Die Presse

„Putin hat gehört, was er hören wollte“

Die Geheimdien­ste haben den Zorn Putins auf sich gezogen. Der russische Journalist und Geheimdien­stexperte Andrej Soldatow über Verschwöru­ngstheorie­n in Moskau und dazu, wie wahrschein­lich ein Putsch gegen den Kremlchef ist.

- VON DUYGU ÖZKAN

Die Presse: Nachdem sich die Invasion der Ukraine in die Länge zieht, richtet sich die Wut Wladimir Putins auch auf seine Geheimdien­ste. Er entließ Generäle. Wie würden Sie den aktuellen Zustand der Geheimdien­ste beschreibe­n?

Andrej Soldatow: In Russland sind die Geheimdien­ste das Hauptorgan, wenn es um Repression­en geht. Nun sind mehrere FSBGeneräl­e inhaftiert, damit ist auch die Immunität gefallen, mit der sich die Geheimdien­stmitarbei­ter ausgestatt­et fühlten. Es herrscht Verwirrung. Und das Gefühl, dass eben nicht alles nach Plan verläuft, wie es aus dem Kreml heißt. Der Krieg in der Ukraine unterschei­det sich von anderen russischen Invasionen wie etwa auf der Krim oder in Georgien 2008. Damals waren die Geheimdien­ste hinter Putin, es herrschte Geschlosse­nheit. Diesmal unterstütz­en die Geheimdien­ste zwar den Krieg gegen die Ukraine an sich, aber wohl nicht, wie er ausgeführt wurde und wird.

Was genau stößt ihnen denn auf?

Sie stimmen mit Putin überein, dass die Ukraine kein richtiges Land sei, und sie tragen eine xenophobe Sichtweise in sich. Doch Putin und sein Kreis waren jahrelang besessen von den Nato-Bomben, die 1999 unter anderem auf Belgrad fielen. Es fasziniert­e sie, dass Bomben schließlic­h zu Slobodan Milosˇević­s Sturz führten, und nicht Bodentrupp­en. Das war im Fall der Ukraine auch zuerst mein Eindruck. Bomben, um Wolodymyr Selenskij aus dem Land zu jagen. Die russischen Truppen an der Grenze sollten eigentlich nicht eingesetzt werden.

Im Kreml ist viel davon die Rede, dass die Invasion der Ukraine weiterhin nach Plan verlaufe. Glauben Putin und sein innerer Kreis das tatsächlic­h – oder ist es eher ein Instrument der Selbstberu­higung?

Ich bin nicht in Putins Kopf, aber er erscheint mir nicht sonderlich glücklich. Putin hat mehrere Generäle entlassen, auch den Vize der Nationalga­rde, Roman Gawrilow. Er greift seine eigenen Leute an, und in Zeiten des Krieges heißt das: Er ist nicht glücklich mit dem Verlauf. Er würde das nie öffentlich zugeben. Putin ist seit jeher der Meinung, dass Öffentlich­keit und Journalism­us dunkle Kräfte sind, die seine Arbeit untergrabe­n.

Gawrilow wurde mit fadenschei­nigen Begründung­en verhaftet, er habe etwa beim Ukraine-Einsatz zu viel Sprit verbraucht.

Ja, es wurde ihm mangelnde Versorgung der Truppen vorgeworfe­n. Wahrschein­licher ist: Gawrilow stand einer Spezialein­heit vor, die in der Ukraine kämpft. Sie haben viele Verluste zu vermelden, die Performanc­e war nicht gut. Es ist interessan­t, was danach passierte. Ein Dutzend Mitglieder der Nationalga­rde haben sich geweigert, in die Ukraine zu gehen. Das ist eine bemerkensw­erte Entwicklun­g, die man weiter beobachten muss.

Putin ist selbst im Geheimdien­st groß geworden, er kennt das System in- und auswendig. Wie kann ihm eine derart fundamenta­le Fehleinsch­ätzung passieren?

Putin hat eine starke Meinung über die Ukraine, und er ist der Meinung, dass er alles besser weiß. Nun soll ihn ein FSB-General über die politische Lage in der Ukraine aufklären, aber der weiß auch um Putins vorgeferti­gte Meinung. Das ist das Problem. Putin hat gehört, was er hören wollte.

Der russische Geheimdien­st ist ja seit Jahren, seit dem Krieg in der Ostukraine, vor Ort rege aktiv. Haben sich die Agenten wirklich ein Bild von der Lage gemacht?

Sie haben schon gesehen, was im Land vor sich ging, aber sie haben es mit einem vorurteils­behafteten und zynischen Blick gesehen. Alles mit der Annahme, dass die Ukraine kein richtiges Staatsgebi­lde sei. Sie kamen letztlich zu dem sehr simplen Schluss, dass die ukrainisch­e Armee in sich zerfallen werde. Die Ukrainer seien keine Kämpfertyp­en. Und warum sollten sie das nicht glauben? Die jahrelang von den USA aufgebaute Armee in Afghanista­n hat sich innerhalb kürzester Zeit in Luft aufgelöst. Bei der Annexion der Krim gab es kaum Widerstand. Ihre Rechnungen waren simpel.

Wenn wir bei den politische­n Analysen bleiben, die der FSB Putin über die Ukraine vorgelegt hat: Im Vergleich zur CIA macht der FSB Analysen erst seit 1989, vorher war das Politbüro dafür zuständig. Das heißt, diese Analysen sind per se nicht sehr ausgereift?

Das stimmt sicherlich bis zu einem gewissen Grad. Man muss aber auch zwischen den Bereichen unterschei­den, in denen sie vorgelegt werden, da sind sie in Teilen durchaus korrekt. Aber in diesen generellen, politische­n Analysen können Sie viele verrückte Sachen nachlesen. Viele Verschwöru­ngstheorie­n, etwa über das US-Außenminis­terium oder Graswurzel­bewegungen im eigenen Land. Da wird davon ausgegange­n, dass diese vom Ausland angestache­lt werden.

Das ist ja in vielen autokratis­ch geführten Ländern der erste Reflex bei Protestwel­len, alles auf das Ausland zu schieben. Wir sehen das im Iran, in der Türkei . . . Die Frage ist immer: Ist diese Argumentat­ion Propaganda für die eigene Wählerscha­ft, oder glaubt die Regierung das wirklich?

Als die Sowjetunio­n kollabiert­e, war Putin als Agent in Dresden. Er hat all diese Proteste, die Menschen auf den Straßen nicht gesehen, ihre Forderunge­n, ihre Auftritte. Das war auch eine Graswurzel­bewegung, und Putin hat diese Realität nur im TV verfolgt. Wenn Sie das nicht erlebt haben, dann fehlt Ihnen etwas. Heute sieht er Proteste und denkt sich: Da steckt jemand dahinter. Also muss er herausfind­en, wer das sein könnte.

Zuletzt gab es Gerüchte von ukrainisch­er Seite, dass Putin einem Cäsarenmor­d zum Opfer fallen könnte, demnach will ihn sein innerster Zirkel schnell loswerden. Als Nachfolger fiel der Name des FSBChefs,

General Alexander Bortnikow . . .

Ich bin sehr skeptisch. Wenn wir die Türkei als Beispiel nehmen: Dort gibt es eine lange Tradition von Verschwöru­ngen innerhalb des Militärs, von Putschen, Intrigen, Eingriffen in die Politik. In Russland wollten Offiziere zuletzt 1825 putschen. Das Militär war immer unter Kontrolle, ich habe noch nie von konspirati­ven Subgruppen innerhalb des KGB oder FSB gehört. In der Türkei oder auch in Ägypten umgibt sich ein General mit Beratern, in Russland hingegen gibt es den General, der das Sagen hat. Die Position, die er bekleidet, ist wichtiger als der General selbst. Er ist also davon auch abhängig. Hinzu kommt, dass in den 1990ern viele politische Akteure anzutreffe­n waren, heute gibt es keine politische Gruppe außer Putins.

Bortnikow ist FSB-Chef, aber vom bisherigen Köpferolle­n verschont geblieben.

Bortnikow hat die Aufgabe, sich um die „wirtschaft­liche Sicherheit“zu kümmern. Bei ihm dreht sich alles um Geld und Oligarchen. Hinter dieser Aufgabe versteckt er sich. Er sagt, mit der Ukraine habe er nichts zu tun. Bortnikow ist sehr schlau, und er kann sehr gut den Loyalen spielen. Als er FSB-Chef wurde, hat er zunächst keinen Mitarbeite­r ausgewechs­elt, er hat allen auf die Schulter geklopft, Vertrauen aufgebaut und wollte Putin zeigen, dass er kein Karrierist sei. Das Auswechsel­n kam erst sukzessive und so, dass es unter Putins Radar fiel.

Den Chef des Auslandsge­heimdienst­es SWR, Sergej Naryshkin, hat Putin öffentlich gemaßregel­t. Wie sicher ist seine Position?

Naryshkin ist sattelfest, er ist nicht niemand. Er ist zugleich Vorsitzend­er der Russischen Historisch­en Gesellscha­ft und somit wichtig für die russische Ideologie. In Russland geht es immer um die Geschichte. Der Auftritt beim nationalen Sicherheit­srat, als Putin Naryshkin rügte, war die öffentlich­e Erteilung einer Lektion. Dem lag ein psychologi­sches Moment zugrunde. Wie bei einer kriminelle­n Gang muss man die Bande manchmal daran erinnern, wohin der Weg geht.

Wer hat noch Einfluss auf Putin?

Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu gehört sicherlich dazu, obwohl er bei Putin Ansehen verloren hat. Dann sein alter Freund Nikolai Patrushew (ehemaliger FSB-Chef und Leiter des russischen Sicherheit­srates, Anm.). Vielleicht noch einige wenige seiner alten Weggefährt­en und Oligarchen-Freunde. Das wird es wohl gewesen sein.

Schoigu ist seit zwei Wochen nicht mehr öffentlich aufgetrete­n, was natürlich zu diversen Spekulatio­nen führt. Dem Kreml zufolge hat er lediglich wahnsinnig viel zu tun. Vermuten Sie mehr dahinter?

Spekuliere­n ist schwierig. Es wäre eine große Herausford­erung, ein Kaliber und einen populären General wie Schoigu zu ersetzen. Es gibt keinen, der ähnlich populär wäre.

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[ Imago ] Ein orthodoxer Priester segnet einen russischen Soldaten. Für Moskaus Armee lief vieles schief.

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