„Der Staat kann nicht alles kompensieren“
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) über die Papa-Staat-Mentalität, die Wünsche des Bundesheers nach mehr Geld, über die Rückkehr zu einem nachhaltigen Budget und die Frage, wer das alles einmal bezahlen soll.
Die Presse: Deutschland hat nun auch ein Maßnahmenpaket gegen die Teuerung vorgestellt. Dort senkt man die Mineralölsteuer, damit Benzin und Diesel billiger werden. Warum muss man in Österreich die höheren Treibstoffpreise bezahlen und bekommt erst nachträglich über die Arbeitnehmerveranlagung einen Ausgleich über Pendlerpauschale und Pendlereuro?
Magnus Brunner: Man muss einmal feststellen, dass das Gesamtpaket in Deutschland bei Weitem nicht das Ausmaß von unserem hat. Was die Senkung der Mineralölsteuer betrifft: Deutschland hat hier in Bezug auf die EU-Mindestsätze mehr Spielraum als wir, weil wir bereits relativ niedrig liegen. Bei uns wäre die Entlastung nur 15 Cent beim Benzin und acht Cent beim Diesel gewesen. Im Kompromiss mit unserem Koalitionspartner haben wir uns für die zielgerichtete Pendlerlösung entschieden.
Wie hätte eine Lösung ohne Kompromiss ausgesehen?
Recht ähnlich. Ich halte das Paket insgesamt für sehr gut, weil alle davon profitieren. Zielgerichtet die Pendler und vor allem auch die Industrie und die Wirtschaft, die stark entlastet werden.
Aber es genügt niemandem. Die Sozialpartner haben zusätzliche Wünsche angemeldet und auch die Wirtschaft sagt, dass man mehr Hilfe braucht.
Ja, das ist interessant. Offenbar hat die Covid-Krise das Gefühl für die finanziellen Dimensionen völlig verschoben. Wir investieren mit beiden Paketen fast vier Milliarden Euro, das ist ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist eine ordentliche Dimension. Das ist Steuergeld, das von vielen hart erarbeitet wurde, das hier fließt. Und das auch sehr schnell fließt. Bei uns sind viele Maßnahmen schon umgesetzt, die in Deutschland erst diskutiert werden oder überhaupt erst im Sommer beschlossen werden sollen. Man muss die Kirche im Dorf lassen und wieder etwas Gefühl für die finanzielle Dimension entwickeln.
Hat der Staat durch sein Agieren in jüngster Vergangenheit, gerade in der Coronakrise, nicht wesentlich diese Papa-StaatMentalität gefördert?
Das mag teilweise schon stimmen. Aber der Staat kann nicht alles und nicht jede Entwicklung auf der Welt kompensieren, damit überhaupt niemand betroffen ist. Es kann zum Beispiel nicht Aufgabe des Staates sein, dauerhaft Umsatzausfälle zu ersetzen oder alles auszugleichen, was Folge eines Kriegs ist. Was wir können ist, Härten abzufedern – und das machen wir mit einem sehr großen Paket, das in Europa einzigartig ist.
Zu welchem Zeitpunkt sagen Sie: Jetzt ist es genug, jetzt lassen wir der Marktwirtschaft wieder freien Lauf?
Ich sehe es schon als unsere Aufgabe, in dieser schwierigen Situation besonders betroffenen Personen zu helfen oder Unternehmen zu unterstützen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einer Pandemie und einem Krieg in Russland. Es ist unterschiedlich zu bewerten, ob die Gesamtheit betroffen ist oder ob nur einzelne Märkte betroffen sind.
Ihre Aussagen lassen jetzt darauf schließen, dass den Wünschen der Sozialpartner, die unter anderem einen Teuerungsausgleich von 500 Euro wollen, und jenen der Wirtschaft nach mehr Entlastung eine Absage erteilt wird.
Viele der Vorschläge der Sozialpartner wurden ja in das Paket übernommen, etwa das Pendlerpauschale, das AK und ÖGB wollten, oder die Senkung der Energieabgabe, ein Wunsch der Wirtschaft. Natürlich kann man immer noch mehr und mehr verlangen, aber die Dimensionen sollten einem langsam schon bewusst sein. Noch einmal: Mit beiden Teuerungspaketen investieren wir ein Prozent des BIPs, irgendjemand muss das ja auch einmal bezahlen.
Sie haben bei der Vorstellung der Maßnahmen gemeint, dass man das Budget aufgrund der fast vier Milliarden Euro nicht adaptieren muss. Wie kalkuliert man denn im Finanzministerium, wenn Schwankungsbreiten von etwa vier Prozent beim Budget möglich sind?
So ist es ja nicht. Diese Maßnahmen sind schon eine Herausforderung fürs Budget, entscheidend wird das Wirtschaftswachstum. Wir werden heuer und im kommenden Jahr mit höheren Defiziten rechnen müssen. Wichtig ist aber, dass wir mittel- und langfristig wieder zu einem nachhaltigen Budgetpfad zurückkommen. Und das wollen wir binnen fünf Jahren erreichen.
Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Das geht doch eigentlich nur mit einem Sparpaket oder mit neuen Steuern.
Nein, das geht auch mit einer intelligenten Steuerreform, die mehr Wachstum generiert. Natürlich wird man bei den Ausgaben Prioritäten setzen müssen, das ist keine Frage. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass man ein Sparpaket schnüren muss. Als Finanzminister darf man das Ziel nicht aus den Augen verlieren, wieder zu einem nachhaltigen Budget zurückzukommen.
Weil Sie zuvor gemeint haben, irgendjemand müsse das bezahlen: Ihr Koalitionspartner meint, die Reichen sollten das mit einer sogenannten Millionärssteuer und einer Erbschaftssteuer bezahlen.
Neue Steuern diskutieren wir momentan gar nicht, das ist auch nicht im Regierungsprogramm vorgesehen. Ich bin nicht für neue Steuern, sondern für Steuerentlastungen.
Also eine klare Absage an die altbekannten Wünsche von Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler?
Diese Steuer ist derzeit kein Thema und wird auch nicht in der Koalition diskutiert.
Die finanziellen Wünsche gehen ja weiter. Das Verteidigungsministerium möchte einen sogenannten Neutralitätsfonds mit zehn Milliarden Euro und eine Verdoppelung der jährlichen Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent des BIPs. Hat man das mit Ihnen schon abgeklärt?
Alle Parteien sind sich einig, dass man beim Heeresbudget etwas machen muss. Ich unterstütze das natürlich auch, gerade wegen der Situation, in der wir uns befinden. Aber diese Budgetsteigerungen gehen ja nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess über viele Jahre, den wir genau planen und kalkulieren werden.
Aber das Geld wird es geben?
Die Gespräche dazu werden auf Regierungsebene jetzt aufgenommen.
Ich rechne einmal zusammen: Die CoronaMaßnahmen haben bisher etwa 40 Milliarden Euro gekostet, das Bundesheer bekommt zehn Milliarden Euro, der Teuerungsausgleich kostet vier Milliarden Euro – das Geld scheint abgeschafft zu sein.
Nein, überhaupt nicht. Mein Appell ist eben, wieder ein Gefühl für die finanziellen Dimensionen zu entwickeln und das in den Fokus zu rücken. Man muss mit Vernunft in die Zukunft schauen, daher müssen wir auch wieder zu einem nachhaltigen Budgetpfad zurückfinden.
Ich nehme aber an, Ihre Planungen inkludieren, dass die Maastricht-Kriterien noch einige Jahre nicht gelten werden.
Die Kriterien treffen alle Länder in Europa – und einige bedeutend mehr als uns, weil sie ganz andere Schuldenquoten haben. Daher gibt es auf EU-Ebene die Diskussion, ob man die Kriterien weiterhin aussetzen soll.
Es klingt nicht so, als ob Sie auf eine schnelle Wiedereinführung drängen.
Grundsätzlich bin ich schon für ein Zurück zu den Kriterien. Möglichst schnell, wenn es die Wirtschaftsdaten hergeben. Aber die Realität aufgrund von zwei großen Krisen – Pandemie und Krieg – ist derzeit eben eine andere.
Einer der Profiteure der hohen Energiepreise ist der Verbund, an dem der Bund mit 51 Prozent beteiligt ist. Der Verbund wird heuer seinen Nettogewinn auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro beinahe verdoppeln. Wie groß ist denn die Begehrlichkeit Ihrerseits, diese Windfall-Profits mit einer Sonderdividende abzuschöpfen?
Ich bin hier zurückhaltend, weil es bessere Möglichkeiten gibt, als auf diese Art in einen Markt einzugreifen. Der Verbund selbst macht einiges, um beispielsweise mit einem Hilfsfonds Härtefälle bei seinen Kunden abzufedern. Eine eigene Sonderdividende ist derzeit nicht in Diskussion, aber das ist Aufgabe der Öbag und des Unternehmens.
Ein zweiter große Profiteur der Inflation ist der Staat, weil er durch die höheren Preise auch mehr Steuern einnimmt. Geben Sie uns wirklich alle Mehreinnahmen über den Teuerungsausgleich zurück?
Es ist schwer abzuschätzen, wie lang die hohen Preise noch anhalten und daher auch schwer zu kalkulieren, wie hoch die zusätzlichen Einnahmen sind. Aber genau deswegen geben wir ja so viel Geld – eben fast vier Milliarden Euro – an die Menschen zurück, weil wir als Staat nicht von dieser Situation profitieren wollen.