Die Presse

Gas: Europas Rettung ist ein Milliarden­geschäft

Flüssiggas aus den USA soll Europas Speicher für nächsten Winter füllen. Die EU greift beherzt nach dem teuren Strohhalm, doch der Deal mit den USA hat Tücken. Hürden gibt es mehr als genug, Österreich profitiert vorerst gar nicht.

- VON MATTHIAS AUER

Vier Tage noch. Dann will Moskau für seine Gaslieferu­ngen keine Dollar oder Euro mehr sehen, sondern russische Rubel, erinnerte der Kreml am Freitag seine Abnehmer im Westen. Putins Schachzug hat nicht nur den Absturz der russischen Währung erfolgreic­h gestoppt, er hat auch viel Unruhe in der europäisch­en Industrie verbreitet. Sie ist auch nach dem Ende der Heizsaison auf konstante Gaslieferu­ngen angewiesen und würde ein komplettes Embargo von russischem Gas nur schwer verkraften.

Doch die EU denkt nicht daran, auf die russischen Forderunge­n einzusteig­en und legt stattdesse­n eine Alternativ­e auf den Tisch: Die Vereinigte­n Staaten sollen in die Bresche springen und dem Kontinent mit gewaltigen Mengen an Flüssiggas (LNG) aushelfen. Schon im Jänner landeten 122 LNG-Tanker mit amerikanis­chem Flüssiggas in Europas Häfen an – doppelt so viel wie vor einem Jahr. Und in dieser Tonart soll es weitergehe­n, vereinbart­en US-Präsident Joe Biden und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen. Zusätzlich zu den 22,5 Milliarden Kubikmeter LNG aus dem Vorjahr sollen heuer zumindest noch 15 Milliarden Kubikmeter mehr in die EU geliefert werden, um die Speicher rechtzeiti­g vor dem Winter zu füllen. Das entspricht immerhin einem Zehntel der gesamten russischen Lieferunge­n in die EU. Bis 2030 sollen jährlich 50 Milliarden Kubikmeter mehr in Europa ankommen, um den Kontinent langfristi­g von seinem russischen Hauptliefe­ranten unabhängig zu machen. An den Märkten war das Aufatmen schnell spürbar, der Gaspreis sank prompt. Aber wie realistisc­h ist das Rettungssz­enario, das Europa und die USA hier zeichnen?

Nicht genug Leitungen für Mitteleuro­pa

„LNG ist ein großer Hebel, um Europas Unabhängig­keit zu stärken“, sagt Energieexp­erte Florian Haslauer von e.venture. Langfristi­g könnte zumindest die Hälfte der russischen Gaslieferu­ngen auf diesem Weg ersetzt werden. Um das zu schaffen, müssten allerdings die bisherigen Importe mehr als verdoppelt werden.

Amerika ist dafür jedenfalls der richtige Ansprechpa­rtner. Europas bisher größter Lieferant, Katar, hat im Moment keine freien Mengen für den Kontinent. Die US-Produzente­n konnten ihre Ausfuhren hingegen im Vorjahr so stark steigern, dass sie bis Jahresende die beiden bisherigen Marktführe­r Australien und Katar als größter LNG-Exporteur abgelöst haben werden. Schon seit dem Herbst steuern die Tanker vor allem Europa an, das mittlerwei­le 44 Prozent seiner LNGExporte aus den USA bezieht (siehe Grafik). Das ist allerdings kein politisch motivierte­r Altruismus, sondern die Folge simpler Marktlogik. Die Gaspreise in Europa liegen heute fünf Mal über dem langjährig­en Durchschni­tt und sind mittlerwei­le sogar teurer als in Asien. Die Rettung Europas ist also ein Milliarden­geschäft für die amerikanis­chen Lieferante­n.

Aber ob der schnelle Wechsel von russischem zu US-Gas überhaupt machbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn noch fehlt Europa die Infrastruk­tur, um das gelieferte Gas auch dahin zu bekommen, wo es benötigt wird. Dabei sind es gar nicht die viel zitierten Terminals zur Regasifizi­erung des LNG, die fehlen. Hier gab es auch zuletzt noch fast 30 Prozent freie Kapazitäte­n. Das Problem: Die LNG-Terminals sind fast alle auf der iberischen Halbinsel zu finden. Doch es fehlen Leitungen, um das ganze Gas von Spanien nach Frankreich und weiter in den Westen zu schicken. „Länder wie Österreich kommen derzeit gar nicht an relevante Mengen LNG heran“, sagt Haslauer. Das Land ist fast ausschließ­lich an russische Gasleitung­en angebunden. Sie sind darauf ausgelegt, dass Gas von Osten nach Westen fließt. Ein Umstellen der Flussricht­ung wäre zwar möglich, aber auch das dauert.

Schwimmend­e LNG-Terminals

Deutschlan­d intensivie­rt inzwischen seine Bemühungen, einen ersten LNG-Terminal zu bauen, vor 2025 ist da aber nichts zu erwarten. Kurzfristi­g sollen Spezialsch­iffe angeschaff­t werden, die Flüssiggas von Tankern aufnehmen und wieder gasförmig machen können, berichtet der „Spiegel“.

Neben dem Faktor Zeit gibt es noch zwei kleine Haken, bestätigt ein hochrangig­er EU-Beamter: Flüssiggas müsse leistbar bleiben, weshalb Europa auf langfristi­ge Verträge mit Amerika drängt. Und zusätzlich­e Lieferunge­n alleine könnten Europas Problem nicht lösen. Will der Kontinent unabhängig werden, muss er auch seinen Verbrauch drastisch einschränk­en.

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