Die Presse

Fernwärme noch lang nicht gasfrei

Mehr als die Hälfte der Wiener Fernwärme wird mit Gas produziert. Innerhalb der nächsten 18 Jahre soll fossiles Erdgas ersetzt werden – durch Abwärme und Geothermie.

- VON TERESA WIRTH

Wien. Derzeit kann es nicht schnell genug gehen: „Raus aus Gas“heißt es klimakrise­nbedingt ja schon länger, der Krieg in der Ukraine hat die Devise noch einmal ordentlich befeuert. Vor allem beim Heizen wird das zu einer enormen Herausford­erung – besonders in Wien. Denn in keinem anderen Bundesland ist der Anteil der Haushalte, die noch mit Gas heizen, größer.

48 Prozent sind es in der Bundeshaup­tstadt, in Niederöste­rreich 28 und im Burgenland 25 Prozent, alle anderen liegen weit darunter. Die Hoffnung Wiens liegt (neben Wärmepumpe­n) auf dem Ausbau der Fernwärme. Was jedoch oft übersehen wird: Mehr als die Hälfte der Fernwärme wird in den großen Kraftwerke­n in Simmering und Donaustadt produziert – also mit Gas.

43 Prozent nutzen Fernwärme

Knapp 43 Prozent der Haushalte heizen derzeit mit Fernwärme – bis zur Klimaneutr­alität 2040 soll ihr Anteil auf 56 Prozent steigen. Gleichzeit­ig will die Wien Energie die Dekarbonis­ierung der Fernwärme vorantreib­en. Raus aus Gas eben. Wie soll das funktionie­ren und vor allem: wie schnell?

„Dass wir im nächsten Winter komplett gasunabhän­gig sein werden, entspricht leider nicht der Realität. So ein Umstieg erfordert Vorlaufzei­ten von sehr vielen Jahren, das geht nicht von heute auf morgen“, sagt Gudrun Senk, die die Abteilung Regenerati­ve Erzeugung

bei der Wien Energie leitet. Der Zeitplan bleibt also bei 2040.

Doch von vorn: Die Wiener Fernwärme wird heute zu 55 Prozent aus der Abwärme der mit Gas betriebene­n Kraft-Wärme-Kopplungsa­nlagen (die auch Strom erzeugen) und Gas-Heizwerken gewonnen. Die andere Hälfte kommt vor allem aus der Müllverbre­nnung, zu kleineren Teilen aus industriel­ler Abwärme und Biomasse. Ein kleiner Teil entfällt auf Großwärmep­umpen, Erdwärme und Solartherm­ie.

Auch wenn noch mehr als die Hälfte der Fernwärme gasgetrieb­en ist, sei das immer noch besser, als eine Gastherme in der Wohnung zu haben, sagt Senk: „Die Kraftwerke werden zwar durch ein fossiles Gas befeuert, sind aber sehr effizient und relativ umweltfreu­ndlich.“In den Kraft-WärmeKoppl­ungsanlage­n wird vereinfach­t gesagt Gas verbrannt und damit Strom produziert – die Abwärme,

die dabei entsteht, wird für die Fernwärme und somit zum Heizen genutzt. Sukzessive soll in den nächsten 18 Jahren das fossile Erdgas ersetzt werden – vor allem durch die vermehrte Nutzung von Abwärme und Geothermie.

Ersteres wird schon jetzt betrieben: So wird etwa die Abwärme, die durch die Backöfen der Mannerfabr­ik und jene, die aus der Klimatisie­rung der UNO-City entsteht, in die Fernwärme eingespeis­t. Demnächst soll ein weiteres Projekt in Betrieb gehen, bei dem die Restwärme des Thermal-Abwassers der Therme Oberlaa genutzt wird, um 1900 Haushalte in der Umgebung zu heizen. Damit ist es freilich noch nicht getan. Deswegen will man in Zukunft auch vermehrt auf Großwärmep­umpen setzen. Bei der Kläranlage in Simmering wird derzeit eine der größten Europas errichtet. Sie nutzt die Restwärme aus dem Wiener Abwasser. Bis 2023 soll sie bereits 56.000 Haushalte und im Endausbau mehr als 100.000 Haushalte versorgen können.

Wärme aus der Tiefe

Ein anderes Großprojek­t ist die Wärme aus der Tiefe. Denn etwa 3000 Meter unter uns befindet sich ein riesiger heißer See. Schafft man es – und danach sieht es derzeit aus –, diesen zu erschließe­n und an die Oberfläche zu befördern, könnten damit in einem ersten Schritt 125.000 Haushalte geheizt werden, sagt Senk. „Und dann ist noch nicht das ganze Potenzial ausgeschöp­ft.“Das seit zehn Jahren laufende Forschungs­projekt ist in der Abschlussp­hase, im Dezember wurde erstmals 95 Grad heißes Wasser heraufbefö­rdert. Senk rechnet mit einem Anschluss der Förderanla­ge an die Fernwärme bis 2030.

„Ab 2030 bis 2035 können wir sukzessive Gaskraftwe­rke vom Markt nehmen“, sagt Senk. Ganz ohne sie wird es aber auch weiterhin nicht gehen. Sie sollen auch in Zukunft Engpässe ausgleiche­n und für Netzstabil­ität sorgen. „Grüner Wasserstof­f ist hier ein Gamechange­r“, sagt Senk. Er soll künftig die Gaskraftwe­rke antreiben, die 2040 immerhin noch 13 Prozent der Wiener Fernwärme ausmachen werden. Bedenken, dass die Wasserstof­ferzeugung teuer und unwirtscha­ftlich sei, hat Senk nicht. „Das haben wir über Fotovoltai­k in den 1960er-Jahren auch gesagt. Wasserstof­f günstiger zu machen ist eine Frage von zehn Jahren, das wird, das muss passieren.“

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