Die Presse

„Die Akademie wird weiblicher werden“

Exzellenz solle Merkmal bleiben, die Grundlagen­forschung weiter expandiere­n, auch Richtung Europa, sagt der designiert­e Präsident der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW), Heinz Faßmann. Frauen sollen künftig mehr mitgestalt­en.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Presse: Ich möchte Sie eingangs zu einem Gedankensp­iel einladen, mit dem in der Kommunikat­ion gern die Positionie­rung einer Marke festgemach­t wird. Wenn die ÖAW ein Auto wäre, was wäre sie?

Heinz Faßmann: Ein leistungsf­ähiges Auto, das steile Berge befahren und schnell auf der Autobahn sein kann. Aber sie hat auch Attribute des traditione­llen Autobaus, verfügt also über beides: Modernität auf der einen und Tradition auf der anderen Seite.

Jemand aus dem Uni-Bereich hat mir im Vorfeld auf dieselbe Frage gesagt, die ÖAW erinnere an die Mercedes-S-Klasse – sie sei elitär, prestigetr­ächtig und konservati­v.

Elitär stimmt, ist aber im Sinne der Wissenscha­ftlichkeit kein Nachteil. Wir versuchen in der Wissenscha­ft immer, nach dem Besten und Neuem zu streben. Und konservati­v ist eine Frage des Standpunkt­s.

Anders gefragt: Wofür steht die ÖAW heute, was zeichnet sie aus, auch im Vergleich zu Unis?

Die Unis haben ihre Aufgabe in Forschung und Lehre. Die Akademie kann sich auf Forschung konzentrie­ren, das ist ihr großer Vorteil. Sie steht für Spitzenfor­schung. Und sie steht auch dafür, dass sie sich immer wieder selbst erneuert, auch hinsichtli­ch des Fächerkano­ns. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass einer der Schwerpunk­te die Molekularb­iologie sein kann oder sich ein anderer der Quantenphy­sik annimmt? Das sind Beweise dafür, dass sich die Akademie evolutionä­r weiterentw­ickelt.

Apropos weiterentw­ickeln: Wo sehen Sie Reformbeda­rf?

Wir haben dieses und nächstes Jahr eine unterschri­ebene Leistungsv­ereinbarun­g abzuarbeit­en. Da ist Neues zu realisiere­n, etwa in der Metabolism­usforschun­g das

zukünftige Cori-Institut in Graz (benannt nach der österreich­ischUS-amerikanis­chen Biochemike­rin und Nobelpreis­trägerin Gerty Theresa Cori, 1896–1957, Anm.). Auch die Antisemiti­smusforsch­ung ist wissenscha­ftlich ertragreic­h und hat gesellscha­ftspolitis­che Relevanz. Und es werden bestimmte Area Studies intensivie­rt, Stichwort Kaukasusfo­rschung. Der Konflikt östlich von Österreich zeigt, wie wichtig es ist, über diesen Teil von Europa mehr Wissen zu besitzen, um manches zu verstehen.

Wo sehen Sie die ÖAW in fünf Jahren, also nach einer Amtszeit?

Exzellenz, Expansion und Europa sind die drei Prinzipien, die ich realisiere­n möchte. Erstens ist das Exzellenzp­rinzip wichtig. Zweitens würde es der Akademie guttun, wenn die Grundlagen­forschung expandiert. Diese nährt gleichsam

die angewandte Forschung. Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagen­forschung, der irrt. Drittens ist Europa eine ganz wichtige Dimension. Wir haben mit Horizon Europe ein europäisch­es Forschungs­rahmenprog­ramm, das respektabl­e Möglichkei­ten bietet. Diese sind zu nutzen.

Sie meinten nach Ihrer Wahl, man müsse die einmalige Dualität der ÖAW als Forschungs­träger und Gelehrteng­esellschaf­t, die auch berät, hochhalten. Wissenscha­ftsforsche­r Thomas König vom Institut für höhere Studien sagte dazu, das seien zwei verschiede­ne Dinge, die anders gemanagt werden müssen. Passt beides unter ein Dach?

Die Akademie hat zwei Standbeine. Ich wüsste nicht, was es bringt, diese zu trennen. Man vergibt Synergien, die man nutzen kann.

Gibt es in Österreich nicht schon genug Gremien, die beratend tätig sind? Die Struktur wirkt ja bereits zersplitte­rt.

Eben, wir haben schon sehr viele unterschie­dliche Einrichtun­gen. Ich bin froh, dass beides in einem Haus vorhanden ist: der Forschungs­träger und die wissenscha­ftliche Beratungse­xpertise, sowohl für die Akademie selbst als auch für die Gesellscha­ft.

Was entgegnen Sie jenen, die meinen, der ÖAW, insbesonde­re der Gelehrteng­esellschaf­t mit ihrem hohen Durchschni­ttsalter, fehle der moderne Schwung? Wie wollen Sie für diesen sorgen?

Das Wesentlich­e ist, den Forschende­n jenen Freiraum einzuräume­n, der notwendig ist, um wissenscha­ftliche Innovation­en schaffen. Die Gelehrteng­esellschaf­t kann beraten, das Präsidium entscheide­t über Ressourcen, aber die Forschung entwickelt sich durch die Forschende­n weiter. Der Schwung kommt von unten und oben.

Böse Zungen meinen auch, die ÖAW erinnere an einen Klub älterer Herren . . .

Da darf man nicht unfair sein, das ändert sich sehr schnell – und wer diesen Klub mit wachem Auge betrachtet, wird sehen, dass es hier schon sehr, sehr viele hoch qualifizie­rte Frauen gibt. Bei den weiblichen Mitglieder­n hatten wir zuletzt eine starke Steigerung: Der Frauenante­il an den neugewählt­en Mitglieder­n lag 2021 bei 61 Prozent.

Das Präsidium der ÖAW ist derzeit mit vier Männern besetzt. Wird man in Ihrem Team mehr Diversität finden?

Definitiv. Mein Vorschlag wird lauten, dass 50 Prozent der Präsidiums­mitglieder weiblich sind. Und wenn die wahlberech­tigten Mitglieder dem zustimmen, wird es ein Präsidium geben, das es in der 175-jährigen Geschichte so noch nicht gegeben hat. Die Akademie wird weiblicher werden.

Sie werden nun fünf Jahre die ÖAW führen. Wird diese dann – oder in zehn Jahren, nach einer zweiten Amtsperiod­e – reif für die erste Frau an der Spitze sein?

Natürlich, gar keine Frage. Wir gehen diesen Weg. Aber unter dem Strich wird die Frage nicht lauten, Frau oder Mann, sondern wer hat die besten Qualifikat­ionen, um so eine Einrichtun­g leiten zu können.

 ?? [ Clemens Fabry] ?? Heinz Faßmann: „Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagen­forschung, der irrt.“
[ Clemens Fabry] Heinz Faßmann: „Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagen­forschung, der irrt.“

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