmen der Nato stationierten 4200 US-GIs.
Bidens Truppenbesuch
Biden gab den jovialen Oberbefehlshaber, tauschte sich mit den Soldaten aus, teilte eine Pizza mit ihnen und erzählte seine Geschichten über seinen 2015 an einem Hirntumor verstorbenen Sohn Beau, der sich als Reserveoffizier für einen Einsatz im Irak gemeldet hatte. Er konnte sich gar nicht genug bei der Truppe bedanken für ihren Dienst fern der Heimat.
Wie zuvor Außenminister Antony Blinken und Vizepräsidentin Kamala Harris stattet der Präsident an diesem Wochenende dem wichtigen Nato-Verbündeten Polen einen Besuch ab. Verteidigungsminister Lloyd Austin und Generalstabschef Mark Milley waren bereits mehrmals zur Inspektion in die Grenzregion gekommen, dem frequentierten Umschlagplatz für die US-Militärlieferungen an die Ukraine, wo Stinger- und JavelinRaketen aus den Frachtmaschinen umgeladen werden für den Transport ins Kriegsgebiet.
Für Ausschluss Putins aus G20
Joe Biden hat in Brüssel vorgeschlagen, Russland aus dem Kreis der G20-Mitglieder auszuschließen. Im November findet unter Vorsitz Indonesiens auf der Insel Bali das Jahrestreffen der Industrieund Schwellenländer statt. Kaum vorstellbar, dass sich Biden oder Boris Johnson mit Putin, den sie als Kriegsverbrecher bezeichnen, mit dem Kreml-Chef und Kriegsherrn an einen Tisch setzen. Umgekehrt werden Staaten wie China oder auch Indien einen Ausschluss Moskaus kaum zulassen.
Der US-Präsident kam freilich auch mit einem handfesten Versprechen nach Polen. Zur Entlastung Polens, das als Nachbarland die größte Bürde trägt, sagte er die Aufnahme von bis zu 100.000 ukrainischen Flüchtlingen in die USA zu – vorwiegend jene, die bereits Verwandtschaft in den USA haben. Zudem will Washington – neben der beträchtlichen Militärhilfe – eine Milliarde Dollar für die humanitäre Hilfe bei der Flüchtlingsbetreuung in Europa zur Verfügung stellen.
Als schließlich Duda am Freitagnachmittag in Rzeszow eintraf, machten sich die beiden Präsidenten ein Bild von der aktuellen Flüchtlingssituation im Land. Polen registrierte bisher 2,4 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. Die 200.000-Einwohner-Stadt ist neben dem grenznahen Przemysl die wichtigsten Drehscheibe für humanitäre und militärische Hilfe.
Am Freitagabend ging es dann nach Warschau. Auf dem Programm standen am Samstag offizielle Gespräche, unter anderem mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Ungewiss war zunächst ein Treffen Bidens mit Vizepremier Jaroslaw Kaczyn´ski, dem Chef der Regierungspartei PiS, dem starken Mann Polens.
Demonstrative Einheit
Fixiert war indessen ein Besuch Bidens im Nationalstadion im Warschauer Stadtteil Praga, wo ukrainische Flüchtlinge Sozialversicherungsnummern erhalten. Dabei soll auch Rafal Trzaskowski, der liberale Bürgermeister der polnischen Hauptstadt zugegen sein. Polen will so den USA offenbar politische Einheit angesichts der russischen Gefahr signalisieren. Derweil gehen im Staatsfernsehen allerdings die Angriffe auf die liberale Opposition weiter.
Am Samstagabend soll Biden im Warschauer Königsschloss schließlich eine Grundsatzrede halten, die sich laut Angaben des Weißen Hauses um die Einheit bei der Unterstützung des ukrainischen Volkes, die Verantwortung Russlands und die Demokratie drehen wird. Biden soll demnach auf demokratische Grundsätze wie Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte pochen, die die PiS in den vergangenen Jahren sehr oft negiert hat.
Warschau erwartet vom Besuch Bidens aber keine Belehrung, sondern vor allem Solidarität und Sicherheitsgarantien. „Ein sicheres Polen und ein sicheres Europa brauchen mehr Amerika, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich“, betonte Duda. Premier Morawiecki drängte erneut auf permanente US-Basen in Polen und sprach von von einer Stationierung von bis 40.000 US-Soldaten. Bisher sind die US-Truppen nach einem Rotationsprinzip in Polen, da die Nato Russland 1997 versprochen hat, keine festen Militärbasen in den ehemals realsozialistischen Bruderländern einzurichten.
Polen fordert angesichts der Bedrohungslage – unter anderem auch durch den Nachbarn Belarus – zudem moderne Waffensysteme. In Belarus installierte Russland Raketensysteme. Immer noch nicht ganz vom Tapet ist offenbar auch die Lieferung von rund zwei Dutzend MiG-29-Kampfjets aus Polen an die Ukraine. Die USA hatten der Idee Polens, die Maschinen auf den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland zu liefern, eine klare Absage erteilt.