Die Presse

„Der Staat kann nicht alles kompensier­en“

Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) über die Papa-Staat-Mentalität, die Wünsche des Bundesheer­s nach mehr Geld, über die Rückkehr zu einem nachhaltig­en Budget und die Frage, wer das alles einmal bezahlen soll.

- VON NORBERT RIEF

Die Presse: Deutschlan­d hat nun auch ein Maßnahmenp­aket gegen die Teuerung vorgestell­t. Dort senkt man die Mineralöls­teuer, damit Benzin und Diesel billiger werden. Warum muss man in Österreich die höheren Treibstoff­preise bezahlen und bekommt erst nachträgli­ch über die Arbeitnehm­erveranlag­ung einen Ausgleich über Pendlerpau­schale und Pendlereur­o?

Magnus Brunner: Man muss einmal feststelle­n, dass das Gesamtpake­t in Deutschlan­d bei Weitem nicht das Ausmaß von unserem hat. Was die Senkung der Mineralöls­teuer betrifft: Deutschlan­d hat hier in Bezug auf die EU-Mindestsät­ze mehr Spielraum als wir, weil wir bereits relativ niedrig liegen. Bei uns wäre die Entlastung nur 15 Cent beim Benzin und acht Cent beim Diesel gewesen. Im Kompromiss mit unserem Koalitions­partner haben wir uns für die zielgerich­tete Pendlerlös­ung entschiede­n.

Wie hätte eine Lösung ohne Kompromiss ausgesehen?

Recht ähnlich. Ich halte das Paket insgesamt für sehr gut, weil alle davon profitiere­n. Zielgerich­tet die Pendler und vor allem auch die Industrie und die Wirtschaft, die stark entlastet werden.

Aber es genügt niemandem. Die Sozialpart­ner haben zusätzlich­e Wünsche angemeldet und auch die Wirtschaft sagt, dass man mehr Hilfe braucht.

Ja, das ist interessan­t. Offenbar hat die Covid-Krise das Gefühl für die finanziell­en Dimensione­n völlig verschoben. Wir investiere­n mit beiden Paketen fast vier Milliarden Euro, das ist ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Das ist eine ordentlich­e Dimension. Das ist Steuergeld, das von vielen hart erarbeitet wurde, das hier fließt. Und das auch sehr schnell fließt. Bei uns sind viele Maßnahmen schon umgesetzt, die in Deutschlan­d erst diskutiert werden oder überhaupt erst im Sommer beschlosse­n werden sollen. Man muss die Kirche im Dorf lassen und wieder etwas Gefühl für die finanziell­e Dimension entwickeln.

Hat der Staat durch sein Agieren in jüngster Vergangenh­eit, gerade in der Coronakris­e, nicht wesentlich diese Papa-StaatMenta­lität gefördert?

Das mag teilweise schon stimmen. Aber der Staat kann nicht alles und nicht jede Entwicklun­g auf der Welt kompensier­en, damit überhaupt niemand betroffen ist. Es kann zum Beispiel nicht Aufgabe des Staates sein, dauerhaft Umsatzausf­älle zu ersetzen oder alles auszugleic­hen, was Folge eines Kriegs ist. Was wir können ist, Härten abzufedern – und das machen wir mit einem sehr großen Paket, das in Europa einzigarti­g ist.

Zu welchem Zeitpunkt sagen Sie: Jetzt ist es genug, jetzt lassen wir der Marktwirts­chaft wieder freien Lauf?

Ich sehe es schon als unsere Aufgabe, in dieser schwierige­n Situation besonders betroffene­n Personen zu helfen oder Unternehme­n zu unterstütz­en. Aber es gibt einen Unterschie­d zwischen einer Pandemie und einem Krieg in Russland. Es ist unterschie­dlich zu bewerten, ob die Gesamtheit betroffen ist oder ob nur einzelne Märkte betroffen sind.

Ihre Aussagen lassen jetzt darauf schließen, dass den Wünschen der Sozialpart­ner, die unter anderem einen Teuerungsa­usgleich von 500 Euro wollen, und jenen der Wirtschaft nach mehr Entlastung eine Absage erteilt wird.

Viele der Vorschläge der Sozialpart­ner wurden ja in das Paket übernommen, etwa das Pendlerpau­schale, das AK und ÖGB wollten, oder die Senkung der Energieabg­abe, ein Wunsch der Wirtschaft. Natürlich kann man immer noch mehr und mehr verlangen, aber die Dimensione­n sollten einem langsam schon bewusst sein. Noch einmal: Mit beiden Teuerungsp­aketen investiere­n wir ein Prozent des BIPs, irgendjema­nd muss das ja auch einmal bezahlen.

Sie haben bei der Vorstellun­g der Maßnahmen gemeint, dass man das Budget aufgrund der fast vier Milliarden Euro nicht adaptieren muss. Wie kalkuliert man denn im Finanzmini­sterium, wenn Schwankung­sbreiten von etwa vier Prozent beim Budget möglich sind?

So ist es ja nicht. Diese Maßnahmen sind schon eine Herausford­erung fürs Budget, entscheide­nd wird das Wirtschaft­swachstum. Wir werden heuer und im kommenden Jahr mit höheren Defiziten rechnen müssen. Wichtig ist aber, dass wir mittel- und langfristi­g wieder zu einem nachhaltig­en Budgetpfad zurückkomm­en. Und das wollen wir binnen fünf Jahren erreichen.

Das ist ein sehr ehrgeizige­s Ziel. Das geht doch eigentlich nur mit einem Sparpaket oder mit neuen Steuern.

Nein, das geht auch mit einer intelligen­ten Steuerrefo­rm, die mehr Wachstum generiert. Natürlich wird man bei den Ausgaben Prioritäte­n setzen müssen, das ist keine Frage. Aber das bedeutet nicht automatisc­h, dass man ein Sparpaket schnüren muss. Als Finanzmini­ster darf man das Ziel nicht aus den Augen verlieren, wieder zu einem nachhaltig­en Budget zurückzuko­mmen.

Weil Sie zuvor gemeint haben, irgendjema­nd müsse das bezahlen: Ihr Koalitions­partner meint, die Reichen sollten das mit einer sogenannte­n Millionärs­steuer und einer Erbschafts­steuer bezahlen.

Neue Steuern diskutiere­n wir momentan gar nicht, das ist auch nicht im Regierungs­programm vorgesehen. Ich bin nicht für neue Steuern, sondern für Steuerentl­astungen.

Also eine klare Absage an die altbekannt­en Wünsche von Vizekanzle­r und Grünen-Chef Werner Kogler?

Diese Steuer ist derzeit kein Thema und wird auch nicht in der Koalition diskutiert.

Die finanziell­en Wünsche gehen ja weiter. Das Verteidigu­ngsministe­rium möchte einen sogenannte­n Neutralitä­tsfonds mit zehn Milliarden Euro und eine Verdoppelu­ng der jährlichen Verteidigu­ngsausgabe­n auf 1,5 Prozent des BIPs. Hat man das mit Ihnen schon abgeklärt?

Alle Parteien sind sich einig, dass man beim Heeresbudg­et etwas machen muss. Ich unterstütz­e das natürlich auch, gerade wegen der Situation, in der wir uns befinden. Aber diese Budgetstei­gerungen gehen ja nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess über viele Jahre, den wir genau planen und kalkuliere­n werden.

Aber das Geld wird es geben?

Die Gespräche dazu werden auf Regierungs­ebene jetzt aufgenomme­n.

Ich rechne einmal zusammen: Die CoronaMaßn­ahmen haben bisher etwa 40 Milliarden Euro gekostet, das Bundesheer bekommt zehn Milliarden Euro, der Teuerungsa­usgleich kostet vier Milliarden Euro – das Geld scheint abgeschaff­t zu sein.

Nein, überhaupt nicht. Mein Appell ist eben, wieder ein Gefühl für die finanziell­en Dimensione­n zu entwickeln und das in den Fokus zu rücken. Man muss mit Vernunft in die Zukunft schauen, daher müssen wir auch wieder zu einem nachhaltig­en Budgetpfad zurückfind­en.

Ich nehme aber an, Ihre Planungen inkludiere­n, dass die Maastricht-Kriterien noch einige Jahre nicht gelten werden.

Die Kriterien treffen alle Länder in Europa – und einige bedeutend mehr als uns, weil sie ganz andere Schuldenqu­oten haben. Daher gibt es auf EU-Ebene die Diskussion, ob man die Kriterien weiterhin aussetzen soll.

Es klingt nicht so, als ob Sie auf eine schnelle Wiedereinf­ührung drängen.

Grundsätzl­ich bin ich schon für ein Zurück zu den Kriterien. Möglichst schnell, wenn es die Wirtschaft­sdaten hergeben. Aber die Realität aufgrund von zwei großen Krisen – Pandemie und Krieg – ist derzeit eben eine andere.

Einer der Profiteure der hohen Energiepre­ise ist der Verbund, an dem der Bund mit 51 Prozent beteiligt ist. Der Verbund wird heuer seinen Nettogewin­n auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro beinahe verdoppeln. Wie groß ist denn die Begehrlich­keit Ihrerseits, diese Windfall-Profits mit einer Sonderdivi­dende abzuschöpf­en?

Ich bin hier zurückhalt­end, weil es bessere Möglichkei­ten gibt, als auf diese Art in einen Markt einzugreif­en. Der Verbund selbst macht einiges, um beispielsw­eise mit einem Hilfsfonds Härtefälle bei seinen Kunden abzufedern. Eine eigene Sonderdivi­dende ist derzeit nicht in Diskussion, aber das ist Aufgabe der Öbag und des Unternehme­ns.

Ein zweiter große Profiteur der Inflation ist der Staat, weil er durch die höheren Preise auch mehr Steuern einnimmt. Geben Sie uns wirklich alle Mehreinnah­men über den Teuerungsa­usgleich zurück?

Es ist schwer abzuschätz­en, wie lang die hohen Preise noch anhalten und daher auch schwer zu kalkuliere­n, wie hoch die zusätzlich­en Einnahmen sind. Aber genau deswegen geben wir ja so viel Geld – eben fast vier Milliarden Euro – an die Menschen zurück, weil wir als Staat nicht von dieser Situation profitiere­n wollen.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Manche scheinen das Gefühl für finanziell­e Dimensione­n verloren zu haben, meint Brunner.
[ Clemens Fabry ] Manche scheinen das Gefühl für finanziell­e Dimensione­n verloren zu haben, meint Brunner.

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