Gibt es heute mehr Viren als früher?
Viren mutieren, stimmen sich auf ihren Wirt ab und springen teilweise zwischen den Spezies. Gleichzeitig breiten sie sich schneller aus denn je.
Die Antwort fällt eindeutig aus: Die Frequenz, in der neue Viren und Pandemien auftreten, habe sich nicht beschleunigt, sagt die Virologin Monika RedlbergerFritz. „Aber die Diagnostik und die Ausbreitungsgeschwindigkeit haben sich verändert.“Sie forscht am Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität (Med-Uni) Wien und befasst sich unter anderem mit der Überwachung und Erfassung der Influenzaund der Sars-CoV-2-Aktivität.
Dazu analysiert sie Proben, die aus ganz Österreich eingeschickt werden: „So können wir gut sehen, was in den Nasen der Österreicher zirkuliert.“Heuer fiel etwa das Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) durch besondere Häufigkeit auf, eine Atemwegserkrankung, die für kleine Kinder tödlich sein kann. Hinsichtlich der Entwicklung der Influenza in dieser Saison ist Redlberger-Fritz hingegen optimistisch: „Wir haben gute Chancen, da durchzutauchen.“
Viren sind genetische Informationen, die von einer Eiweißhülle umgeben sind. Als Krankheitserreger dringen sie in die Zelle eines Lebewesens ein und nutzen diese, um sich zu vermehren. „Für jede Spezies – Pflanzen, Tiere, Menschen – existieren unterschiedliche, auch unbekannte Viren. Sie sind genau auf ihren Wirt abgestimmt, denn sie haben sich evolutionsbiologisch seit Jahrtausenden mit der jeweiligen Spezies entwickelt.“So ist die Speziesbarriere beim Herpes-Virus sehr hoch. Das heißt, es kann nur von Mensch auf Mensch übertragen werden. Andere Viren wechseln von einer Spezies zu einer anderen, so beispielsweise das Influenzavirus. „In Wildtieren zirkulieren sehr viele Influenza-Subtypen, die sich ständig ändern und es leicht schaffen, die Spezies-Barriere von Vogel auf Mensch zu überwinden. „Das sind dann Ausgangspunkte für Pandemien, wie die Spanische Grippe oder die Hongkong Grippe“, erklärt die Virologin. Bei Sars-CoV-1 verlief die Übertragung über Tibetkatzen, bei der Schweinegrippe über Schweine.
Wenige Infizierte reichen
Coronaviren, gerade auch die Sars-2-Viren, stammen aus großen Rhinolophus-Fledermaus-Populationen, die in chinesischen Karst- und Kalksteinhöhlen leben. Unter diesen Hufeisen-Fledermäusen konnten sich Viren schnell übertragen und vermehren und schließlich – möglicherweise über einen Zwischenwirt – auch in menschliche Zellen eindringen. „In einem solchen Fall reicht es, wenn sich einige wenige Menschen mit einem hoch infektiösen Virus infizieren“, so Redlberger-Fritz.
Die Wirkung, die Viren auf Zellen haben, ist unterschiedlich. „Es gibt Viren, die wir ständig in uns tragen, wie das Herpes-simplex-Virus. Es gibt aber auch Viren, von denen wir gar nichts wissen. Manche sind auch sehr nützlich, weil sie bei der Immunsuppression oder in der Krebstherapie als Marker für die Wirksamkeit der Medikamente dienen können.“
Grundsätzlich mutieren Viren ständig. Doch nur wenn ein Virus komplett neue Eigenschaften entwickelt, spricht man von einer neuen Art. „Immer wieder können Virusarten ausgerottet werden. Beispielsweise durch die Herdenimmunität.“Das war beispielsweise bei Pocken und bei einem von drei Polio-Typen der Fall. Auch bei Masern hätte es eine gute Chance gegeben, aber die Durchimpfungsrate war zu niedrig.
„Die nächste Pandemie kommt. Wann und durch welches Virus verursacht, kann man nicht sagen.“
Monika RedlbergerFritz, Virologin
Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com